Ministerpräsident unter Druck, weil Straftäter in Hessen am längsten auf Verfahren warten.

BERLIN. Der Ton beim Thema Jugendkriminalität wird immer schriller: Mehr als 100 Organisationen von in Deutschland lebenden Ausländern haben Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (beide CDU) "wahltaktischen Populismus" und sogar Rassismus vorgeworfen. In einem vom Migrantenforum im Paritätischen Gesamtverband veröffentlichten Brief an Merkel und Koch beklagen die Organisationen, dass die Debatte ein herber Rückschlag für den Integrationsdiskurs in der Gesellschaft sei.

Die Unterzeichner des Briefes loben Merkel zwar dafür, dass sie vor eineinhalb Jahren den Integrationsgipfel ins Leben gerufen habe. "Nun aber geben Sie ihrem Parteikollegen Roland Koch aus wahltaktischen Gründen Rückendeckung in seinen populistischen Parolen", heißt es in dem Schreiben.

Die Türkische Gemeinde Deutschlands bat Bundespräsident Horst Köhler um Vermittlung. Der Vorsitzende Kenan Kolat zeigte sich enttäuscht über Merkels Haltung, weil diese sich auf Kochs Seite gestellt habe. Koch schüre "rassistische Ressentiments in der Gesellschaft", kritisierte Kolat und rief die in Hessen lebenden Türken auf, Koch die Stimme zu verweigern: "Koch ist für Deutschtürken nicht wählbar."

Der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle forderte die Koalitionsspitzen auf, den Streit in einem überparteilichen Spitzengespräch beizulegen. Die SPD lehnte Gesetzesänderungen im Kampf gegen Jugendgewalt erneut ab. "Strafandrohung ist nicht das Entscheidende, sondern Prävention", sagte Fraktionschef Peter Struck.

Der Sprecher der CDU/CSU-Innenminister, der hessische Ressortchef Volker Bouffier, wies die Kritik von Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) an den Vorstellungen der Union zurück. "Der größte Hetzer, der da weit und breit rumgelaufen ist, das war der frühere Bundeskanzler Schröder", sagte Bouffier. Schröder sei in seiner Amtszeit mit radikalen Äußerungen über ausländische Straftäter und Sexualstraftäter aufgefallen. Zugleich habe sich Schröders rot-grüne Bundesregierung sieben Jahre lang außerstande gesehen, die notwendigen Verschärfungen des Jugendstrafrechts durchzuführen.

Bei der Bearbeitung von Jugendgewalt ist ausgerechnet in Hessen die Verfahrensdauer am längsten. Das musste Ministerpräsident Koch einräumen, obwohl er selbst ein härteres und schnelleres Durchgreifen gefordert hatte. Nach Informationen von AP lag 2006 die Verfahrensdauer bei Strafsachen vor dem Jugendrichter im Bundesdurchschnitt bei 3,1 Monaten, beim Jugendschöffengericht bei 3,7 Monaten und bei der Großen Jugendkammer der Landgerichte bei 5,4 Monaten. Koch bestätigte Recherchen der ARD-Sendung "Hart aber fair", wonach in Hessen durchschnittlich 4,1 Monate vom Eingang einer Akte bei der Jugendstrafkammer des Amtsgerichtes bis zum Urteil vergehen. Am kürzesten sind demnach die Verfahren der Jugendrichter in Bayern mit 2,3 Monaten.

Auch bei schweren Verbrechen wie Raub, Totschlag oder Mord, die vor den Landgerichten verhandelt werden, schneidet Hessen unter den Flächenländern mit acht Monaten am schlechtesten ab. Länger dauern die Verfahren nur im Stadtstaat Bremen (12,3 Monate), am schnellsten geht es in Thüringen mit 3,5 Monaten. Von Brandenburg und Hamburg lagen keine Vergleichszahlen vor.

Die Polizeigewerkschaft GdP forderte ein Eingreifen von Merkel. "Spätestens das Eingeständnis von Roland Koch sollte die Kanzlerin aufrütteln: Er thematisiert die Jugendgewalt und muss gleichzeitig große Defizite bei deren Bekämpfung einräumen", sagte Gewerkschaftschef Konrad Freiberg der "Leipziger Volkszeitung".