Wer auch immer Enthüllungen lanciert - was sollen Medien berichten dürfen?

Berlin. Im August 2006 war Horst Seehofer in Geberlaune. Er empfing die Abgesandten einer Illustrierten in seinem Sommerhaus im Altmühltal. Ließ sich mit Frau und Töchtern fotografieren und pries sein Refugium an: "Hier entspanne ich mich im Kreis meiner Lieben vom Politikalltag, hier tanke ich Kraft für die nächsten Regierungsjahre!"

Viereinhalb Monate liegt dieser Auftritt zurück. Wenn stimmt, was in diesen Tagen über den Minister verbreitet wird - und angesichts ausgebliebener Dementis mag man kaum noch daran zweifeln - , fragt man sich, warum er das damals gemacht hat. Und es fällt einem nur eine einzige Antwort ein: aus übergroßer Freude, politisch endlich wieder da zu sein, und die Welt das auch wissen lassen zu wollen. Auf die damals vermeintlich unverfängliche Frage, was er denn seiner Frau verdanke, hat Seehofer geantwortet: "Dass sie seit 25 Jahren eine wunderbare Mutter und verständnisvolle Ehefrau ist." Wie verständnisvoll Karin Seehofer tatsächlich ist, wird man womöglich in nächster Zeit noch erfahren.

Eine andere Frage ist: Darf man über private Angelegenheiten wie die des Horst Seehofer überhaupt berichten? Wer immer solche "Enthüllungen" in die Öffentlichkeit lanciert und mit welchem Ziel - wo werden die Grenzen zwischen Persönlichem und Politischem unzulässig überschritten? In vielen prominenten Fällen, allen voran jener der Caroline von Monaco, haben Gerichte zugunsten der Privatheit entschieden. Gleichwohl wird auch künftig die Abwägung zwischen den kollidierenden Rechtsgütern der Pressefreiheit und dem Persönlichkeitsrecht immer wieder Juristen beschäftigen. Und nicht nur die.

Dabei ist die Sache Seehofer nicht wirklich ein Aufreger. Und das ist das Erstaunlichste an der Affäre. Ja, denkt man sich, vielleicht ist der Minister ein Heuchler, möglicherweise auch ein Dummkopf, der geglaubt hat, dass er sich ein Doppelleben leisten kann, weil die anderen schon genug Anstand haben werden, die Sache nicht publik zu machen. Obwohl: Hätte er nicht noch im Hinterkopf haben müssen, was dem Kollegen Theo Waigel 1993 zugestoßen ist? Als Teile der CSU die außereheliche Beziehung des damaligen Bundesfinanzministers zu der Skiläuferin Irene Epple instrumentalisierten, um Waigel als Ministerpräsidenten zu verhindern und Edmund Stoiber zu installieren? Waigel, der zu dem Zeitpunkt längst von seiner Frau getrennt lebte und sich als gläubiger Katholik in furchtbare Konflikte gestürzt sah, hat Jahre später gesagt: "Wenn es ganz hart gekommen wäre, hätte ich für Irene die Politik aufgegeben."

Das war, wie sich herausstellte, nicht nötig. Die Republik war nicht mehr so moralinsauer wie 1965, als Hamburgs Bürgermeister Paul Nevermann mit den Worten zurückgetreten war: "Entschlüsse in meinem privaten Lebensbereich haben mich mit meinem Amt in einen Konflikt gebracht. Diese persönlichen Entschlüsse kann und will ich nicht rückgängig machen."

Ein Staatsbesuch hatte Nevermann bloßgestellt. Als Königin Elizabeth II. im Mai in Hamburg erwartet wurde, weigerte sich Grete Nevermann, der Öffentlichkeit weiter die glückliche Ehefrau vorzuspielen. Nevermann war gezwungen, die Queen gemeinsam mit Ilse Engelhard, der Frau seines Stellvertreters, in Empfang zu nehmen, und angesichts dieses befremdlichen Auftritts erkannten alle, was Nevermann monatelang geheim gehalten hatte: dass seine Ehe kaputt war. Dass ihr Erster Bürgermeister sich längst einer anderen Frau zugewandt hatte, erfuhren die Hamburger nun postwendend auch. Viele waren empört. In einem Zeitungskommentar hieß es: "Er hat es nicht verstanden, seine persönliche Angelegenheit, die er für eine private Sache hält, aus der für einen so hohen Besuch erforderlichen Repräsentanz herauszuhalten."

Welches Drama sich jenseits der Mauer bereits zehn Jahre früher abgespielt hatte, begriff man erst Jahrzehnte später. Der Genosse Erich Honecker, seit 1950 mit der Genossin Edith Baumann verheiratet, hatte sich in die Genossin Margot Feist verliebt und damit für größte Unruhe in der Partei gesorgt. Zumal die Genossin Baumann gerade erst entbunden hatte und die Genossin Feist schwanger war. Und bei dem Genossen Walter Ulbricht ein Brief eingetroffen war, in dem es zornig hieß: "Wie Ihnen vielleicht zu Ohren gekommen ist, poussiert mein Mann mit einer gewissen Genossin namens Margot Feist. Nachts kommt er nicht vor eins nach Hause. Genosse Ulbricht, um weiteren Schaden von meiner Ehe und ihrem öffentlichen Ansehen abzuwenden, bitte ich Sie, besagtes Fräulein Feist nach Sachsen-Anhalt zu versetzen."

Vergebens. Allerdings griff die Partei später in das Standesamtsregister ein: Sie ließ die Heirat von Erich und Margot Honecker von 1955 auf 1953 zurückdatieren, um zu kaschieren, dass Sonja Honecker unehelich geboren war.

Eine Affäre, sagt das Lexikon, sei "eine besondere, oft unangenehme Sache", ein "peinlicher Vorfall". Erfunden haben das etwas schillernde Wort natürlich die Franzosen. Seit einem Filmerfolg aus den 80er-Jahren wird es bei uns gern mit dem Begriff "verhängnisvoll" gekoppelt, aber zum Verhängnis werden amouröse Affären deutschen Politikern schon lange nicht mehr. Willy Brandt stürzte erst über Günter Guillaume - die sogenannte Schlafwagen-Affäre kannten bis dahin nur wenige Eingeweihte. Gerhard Schröder überstand den Wechsel von Ehefrau Nummer drei (Hiltrud Hensen) zu Ehefrau Nummer vier (Doris Köpf), was die öffentliche Meinung anbetraf, unbeschadet, und von Außenminister Joschka Fischer wusste man irgendwann, dass er "die Neue" ganz sicher auch heiraten würde. Sogar Rudi durfte machen, was er wollte. Das Volk schaute zu, wie Verteidigungsminister Rudolf Scharping - nach der Trennung von seiner Frau - völlig losgelöst mit seiner Gräfin Pilati in Talkshows turtelte oder sich mit ihr beim Planschen im Swimmingpool ablichten ließ, während seine Soldaten auf dem Balkan ihr Leben riskierten. Das hat zweifellos seinen Sturz befördert, entlassen wurde er von Kanzler Schröder schließlich, weil er ein sechsstelliges "Honorar" von einem PR-Berater angenommen hatte.

Auch schon in die Zeit der sogenannten Berliner Republik fielen die Fälle der CDU-Politiker Pflüger und Wulff. Friedbert Pflüger, seinerzeit Verteidigungsstaatssekretär, trug den Rosenkrieg mit seiner Ex, "der schönen Griechin" Margarita Mathiopoulos, in den Medien aus und wurde trotz seiner Liason mit seiner Assistentin von der Berliner CDU als Spitzenkandidat für die Wahl 2006 aufgestellt. Und Christian Wulff, seit 2003 Ministerpräsident in Niedersachsen, trat unter dem Beifall vieler Medien die Flucht nach vorn an, nachdem er beschlossen hatte, seine Frau zu verlassen und mit einer anderen zusammenzuleben. Man gehe "im Guten" auseinander, ließen die Wulffs wissen.

Die Republik ist zweifellos erwachsener geworden. Vielleicht aber auch nur gleichgültiger. In den verklemmten 50er-Jahren nahm ein souveräner Konrad Adenauer seinen der Homosexualität verdächtigten Außenminister Heinrich von Brentano mit der Bemerkung in Schutz: "Also wissen Se, solange der misch nit anfasst, isset mir ejal!" Heute werden Hamburg und Berlin von Homosexuellen regiert. Wen regt das auf? So gut wie niemanden. Im Gegenteil. Die meisten werden es für einen großen gesellschaftlichen Fortschritt halten.