Auslandsspionage: Aktivitäten in Bagdad haben eine Debatte darüber ausgelöst, was Deutsche Agenten dürfen sollen. Von einer schwerfälligen Behörde hat sich der BND zu einem modernen, international geachteten Frühwarnsystem entwickelt.

Hamburg. Der "Sattelhof" am Bonner Platz in München galt jahrelang als eine der konspirativsten Außenstellen deutscher Agenten. Von dort aus steuerte der Bundesnachrichtendienst (BND) einen Großteil der DDR-Spionage. Oberste Geheimhaltung. Dachte man. Bis im Wiedervereinigungs-Jahr 1990 "ein asketisches Männchen im Trenchcoat, eine abgegriffene Aktentasche unter dem Arm", klingelte. "Der heftig sächselnde Fremdling" bat um ein Gespräch, schreibt der ehemalige BND-Agent Norbert Juretzko in seinem Buch "Bedingt dienstbereit". Die Begründung des Ostdeutschen: "Ich habe Sie in den letzten Jahren bearbeitet!" Der BND hatte einen Feind ausspioniert, der ihn selbst bestens im Blick hatte.

Das sind die Geschichten, über die man gern schmunzelt. Geschichten über eine 6000 Mitarbeiter starke Behörde, die mehr mit sich selbst beschäftigt ist als mit ihrer Aufgabe. Verdeckt und trottelig statt transparent und effizient. Mehr Mr. Bean als Mr. Bond. Wenn solche seltenen Berichte aus dem streng abgeschotteten Geheimdienst herausdringen, finden sie reißenden Absatz. Der Blick durchs Schlüsselloch reizt.

Juretzko, der im Untertitel selbst von einer "Abrechnung eines Aussteigers" spricht, war allerdings selbst in einen der größten internen Skandale des BND verwickelt und wurde 2003 in einem nichtöffentlichen Verfahren wegen Betruges verurteilt. Er beschreibt den BND als einen schwerfälligen Apparat, in dem mehr auf Einhaltung der Arbeitszeit als auf die Lösung von Problemen geachtet wird. "Dilettanten-Verein", schimpfte ihn schon Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD), und auch sein Nachfolger Helmut Kohl gab nicht viel auf die wöchentlichen Berichte der Geheimen. Die Hauptstadt Bonn und die BND-Zentrale Pullach bei München waren weit voneinander entfernt, und keiner traute dem anderen etwas zu.

Wieviel von Juretzkos Erzählungen stimmen, bleibt im dunkeln. Vom BND heißt es dazu nur: "Das ist die Beschreibung eines Dienstes in der Krise nach dem Ende des Kalten Krieges. Jetzt haben wir eine ganz andere Situation."

In der Tat. Aus dem streng Richtung Osten ausgerichteten, festgefahrenen Geheimdienst ist ein modernes, professionelles Frühwarnsystem für die deutsche Politik geworden. Jetzt sucht man auch die Nähe zueinander. Bis 2011 soll der BND, der mit seinen Führungsabteilungen teilweise schon in Berlin sitzt, ganz in die Hauptstadt umziehen.

In den Krisenherden Tschetschenien, dem Balkan und der muslimischen Welt sei der BND so gut informiert, daß er sich "hinter niemandem verstecken" muß, sagt der Sicherheitsexperte Berndt Georg Thamm. "Er hat sich vom Schlapphut-Image befreit."

Die wöchentlichen Berichte ans Kanzleramt finden inzwischen dort viel Beachtung. Welcher Gefahr sind deutsche Soldaten, Politiker oder Touristen im Ausland ausgesetzt? Wo drohen Anschläge, in welchem Land neigen sich die Ölreserven dem Ende zu, aus welcher Richtung kommen Flüchtlingsströme? Der BND hat es im Blick.

Als der damalige Bundespräsident Johannes Rau im März 2004 die in Dschibuti stationierten deutschen Soldaten besuchen wollte, ließ er sich vom BND überzeugen, dies wegen Attentatsgefahr abzubrechen.

Wie viele der Mitarbeiter allerdings im Ausland vor Ort sind, ist geheim. Nur soviel wird preisgegeben: Der BND unterhält 80 ständige Residenzen im Ausland. Ganz offiziell, oft auch den Botschaften angegliedert.

Sie gehören zur Abteilung 1 "Operative Aufklärung" und beschaffen alle erdenklichen Informationen. Das beginnt beim Zeitunglesen und geht bis zum "Abschöpfen von Humanquellen" - Tips von Informanten, die Zugang zu sensiblen Bereichen haben. Die Abteilung 2 "Technische Beschaffung" durchforstet die Telekommunikation wie Telefonate, E-Mails und Faxe. Seit Sommer 2001 gibt es zusätzlich die Abteilung 5 "Operative Aufklärung/Auswertung", die auf islamistischen Terrorismus und organisierte Kriminalität spezialisiert ist.

Alle Informationen werden dem Kernbereich des BND gemeldet: Abteilung 3 "Auswertung". Dort analysieren und bewerten Spezialisten die Informationen und stellen daraus Lagebilder zusammen. Die Struktur ist bekannt und auf der Internet-Seite des BND nachzulesen. Wie sie im Detail ausgefüllt wird, bleibt aber im verborgenen.

Konsequent hat der Vorgänger des jetzigen BND-Präsidenten Ernst Uhrlau, August Hanning, seit 1998 dennoch auf soviel Öffnung und Transparenz wie möglich gesetzt. Schon sein Vorgänger Hansjörg Geiger hatte 1996 vor der meterhohen Mauer um die BND-Zentrale in Pullach das vermeintliche Tarnschild "Bundesvermögensverwaltung Abteilung Sondervermögen, Außenstelle München" abmontieren lassen. Seitdem steht dran, was auch drin ist: Bundesnachrichtendienst.

Einmal im Jahr präsentiert sich der BND in Berlin auf einem internationalen Symposium Fachleuten und Journalisten aus aller Welt wie ein hochmodernes Sicherheitsunternehmen. Daß Hanning dabei auch schon einmal den Sohn des libyschen Revolutionsführers Muammar el-Gaddafi als "lieber Herr Saif al-Islam" begrüßte, läßt erahnen, daß der BND auch die Nähe zu Menschen sucht, die nicht immer als politisch korrekt gelten. Saif Gaddafi allerdings ist die Bundesregierung zu Dank verpflichtet: Er war an der Lösung des Geiseldramas auf den Philippinen beteiligt, bei dem 2000 auch die Göttinger Familie Wallert gekidnappt worden war.

Waren vom Gründer des BND, Reinhard Gehlen, damals nicht einmal Fotos im Umlauf, so gab Hanning - und sein Nachfolger Uhrlau tut es ebenfalls - sogar Interviews. Längst müssen die Mitarbeiter nicht mehr auf Umwegen ins Büro. Die Adressen in Pullach und Berlin sind bekannt.

Mehr Offenheit bedeutet jedoch nicht, daß die operativen Einsätze an die Öffentlichkeit gelangen. Die kleinste Information, die aus den geheimen Akten nach außen dringt, so hat Hanning es immer wieder klargemacht, kann die Informanten ihr Leben kosten. Außerdem steht dadurch die Zusammenarbeit mit Diensten anderer Länder auf dem Spiel. Ein Austausch mit dem israelischen Mossad, der amerikanischen CIA oder auch den Nachfolgediensten des russischen KGB ist spätestens seit den Terroranschlägen vom 11. September üblich, sogar notwendig.

Deswegen reagiert die BND-Spitze bei entsprechende Berichten immer äußerst alarmiert. Ob das allerdings rechtfertigt, auch Journalisten zu beobachten, ist äußerst fraglich. Vor einigen Monaten kam heraus, daß der BND 1994 Erich Schmidt-Eeenboom, der ein Buch mit BND-Interna veröffentlicht hatte, andere Journalisten observiert hat. Ein unabhängiger Sachverständiger soll nun den Vorgang prüfen. Hanning bedauerte die Observation. Solche Überwachungsaktionen eines Geheimdienstes, dessen Arbeit größtenteils undurchsichtig bleibt, schaffen immer wieder Mißtrauen. Sie gehören hoffentlich in die alte Zeit - das Bedauern Hannings sicher in die neue.