Ärztepfusch ist schwer nachzuweisen und noch schwieriger ist es für Patienten, Schmerzensgeld zu erhalten. Ein Experte berichtet aus der Praxis.

Hamburg. Die Ärzteschaft geht offensiv mit eigenen Fehlern um. Im Verhältnis zur Zahl der Operationen und Behandlungen in Deutschland ist die Zahl der Kunstfehler klein. Doch wenn sie auftreten, sind oft Anwälte gefordert. Das Hamburger Abendblatt sprach mit einem Experten für Medizinrecht, dem Hamburger Anwalt Dr. Dirk Ciper.

Hamburger Abendblatt: Herr Ciper, wenn Ärzte Fehler machen, kann das teuer werden. Doch sind Patienten überhaupt hinreichend darüber aufgeklärt, welche Rechte sie bei einem Verdacht auf eine falsche Behandlung haben?

Dr. Dirk Ciper: Die Anzahl derjenigen Patienten, die Kenntnisse darüber haben, welche Rechte sie im Fall einer Fehlbehandlung haben, ist offenbar steigend. Hierzu trägt wohl auch die zunehmende Medien- u. Pressepräsenz bei. Es gibt zahlreiche Anlaufstellen, wie z.B. den Deutschen Patientenschutzbund, auf den Patienten, die den Verdacht einer Fehlbehandlung hegen, wenden können, um über ihre Rechte informiert zu werden. Der Betroffene kann auch, sollte er zunächst auf einen Anwalt verzichten wollen, ein entsprechendes Gutachten über den Medizinischen Dienst seiner Krankenkasse einholen lassen, alternativ die zuständige Schlichtungsstelle der Ärztekammer involvieren. Verfügt er über eine Rechtsschutzversicherung, bietet sich der Gang zum spezialisierten Rechtsanwalt an. Es ist allerdings eine vielfach überschätzte Erwartungshaltung dergestalt festzustellen, dass Betroffene meinen, der Anwalt könne schon das Ergebnis eines Falles bereits "mit einem Blick" in die Unterlagen qualifiziert einschätzen und die Erfolgsaussichten garantieren. Jeder Fall ist anders ausgestaltet und kann sich in verschiedene Richtungen hin entwickeln. Ein Vorgehen zieht sich in der Regel über viele Monate, oft auch über Jahre hinweg.

Dr. Dirk C. Ciper Hamburger Anwalt für Medizinrecht
Dr. Dirk C. Ciper Hamburger Anwalt für Medizinrecht © privat | privat

Hamburger Abendblatt: Bei Knie- und Hüftoperationen im Krankenhaus gibt es offensichtlich mit die meisten Fehler. Sind die Ärzte bei solchen Operationen schon zu routiniert, oder stehen sie unter starkem Druck und operieren am Fließband?

Ciper: Die Vielzahl der fehlgeschlagenen Operationen in diesen Bereichen lässt sich natürlich auch mit der Quantität dieser Operationen begründen. Jeder zweite Deutsche über 60 Jahren leidet an Gelenkbeschwerden. Bundesweit werden jährlich nach Angaben des „Deutschen Ärzteblattes“ über 160.000 künstliche Hüftgelenke eingesetzt. Aufgrund der Schwierigkeit dieser Behandlungen ist eine besondere Qualität und Erfahrung des Operateurs ebenso erforderlich, wie einwandfreie Prothesen. Es kommt immer wieder zu Rückrufaktionen von Prothesenherstellern, nachdem sich eingesetzte Prothesen später als schadhaft erweisen.

Hamburger Abendblatt: Fast jeder dritte der gut 7000 Fälle, die die Ärzteschaft untersucht hat, zeigte einen Behandlungsfehler. Gibt es auch schon Fehler bei der Diagnose und welche Folgen hat das?

Ciper: Fehlerhafte, bzw. verspätete Diagnosen stellen einen der Hauptschwerpunkte in der anwaltlichen Bearbeitung ärztlicher Fehlbehandlungen dar. Dabei sind insbesondere verspätete Carzinomdiagnosen für die Betroffenen von erheblicher Bedeutung. Gerade bei rasch fortschreitenden und metastasierenden Tumoren kann eine zeitliche Verzögerung von wenigen Tagen oder Wochen schon fatale Wirkung entfalten. Die dann erforderlichen Chemotherapien sind wesentlich aggressiver, nicht selten auch nicht mehr hilfreich. In der Regel handelt es sich bei den begangenen Diagnosefehlern um fehlgedeutete Röntenbilder, oder CT-Aufnahmen, oder schlicht die Verkennung von Symptomen, die sodann nicht lege artis, also nicht in der richtigen Art und Weise, therapiert werden.

Hamburger Abendblatt: Wie viel Zeit vergeht von einer Beschwerde bis zu einem Urteil und in welcher Höhe bewegt sich etwa das Schmerzensgeld für eine falsch eingesetzte künstliche Hüfte?

Ciper: Diese Frage wird generell aus dem Mandantenkreis gestellt, lässt sich aber bedauerlicherweise nicht pauschal beantworten: Es gibt Fälle, in denen nach einem relativ kurzen Zeitraum von einigen Wochen oder Monaten nach Anspruchsanmeldung eine Regulierung durch den Haftpflichtversicherer des schädigenden Mediziners/Krankenhauses vorgenommen wird. Andere Fälle können sich über viele Jahre hinziehen. In unserer Kanzlei bearbeiten wir auch jetzt noch Mandate, die wir seit über 10 Jahren bearbeiten und ein Ende des Verfahrens noch nicht absehbar ist. Viele Verfahren, die in der ersten Instanz nicht hinreichend gerichtlich aufgeklärt wurden, landen in der Berufungsinstanz, in der sodann die fehlenden Punkte aufgearbeitet werden müssen. Durchschnittlich kann man allerdings feststellen, dass ein Arzthaftungsprozess zwischen zwei und drei Jahren dauert. Das Schmerzensgeld für eine falsch eingesetzte künstliche Hüfte dürfte im Bereich von 50.000 Euro bis 70.000 Euro zu bemessen sein.

Hamburger Abendblatt: Müssen die Krankenkassen die Patienten bei Behandlungsfehlern mehr unterstützen, denn sie leiden wegen der hohen Kosten ebenfalls unter ärztlichen Fehlern?

Ciper: Gemäß § 66 SGB V können Krankenkassen Ihre Kassenpatienten bei der Verfolgung von Schadenersatzansprüchen, die aus Behandlungsfehlern resultieren, unterstützen. Hierfür lassen sie u.a. über ihren Medizinischen Dienst ein für den Patienten kostenfreies fachmedizinisches Gutachten einholen, dessen Ergebnis aber von Haftfpflichtversicherern leider selten akzeptiert wird. Sollte es dann zu einer gerichtlichen Inanspruchnahme kommen, holen die Gerichte generell ein neues Gutachten durch einen vom Gericht bestellten medizinischen Sachverständigen ein. Natürlich haben die Krankenkassen ein Eigeninteresse daran, dass einem Fehler nachgegangen wird, zumal sie bei der Konstatierung des Fehlers sämtliche Kosten gegenüber dem Versicherer des Schädigers regressieren können.

Hamburger Abendblatt: Ist das Grundvertrauen zwischen Arzt und Patient wegen der Transparenz von Fehlern und wegen der Vielzahl medizinischer Ratschläge und Foren im Internet stärker gestört oder belastet als noch vor Jahren?

Ciper: Das Grundvertrauen zwischen Arzt und Patient dürfte eigentlich nicht gestört sein, wenngleich tragische Fälle aus der Medienberichterstattung das suggerieren. Man sollte sich stets vor Augen halten, dass der medizinische Standard in Deutschland zu einem der besten weltweit gezählt wird. Belastet sein dürfte allerdings das Grundvertrauen der Geschädigten in die Versicherungswirtschaft, was die Regulierungspraxis von klaren und eindeutigen Fällen angeht. In solchen Fällen sollte ein Versicherer zügig und angemessen den Schaden ausgleichen, was in der anwaltlichen Praxis leider nicht festzustellen ist. Der Anstieg der gerichtlichen Verfahren im Bereich der Arzthaftung lässt sich auch gerade damit erklären, dass Versicherer im Vorfeld einer gerichtlichen Inanspruchnahme nicht bereit waren, die Schadenersatzansprüche zu zahlen, bzw. völlig untersetzte Abfindungsangebote unterbreiten. Hier wäre die Politik gefordert, Regulierungsverweigerungs- und verzögerungstaktiken durch entsprechende Maßnahmen entgegenzuwirken.