Kommentar

Kardinal Karl Lehmann (71) wollte nie ein "Spitzenmann des deutschen Katholizismus" sein. Dennoch war er es 20 Jahre lang. Als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz füllte der Mainzer Bischof das Amt im besten Wortsinn aus: mit Macht und Streben nach Ausgleich, mit Willen zur Ökumene und theologischem Tiefgang und dem Mut, sich notfalls mit Rom anzulegen. Sein Nachfolger ist weit von einer Paraderolle vor Mikrofonen und Scheinwerfern entfernt. Wer kennt schon Robert Zollitsch, den Erzbischof aus Freiburg?

Der blasse Kandidat, der gestern eine Mehrheit unter den 69 Bischöfen im dritten Wahlgang fand, ist dennoch keine Überraschung. Mit 69 Jahren zählt er zwar nicht zur Nachfolgegeneration wie der ebenfalls als Favorit gehandelte Münchner Erzbischof Reinhard Marx (54). Doch Lebensjahre allein sind kein Kriterium in einer Kirche, deren Oberhirten oft erst vom Tod abberufen werden. Und der Blick aufs Alter kann auch täuschen. Denn der jüngere Marx trägt ausgeprägte konservative Züge, während der ältere Zollitsch mehr vom liberal angehauchten Aufbruch des Zweiten Vatikanischen Konzils der 1960er-Jahre geprägt ist.

Solche Gedanken könnten die Bischöfe bewogen haben, für den Senior zu stimmen. Denn härtere Töne will derzeit kaum einer anstimmen. Dafür ist sowieso traditionell Rom zuständig, siehe die unselige Auseinandersetzung über die Schwangerenberatung oder der überflüssige Streit darüber, ob die evangelischen Mitchristen auch eine Kirche sind. Deutsche Bischöfe haben dann genug damit zu tun, die heimische Herde zu beruhigen. Allen Beteuerungen von gestern zum Trotz: Der für sechs Jahre gewählte Lehmann-Nachfolger ist ein Mann des Übergangs. 2014 hat Marx seine nächste Chance.