Vertreter der Bundeswehr kritisieren Verteidigungsminister: ein Aufruf zum Verfassungsbruch.

BERLIN. Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung beruft sich bei seinem Vorstoß, Passagierflugzeuge, die für Terrorzwecke missbraucht werden, abzuschießen, auf den übergesetzlichen Notstand. Doch das ist nach Auffassung von Rechtsexperten strittig, denn er ist strafrechtlich nicht geregelt. In juristischen Lehrbüchern wird er zwar erwähnt, und zu Zeiten des deutschen Herbstes 1977 wurde damit die Kontaktsperre zwischen Terroristen und ihren Anwälten gerechtfertigt. Doch Rechtswissenschaftler verweisen darauf, dass eine Auslegung "übergesetzlicher Notstand" bei der Entführung einer Passagiermaschine unzulässig wäre.

So habe das Bundesverfassungsgericht bei der Ablehnung des Luftsicherheitsgesetzes der rot-grünen Bundesregierung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine Abwägung Leben gegen Leben nicht zulässig sei. Auch Notwehr zieht nicht, denn die Passagiere in dem Zivilflugzeug sind keine Angreifer, nur die Terroristen sind es.

Nach Ansicht der Karlsruher Richter dürfen unschuldige Passagiere nicht geopfert werden, um eine noch viel größere Katastrophe abzuwenden. Grundlage ist Artikel 1, die Unantastbarkeit der Menschenwürde. Da die ursprüngliche rechtliche Grundlage, das Luftsicherheitsgesetz, mit dieser Begründung vom Bundesverfassungsgericht kassiert worden ist, hatte sich Jung gemeinsam mit der Luftwaffenführung darauf festgelegt, "dass nur diejenigen Piloten fliegen sollten, die auch vor dem Hintergrund dieser schwierigen rechtlichen Frage dazu bereit wären, diesen Befehl auszuführen", sagte der Verteidigungsminister.

Dem hält der Vorsitzende des Verbands der Jetpiloten, Thomas Wassmann, entgegen, dass die Befolgung so eines Befehls nicht verlangt werden kann, weil er eben keine rechtliche Grundlage hat.

Dabei war die vorgesehene Option für einen Abschussbefehl nur eine von vielen Sicherheitsmaßnahmen im ursprünglichen Luftsicherheitsgesetz. Bei der Verabschiedung im Januar 2004 stimmte die heute regierende Union dagegen - nicht weil sie den Fall nicht regeln wollte, sondern weil sie anders als Rot-Grün eine Verfassungsänderung für notwendig hielt. Tatsächlich ist der Fall hoch kompliziert. Die Abwehr von Kriminellen, der Schutz vor Gefahren ist zunächst Sache der Polizei. Kommt sie mit ihren Mitteln nicht weiter, kann nach Artikel 35 des Grundgesetzes Amtshilfe von der Bundeswehr, angefordert werden.