Ansichtssache

Ist Henrico Frank Deutschlands frechster Arbeitsloser? "Waschen und rasieren Sie sich erst einmal, dann finden Sie auch Arbeit", hatte SPD-Chef Kurt Beck vor einer Woche dem offensichtlich alkoholisierten Mann entgegengehalten, als der den rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten auf einem Weihnachtsmarkt wegen der Hartz IV-Reform anpöbelte.

Kurt Beck hat für diesen Satz viel Zustimmung bekommen, und nicht nur vom Stammtisch. Endlich mal ein Politiker, der ungeschminkt seine Meinung sagt, auch wenn die vielleicht politisch nicht ganz korrekt sein mag. Beck musste sich aber auch Kritik anhören. Er mache keine Unterschiede zwischen jenen, die sich in unserer Gesellschaft gemütlich im bezahlten Nichtstun einrichten, und dem großen Heer der Arbeitslosen. Er instrumentalisiere menschliche Schwäche für sein eigenes Image als gerechter, aber hart durchgreifender Landesvater.

Die Geschichte von Henrico Frank und Kurt Beck wirft ein vielseitiges Schlaglicht auf unser Land und auf unsere zersplitterte Gesellschaft. Sie zeigt, dass die Politik bislang kaum geeignete Instrumente gefunden hat, Menschen wie Henrico Frank wieder in den Arbeitsprozess einzugliedern. Wer bei uns nicht arbeiten will, braucht es offensichtlich auch nicht. Die Sanktionen für soziales Schmarotzertum halten sich in engen gesetzlichen Grenzen.

Die Geschichte weist auch auf das materielle Gefälle unserer Gesellschaft hin, das gerade zu Weihnachten besonders augenfällig wird. Da gibt es die einen, die sich zu Weihnachten schöne Geschenke unter dem Tannenbaum reichen, und die vielen anderen, die dies, weil sie keine Arbeit haben, nicht können.

Das an sich ist alles bekannt und kein Stoff, der, und auch das mag man bedauern, so viel Aufhebens wie um den Punk Frank nach sich zieht. Jede Gesellschaft weist materielle Unterschiede auf. Arm und reich ist an sich kein Makel. Und noch sorgt unser Sozialstaat für jene, die - verschuldet oder unverschuldet - nicht für sich selbst sorgen können. Aber darum geht es in diesem Fall nicht. Der 38 Jahre alte Punk Henrico Frank hat offenbar keine Lust auf Arbeit - "Arbeit ist Scheiße" steht auf einem Anstecker, den er trägt. Und sollte er aus gesundheitlichen Gründen nicht schwer arbeiten können, warum sagte er dies nicht von Anfang an? Tatsächlich stößt Frank mit seinem Verhalten Hunderttausende von Menschen, die mit ihm das Schicksal der Arbeitslosigkeit teilen, vor den Kopf. Während die Mehrheit der Arbeitslosen oft vergeblich Dutzende von Bewerbungsschreiben verschickt, lässt der seit sechs (!) Jahren arbeitslose Bauarbeiter nun Jobangebote, die ihm der Ministerpräsident zuschickte, prüfen. Von einer Arbeitsloseninitiative, die ihn ganz offensichtlich vor ihren Karren spannt oder vielleicht sogar hinter allem steht. Und die Baubranche boomt gerade.

Konnte der gutwillige Zeitgenosse bis zu diesem Punkt noch denken, "so ist das nun mal in unserem Land", möchte er nun nur noch verschont werden von der Geschichte dieses Henrico Frank. Wir möchten nichts mehr hören von ihm. Außer vielleicht, dass er endlich das tut, was Millionen Menschen in diesem Land auch tun: regelmäßig ihrer Arbeit nachzugehen.