Politologe Walter ist skeptisch: “Typen wie Schröder, die an Gittern rütteln, gehen nicht auf solche Schulen.“

Hamburg. Kaum eine Geschichte ist so oft über Ex-Kanzler Gerhard Schröder kolportiert worden wie die aus dem Jahre 1982: Nach einem Kneipenbesuch rüttelte der damals 38-jährige Parlamentarier im Vorbeigehen am Zaun des Bonner Kanzleramts und brüllte "Ich will da rein!". Dank seines politischen Instinkts, seines Machtbewusstseins und seiner Witterung schaffte es Schröder 16 Jahre später tatsächlich auf den obersten Posten der Macht.

Was Schröder einst politisch auszeichnete, will die SPD jetzt professionell schulen. In der neu gegründeten "Führungsakadmie für soziale Demokratie" werden ab sofort 40 Nachwuchskräfte der Partei zwei Jahre lang intensiv auf die höchsten politischen Ämter vorbereitet. "Vielleicht ist sogar eine künftige Kanzlerin oder ein künftiger Kanzler dabei. Es geht um die SPD 2010 und 2020", sagte Bundesgeschäftsführer Martin Gorholt der Zeitung "Die Welt". Man helfe den Besten innerhalb der Partei, sich auf verantwortungsvolle Jobs vorzubereiten, hieß es auch aus dem Berliner Willy-Brandt-Haus.

Die Idee zur "Führungsakademie" stammt von Parteichef Kurt Beck und SPD-Generalsekretär Hubertus Heil. Von den fast 80 Bewerbungen wählte eine Jury, der auch Präsidiumsmitglied Andrea Nahles angehörte, die 40 Hoffnungsträger der Sozialdemokraten aus. Bei der Auswahl wurde selbst die Frauenquote berücksichtigt.

Die Teilnehmer der neuen Kaderschmiede bekleiden bereits alle ein politisches Amt. Obwohl zu den angehenden Spitzenpolitikern auch zehn Bundestags- und 17 Landtagsabgeordnete zählen, darunter die Bundestagsabgeordneten Michael Hartmann und Bettina Hagedorn sowie Nancy Faeser (Hessen) oder der Oberbürgermeister von Mönchengladbach Norbert Bude, sind ihre Namen in der bundespolitischen Landschaft doch weitgehend unbekannt (siehe Fotos). Das bekannteste Gesicht dürfte Sabine Bätzing sein. Die 32 Jahre alte SPD-Politikerin ist die Drogenbeauftragte der Bundesregierung.

"Dass die SPD eine Führungsakademie gründet, zeigt, dass die Partei ein Nachwuchsproblem hat", sagte der Göttinger Parteienforscher Franz Walter dem Abendblatt. Die SPD habe Angst, dass die Führungssubstanz in der Partei nicht reiche. Um Abhilfe zu schaffen treffen sich die Nachwuchskräfte an vier Wochenenden pro Jahr zu Kompetenztrainings. Inhaltlich stehen Themen wie "Vorsorgender Sozialstaat" oder "Globalisierung" auf dem Programm.

Der Politologe Franz Walter ist skeptisch, was den Erfolg dieser Kurse angeht: "Typen, die an Gittern rütteln, gehen nicht auf solche Schulen. Schröder und Lafontaine hätten keine Chance gehabt." Kaderschmieden würden ihren Teilnehmer beispielsweise oft eine spezifische Art der Sprache lehren, die für den politischen Erfolg gar nicht ausschlaggebend sei. "Politiker wie Franz-Josef Strauß oder Herbert Wehner wären bei Rhetorikkursen durchgefallen."

Der Politologe Karl-Rudolf Korte von der Universität Duisburg-Essen bescheinigt der Akademie immerhin, dass hier "Nachwuchskräfte lernen, Mehrheiten zu organisieren". Dass in der Akademie wenig bekannte Namen seien, spräche eher für die Einrichtung. "Die Leute, die jetzt oben sind, haben ihre Führungsqualitäten ja schon ausgespielt", sagte Korte dem Abendblatt. Im Grunde hätten alle Parteien eine Führungsakademie nötig: "Die SPD ist vorgeprescht."

Dass die SPD einen Pool künftiger Spitzenpolitiker tatsächlich benötigen könnte, zeigen die jüngsten Äußerungen des SPD-Politikers Rudolf Dreßler. Der frühere Bundestagsabgeordnete, Parlamentarische Staatssekretär und Vorsitzende der SPD-Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen sagte der "Rheinischen Post", für ihn sei die SPD keine Volkspartei mehr. Anderes zu behaupten, sei angesichts aktueller Umfragewerte von 24 Prozent einfach lächerlich.

"Wenn ich in diesen Laden gucke, bleiben Wut, Enttäuschung und Bitterkeit", sagte Rudolf Dreßler dem Blatt. Der ehemalige SPD-Vorsitzende und jetzige Chef der Linkspartei Oskar Lafontaine sei mehr Sozialdemokrat geblieben, als etwa Bundesarbeitsminister und Vizekanzler Franz Müntefering und Ex-Kanzler Gerhard Schröder. Die SPD habe sich in ihren wesentlichen Grundpositionen geändert, so Rudolf Dreßler.