Schwerin. Dass in Deutschland niemand hungern muss, stimmt nach Ansicht von Bärbel Schirrmacher vom Kinderschutzbund in Schwerin schon lange nicht mehr. Vor fünf Jahren etwa bemerkte sie im Kinderhaus, einem Freizeittreff im Plattenbaugebiet Großer Dreesch, dass einige Schüler unbegründet aggressiv waren. Kein Wunder - sie hatten nachmittags um drei noch nichts gegessen. Das Schulessen ist mit bis zu 2,85 Euro für arbeitslose Familien sehr teuer, selbst Schulbrote haben nicht alle Kinder dabei. Die Mitarbeiterinnen hätten für solche Schüler schon immer eine Stulle mehr mitgenommen, sagt Schirrmacher, doch ließ sich so das Problem nicht lösen.

Schließlich wurde ein Sponsor gefunden, der einen kostenlosen Mittagstisch für zwölf Kinder einrichtete. Nach vier Monaten war er pleite. Dann entstand die Idee für den Pädagogischen Mittagstisch, den es heute noch gibt und bei dem die Esser mehr als nur Verpflegung bekommen.

22 Schüler zwischen neun und 17 Jahren kommen täglich zum Essen ins Kinderhaus. Der Tisch ist gedeckt mit Schüsseln voll Spaghetti, Sauce Bolognese und Käse, mit Nachspeise und Saft, jeder Teller auf einem Platzdeckchen. Die Mädchen und Jungen essen und lachen.

Es geht fast familiär zu. "Peter, bitte iss auf, sonst gibt's schlechtes Wetter", neckt ein Mädchen sein Gegenüber. Der Junge fragt Rosemarie Rindler, die über eine Maßnahme der Arbeitsagentur zum Verein kam, Essen ausgibt und nachmittags mit den Kindern basteln wird: "Rosi, darf ich aufstehen?" Er räumt sein Geschirr weg.

"Das war zuerst nicht selbstverständlich", erinnert sich Bärbel Schirrmacher. Einfachste Tischmanieren, selbst Bitte und Danke, waren verloren gegangen. Heute würden diejenigen, die länger dabei sind, Neuen sagen: Du brauchst dir nicht so viel aufzufüllen, es ist genügend da.

Schirrmacher wertet das als Erfolg der pädagogischen Mittagsrunde. In vielen Familien werde nicht mehr gemeinsam gegessen: "Die Kinder machen sich eine Stulle und essen allein in ihrem Zimmer, vor dem Fernseher." Es wird nur noch wenig geredet. Eltern, die vielleicht seit Jahren arbeitslos sind, fehlt die Kraft, bei Problemen zuzuhören. "Die leben in einer anderen Welt", meint Ute Westphal, die langzeitarbeitslose Familien betreut. Durch den Mittagstisch hätten die Mitarbeiterinnen endlich auch mehr Eltern kennengelernt, denn der Aufnahme an den Tisch gehe ein Gespräch voraus. Sie hätten niemals Eltern getroffen, die sich mit Hartz IV arrangierten. "Alle wollen da raus." Es mag andere Beispiele geben, räumt Schirrmacher ein. "Aber die kenne ich nur aus dem Fernsehen."

Schon kommen die nächsten Esser, je nach Unterrichtsschluss und Weg aus den verschiedenen Schulen. Sie zahlen 30 Cent pro Essen, zwei Euro gibt der Kinderschutzbund aus Spenden dazu. 10 000 Euro braucht der Verein im Jahr. Ein ständiger Sponsor, der Planungssicherheit gibt, ist ein großer Wunsch der vier Mitarbeiterinnen.