Ein Studium der Vermerke macht klar: Das Kanzleramt stimmte einer Einreisesperre zu.

HAMBURG. Es sind diverse Aktenvermerke aus Ministerien und Geheimdiensten, die derzeit in den Medien zitiert werden und Außenminister Frank-Walter Steinmeier als den ehemaligen Kanzleramtsminister in Bedrängnis bringen. Ein Überblick der veröffentlichten Dokumente:

9. Januar 2002: Der Bundesnachrichtendienst (BND) unterrichtet das Bundeskanzleramt, dass US-Soldaten den 19 Jahre alten Türken Murat Kurnaz aus Bremen im afghanischen Kandahar gefangen halten. Er soll in das US-Gefangenenlager Guantanamo gebracht werden.

26. September 2002: Vertrauliche Mitteilung eines BND-Mitarbeiters aus der deutschen Botschaft in Washington an die BND-Zentrale Pullach, nachdem zwei BND- und ein Verfassungsschutz-Mitarbeiter Kurnaz in Guantanamo verhört haben: "1. Kooperationsbereitschaft von Murat Kurnaz extrem hoch - man traf sich zwei Tage lang zu Gesprächen. 2. USA sehen die Unschuld von Murat Kurnaz als erwiesen an. Er soll in sechs bis acht Wochen entlassen werden. Die deutschen Behörden werden vorab informiert, sodass seine Freilassung als von deutscher Seite erwirkt dargestellt werden kann. Auch eine Abholung von deutscher Seite sei möglich."

30. September 2002: Der Leiter des BND-Terrorismusreferats schreibt: "Meine Bitte an die US-Seite, K(urnaz) möglichst bald frei zu lassen, um ihn evtl. zu einem späteren Zeitpunkt in Deutschland nutzen zu können, wurde offensichtlich positiv aufgenommen." Es sei die Vorentscheidung gefallen, Kurnaz "noch bis November dieses Jahres nach Deutschland zu bringen".

2. Oktober 2002: Ein fast wortgleiches Schreiben geht an das Kanzleramt.

8. Oktober 2002: Nach einem Vermerk des BND an das Kanzleramt gebe es aufgrund der "von der deutschen Delegation ausgesprochenen Freilassungsempfehlung gute Chancen, dass Kurnaz eventuell schon im November 2002 freigelassen wird".

29. Oktober 2002: Im Bundeskanzleramt trifft sich die Präsidentenrunde mit Steinmeier, den Spitzen der Geheimdienste und Staatssekretären. Der BND plädiert für eine Abschiebung von Kurnaz in die Türkei und eine Einreisesperre für Deutschland. Kanzleramt und Innenministerium stimmen zu.

30. Oktober 2002: 5-Punkte-Plan aus dem Innenministerium, um Kurnaz' Rückkehr nach Deutschland zu verhindern. Danach soll dessen Heimatstadt Bremen notfalls angewiesen werden, die Aufenthaltserlaubnis zu entziehen. Damit diese auch aus Kurnaz' Pass gestrichen wird, soll den US-Behörden um Herausgabe des Passes gebeten werden.

7. November 2002: Die USA teilen dem Verfassungsschutz Details zur "Prüfung der US-Regierung zur Rücksendung von Guantanamo-Häftlingen" mit.

8. November 2002: Der Verfassungsschutz schreibt zurück, Kurnaz solle nicht nach Deutschland zurückkehren.

9. November 2002: Internes Schreiben des BND: Diese Entscheidung der Bundesregierung stößt in den USA auf Unverständnis.

24. Februar 2003: Nach einem CIA-Vermerk werde "zum gegenwärtigen Zeitpunkt einer Verlegung aus Guantanamo nicht zugestimmt". Zwei Tage zuvor soll Kurnaz bei einer Vernehmung einen unsicheren Eindruck gemacht haben.

14. Juli 2006: Kanzlerin Angela Merkel spricht mit US-Präsident George W. Bush über Kurnaz.

24. August 2006: Murat Kurnaz kehrt nach Deutschland zurück.

Quellen: Süddeutsche Zeitung, Stern, Der Spiegel, Berliner Zeitung, Die Zeit