Kommentar

Gerichtsurteile haben mitunter obskure Folgen. Da verfügt das Bundesverfassungsgericht, Eltern in der Pflegeversicherung gegenüber Kinderlosen zu entlasten. Und was macht die Politik? Sie denkt nicht daran, Eltern zu entlasten. Sie plant vielmehr, Kinderlose per Zuschlag stärker zu belasten. Dass sich die einen künftig besser fühlen werden, nur weil die anderen um ein paar Euro schlechter gestellt werden, ist nicht anzunehmen. Man darf aber davon ausgehen, dass viele Bürger an der Redlichkeit von Politikern zweifeln, die sich Vorgaben des höchsten Gerichts auf solche Weise zurechtbiegen.

Und dennoch wäre es nicht gerecht, jetzt unter großem Geheul voller Wut nur über Rot-Grün herzufallen. Denn die Koalition handelt gleichsam in einem Akt finanzieller Notwehr. Das Bundesverfassungsgericht mag verfügen, was es will: Das Geld für eine echte Entlastung, also eine Beitragssenkung für Eltern, ist schlicht nicht da. Die Pflegeversicherung häuft Jahr für Jahr hohe Defizite auf und zehrt von Rücklagen aus der Anfangszeit. Die werden - wenn nichts passiert - in drei, vier Jahren aufgebraucht sein. Entweder werden dann Leistungen für Pflegebedürftige rigoros gekürzt oder die Beiträge erhöht oder aber neue Finanzierungswege gefunden.

Bisher stecken Koalition wie Opposition leider den Kopf in den Sand. Sie drücken sich um die Vorlage plausibler Reformkonzepte, weil sie unangenehme Wahrheiten ungern laut aussprechen wollen. Doch die Wahrheit heißt: Für Pflege wird diese Gesellschaft künftig mehr Geld aufwenden müssen, weil anders eine menschenwürdige Betreuung der Schwächsten und Gebrechlichsten nicht zu leisten sein wird. Wer behauptet, durch eine Reform sei die Pflege besser und zugleich billiger zu haben, lügt allen etwas vor, ob Eltern oder Kinderlosen. Auch in der Pflegedebatte sind mehr Ehrlichkeit und weniger Selbstbetrug dringend nötig.