. . . halb zog man ihn: Wie der Ex-VW-Personalvorstand im Sumpf von Lustreisen und Sexpartys versank.

Hamburg. "Das war alles nicht seine Welt", sagt ein Insider über Peter Hartz. Nein, diese Lustreisen, die Sausen mit bestellten Frauen, dies alles dürfte der frühere VW-Personalvorstand nicht wirklich genossen haben. Der Namensgeber der umstrittenen Arbeitsmarktreformen gilt als stockkonservativ, ist Katholik und nicht der Kumpeltyp, der bei derben Männervergnügen in seinem Element ist - eher stand er am Rande, ein an sich treuer Ehemann, der sich auch "aus Respekt für seine kranke Frau so zurückhaltend verhielt", sagten Beobachter dem Abendblatt.

Und dann diese Berichte über Joselia aus dem Edelbordell "Elefante Branco" in Lissabon. Über eine Nacht mit der Schönen in Paris, die "Betriebsratsanimateur" Klaus-Joachim Gebauer organisiert hatte, wer auch sonst, denn "Hartz wäre zu Verhandlungen mit einer Prostituierten gar nicht in der Lage gewesen", heißt es über den Diplom-Betriebswirt.

Ein Mann, der sich als Weltverbesserer sah, der noch im Oktober 2005 der "Zeit" erzählte, er träume davon, dass ihn der Bundespräsident zu "einer Tafelrunde zur Reduzierung der Arbeitslosigkeit" einlade: "Und es träumt mir, ich sei Alleinherrscher, ein wunderbarer, sympathischer, liebevoller Alleinherrscher, wie ihn die Weltgeschichte bisher noch nicht gekannt hat und der für sein Volk nur das Beste will." Andererseits, so schätzten seine Fahrer die Lage gegenüber dem "Stern" ein, würde Hartz, "wenn er nach Braunschweig fahren würde, bestimmt nicht alleine wieder zurückfinden."

Spätestens heute ist der Träumer aus dem Saarland auf dem Boden der Tatsachen gelandet, und zwar sehr unsanft. Er wird kurz vor zehn Uhr, begleitet von einer Phalanx von Journalisten, in Braunschweig den Gerichtssaal Nr. 141 betreten. Und in diesem Blitzlichtgewitter wird der 65-Jährige sich nicht sonnen. Hier geben die Richter die Dramaturgie vor, Hartz, Sohn eines Hüttenarbeiters, der es zum Duz-Freund und Berater von Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder brachte, darf nur sprechen, wenn er gefragt wird.

Er muss die Details der ihm vorgeworfenen Begünstigung eines Betriebsrats nennen. Hartz werde selbst aussagen, sagte sein Verteidiger und Freund Egon Müller vor Beginn des Verfahrens. Er wird ausführen müssen, dass unter dem Deckmantel der Sozialpartnerschaft über Jahre betrieben wurde, was in diesem Land bisher kaum vorstellbar war. Dass er dem einstigen Betriebsratschef Klaus Volkert in zehn Jahren zwei Millionen Euro an Sonderboni für dessen Wohlwollen gezahlt hat und dessen brasilianischer Freundin 400 000 Euro zukommen ließ. Dass Lustreisen und Schmuck für Ehefrauen über seine Kostenstelle verbucht worden sind.

Die Anklage lautet auf Begünstigung eines Betriebsrats in 23 Fällen und Untreue in 44 Fällen. Schwierig zu beurteilen ist dabei, inwiefern der Betriebsrat als Folge der Annehmlichkeiten im Sinne der Arbeitgeber handelte - gilt VW doch als sehr sozialer Konzern. Und kann es als Untreue, also Vermögensschädigung ausgelegt werden, wenn Hartz zwar Hunderttausende an Volkert auszahlte, aber so eventuell kostspielige Streiks verhinderte?

Für sein Geständnis bleibt dem Familienvater der Auftritt von Damen wie Joselia erspart: Die Anklage wegen der von VW bezahlten Liebesdienste hat die Justiz als "unwesentliche Nebenstraftaten" fallen lassen. "Es geht dabei um einige 1000 Euro, aber im Gegenzug gesteht Hartz Fälle mit einem Schaden von mehr als zwei Millionen Euro vor Gericht", sagte der Braunschweiger Staatsanwalt Joachim Geyer dem Abendblatt. Dieses Vorgehen hatte bereits im Vorfeld der heutigen Verhandlung für Kritik gesorgt. Warum verschont man den prominenten Reformer mit Aussagen von Prostituierten? Wird hier nicht mit zweierlei Maß gemessen? Sollte hier, wie die Öffentlichkeit bereits beim Mannesmann-Prozess monierte, einem Wirtschaftsboss eine privilegierte Behandlung zuteil werden?

Nein, sagen Juristen und verweisen auf etliche Fälle, die ohne diese Vereinfachung, das sogenannte Selbstleseverfahren, jeglichen Kosten- und Zeitrahmen sprengen würden. Warum sollte man Joselia für viel Geld nach Braunschweig kommen lassen, damit sie dort über "ihren Peter" aussage, wenn dadurch das Strafmaß nur geringfügig beeinflusst wird?

Durch dieses juristische Instrument wird die Öffentlichkeit heute jedenfalls nicht noch einmal mit Gesprächsstoff über Lustreisen oder die Vorkommnisse in einer von VW eigens für Bettgeschichten angemieteten Braunschweiger Wohnung versorgt. Ebenso wenig kann man für den zweiten und letzten Verhandlungstag, den 25. Januar, ein spektakuläres Urteil für Hartz erwarten oder gar einen Gefängnisaufenthalt. Juristen erwarten eine Bewährungsstrafe von eineinhalb bis zwei Jahren und eine Geldauflage. Hartz sei schließlich Ersttäter und habe ein Geständnis abgelegt.

Und die schlimmste Bestrafung mache Hartz bereits durch - neben der sozialen Ächtung auch den Hass zumindest etlicher Arbeitsloser, die einen in Deutschland so bekannten Mann wie Hartz für ihre Lage verantwortlich machen. Die Fragen, ob die nach ihm benannten Reformen nicht umbenannt werden sollten. Und die Zweifel, ob die Ehrendoktorwürde, der Titel Prof. h.c., mit dem sich der Aufsteiger gerne schmückte, noch angemessen sei.

Dabei gab es so viele Momente, in denen der 65-Jährige nicht als Angeklagter im Mittelpunkt stand, sondern als kluger Vordenker. Als Erfinder neuer Wege, um Menschen vor der Arbeitslosigkeit zu bewahren. So war es Hartz, der am 16. August 2002 sein Reformprojekt für die Regierung Schröder präsentierte, in einer ehrfurchtsgebietenden Vorstellung im Französischen Dom auf dem Gendarmenmarkt in Berlin. 1994 konnte er seinen Chef Ferdinand Piëch überzeugen, die Vier-Tage-Woche einzuführen, und galt fortan als Retter von 30 000 Arbeitsplätzen bei VW. Ähnlicher Pioniergeist umwehte Wolfsburg noch einmal, als Hartz 2001 mit dem Modell 5000 x 5000 bei VW Tausende neue Arbeitsplätze zu einem Einheitslohn von 5000 Mark garantierte.

Heute, in einer globalisierten Welt, entpuppen sich viele der von Hartz erdachten Modelle als nicht mehr zeitgemäß. Die mit reichlichen Privilegien ausgestatteten VW-Werker müssen den Gürtel enger schnallen. Sichere Jobs gibt es inzwischen auch in Wolfsburg nicht mehr.

Aus der Traum - für einen Mann, der sich in seinem System VW verhedderte. Für Millionen Jobsuchende, denen Hartz einst die Halbierung der Arbeitslosenzahlen versprach. Und für viele Bürger, die sich angesichts der Schmuddelgeschichten aus einem der größten deutschen Industrieunternehmen verwundert die Augen reiben und fragen, ob Fälle wie VW, Mannesmann oder die Korruptionsskandale bei Siemens oder Infineon doch die Regel und nicht mehr nur die Ausnahme sind. Und warum viele Schuldige dabei so lasch bestraft werden.