Die Zeiten, da Ministerpräsidenten und andere Funktionsträger quasi automatisch geehrt wurden, sind wohl vorbei.

Berlin. "Gar mancher schleicht betrübt umher, sein Knopfloch ist so öd und leer", hieß es schon bei Wilhelm Busch. In Anlehnung daran müsste im Deutschland unserer Tage solcherlei Betrübnis immer mehr um sich greifen. Denn der amtierende Bundespräsident Horst Köhler pflegt seinen eigenen Stil nicht nur in Reden, sondern auch bei der Ordensverleihung. Köhler ehrt zwar erwiesenermaßen gern - aber im Vergleich zu seinen Vorgängern deutlich seltener. Frei nach der Devise: Weniger ist mehr.

Hatte Richard von Weizsäcker in seinen spendabelsten Zeiten als Staatsoberhaupt noch bis zu 5096 Bundesverdienstkreuze (1991) verteilt, kommt Köhler dieses Jahr mit rund 2400 nicht einmal mehr auf die Hälfte. 2006 waren es gar nur 2312. Doch nicht nur bei der Anzahl setzt er einen neuen Trend, sondern auch bei der Geschlechterverteilung. In diesem Jahr soll der Anteil der Frauen unter den Ausgezeichneten erstmals die 30 Prozent überschreiten. Gemessen am Bevölkerungsanteil der Frauen (52 Prozent) und an ihrem vielfältigen Engagement, sagte Köhler bei der Verleihung an "verdiente Bürgerinnen" diesen Sommer, würden immer noch viel zu wenige Frauen für ein Bundesverdienstkreuz vorgeschlagen. "Deswegen nehme ich seit Oktober letzten Jahres Vorschlagslisten nur noch an, wenn von zehn Kandidaten mindestens drei Frauen sind."

So durften nicht nur Welthungerhilfe-Präsidentin Ingeborg Schäuble, Damenfußball-Bundestrainerin Silvia Neid und die sozial engagierte ",Tatort'-Kommissarin" Ulrike Folkerts einen Orden in Empfang nehmen, sondern - als Beispiel für jene im Schatten der öffentlichen Aufmerksamkeit - auch Helene Strehlow aus Mecklenburg-Vorpommern. Seit mehr als 40 Jahren pflegt sie ihren schwerstbehinderten Sohn und fand auch noch Kraft, die pflegebedürftige Schwiegermutter und eine 90-jährige Tante zu betreuen.

"Es soll weniger darum gehen, Funktionsträger auszuzeichnen, sondern eher darum, lang anhaltendes gesellschaftliches, ehrenamtliches Engagement zu würdigen", sagt Franz Wessendorf, Leiter der Ordenskanzlei im Bundespräsidialamt. Somit könnten die Ministerpräsidenten Harald Ringstorff, Wolfgang Böhmer, Peter Müller und Roland Koch, die erst im Oktober das Große Verdienstkreuz mit Stern und Schulterband bekamen, als Repräsentanten einer aussterbenden Spezies gelten. In den 70er- und 80er-Jahren wurde noch recht freigebig verliehen: an langjährige Oberbürgermeister, Minister, Abgeordnete und Präsidenten von Oberlandesgerichten. Begriffe wie "Honoratiorenorden" oder "Kalk-Orden" - für pensionierte Beamte - machten da die Runde.

Noch Anfang der 90er-Jahre lag die Zahl der verteilten Verdienstkreuze bei deutlich über 4000 und der Frauenanteil nur bei 15 Prozent. 2005, ein Jahr nach seinem Amtsantritt, vergab Horst Köhler nur noch 2508 Verdienstorden - aber immerhin schon jeden Vierten an eine Frau. Laut Wessendorf hatten auch schon Köhlers Vorgänger das Gefühl, die "Ordensflut" könnte die Auszeichnung an sich entwerten - auch deshalb sei man zunehmend stringent vorgegangen.

Doch das sollte für niemanden Grund sein, à la Buschs Balduin Bählmann betrübt umherzuschleichen. "Die Zahl der Verleihungen könnte auch wieder steigen", versichert Wessendorf. Dazu müsste unter anderem auch die Zahl der Ordensanregungen - gerade auch für Frauen - zunehmen. Was die wenigsten Deutschen wissen: Jeder kann die Verleihung eines Verdienstordens an eine andere Person vorschlagen. Zuständig ist die Staats- oder Senatskanzlei des Bundeslandes, in dem die Person, die ausgezeichnet werden soll, wohnt. Bei Ausländern oder im Ausland wohnenden Deutschen ist das Auswärtige Amt zuständig. Nur sich selbst kann man nicht vorschlagen. Die Bundesländer und das Auswärtige Amt prüfen die Anregungen und leiten sie an das Bundespräsidialamt weiter. Dort werden die Vorschläge für den Bundespräsidenten aufbereitet, der dann endgültig entscheidet .

Der Verdienstorden wurde von Bundespräsident Theodor Heuss 1951 gestiftet - und die Zielrichtung war durch die Zeit der jungen Republik geprägt. "Er wird verliehen für Leistungen, die im Bereich der politischen, der wirtschaftlich-sozialen und der geistigen Arbeit dem Wiederaufbau des Vaterlandes dienten, und soll eine Auszeichnung all derer bedeuten, deren Wirken zum friedlichen Aufstieg der Bundesrepublik Deutschland beiträgt", hieß es im Stiftungserlass. Der Verdienstorden stellt bis heute die höchste Anerkennung dar, die Deutschland für Verdienste um das Gemeinwohl ausspricht. Doch die Zielrichtung hat sich verändert. Offiziell heißt es: "Er wird an in- und ausländische Bürgerinnen und Bürger verliehen für politische, wirtschaftlich-soziale und geistige Leistungen sowie für alle besonderen Verdienste um die Bundesrepublik Deutschland, zum Beispiel auch Verdienste aus dem sozialen, karitativen und mitmenschlichen Bereich."

Die große Mehrheit der Auszeichnungen geht mittlerweile tatsächlich an weitgehend unbekannte Bundesbürger, die sich für das Gemeinwohl hervorgetan haben. "Nur eine geringe Zahl der Orden geht tatsächlich an Prominente", sagt Wessendorf. Dieses Jahr werden es rund 200 der voraussichtlich insgesamt 2400 sein. "Aber über diese Verleihungen wird natürlich am meisten berichtet."