Wie sich SPD- und FDP-Anhänger in Thüringen ihre Niederlagen erklären - eigentlich gar nicht . . .

Erfurt. Herr Witt sieht so aus, als wäre er den Tränen nahe. Herr Witt hat im thüringischen Pößneck für die Liberalen kandidiert, und wie das ausgegangen ist, weiß man ja. In seiner abgrundtiefen Enttäu-schung lässt sich Herr Witt dazu hinreißen, auf die Frage, ob der blasse Uwe Barth denn der rich-tige FDP-Spitzenkandidat gewesen sei, zu antworten: "Das war der Einzige!" Herr Witt hat trotzdem ein Schnitzel gegessen bei "Schnitzel-Heinz". Nach der er-sten Prognose, die das ganze Ausmaß der Katastrophe ja schlagartig bekannt gemacht hat. Erneut wird die FDP nicht im Erfurter Landtag sitzen.

Tatsächlich hat Herr Witt nie weniger Appetit auf ein Wiener Schnitzel gehabt als gestern Abend um sechs Uhr, aber anstandshalber hat er es heruntergewürgt. Um dem Wirt eine Freude zu machen, der auf weiteren 129 Schnitzeln festsaß. Und auf Bergen von Kartoffelsalat. Herr Witt, der sein Geld als Rechtsanwalt verdient, ist so erledigt, dass er den Abend so für sich zusammenfasst: "Das ist nun mal Tatsache, dass uns der Anteil der Thüringer gewählt hat, der uns gewählt hat." Aha.

Auf der CDU-Wahlparty pichelt man seit sechs Uhr munter ein-heimisches "Braugold". Weil Dieter Althaus noch nicht da ist, springt Parteifreund Manfred Ruge ein. "Froh und erleichtert" sei er, sagt Erfurts Oberbürger-meister, dass die Grünen einen Denkzettel gekriegt hätten. Mit denen könne man doch keine Wirtschaftspolitik machen. Was die für Vorstellungen hätten!

Nachdem Ruge so ziemlich jedem anwesenden Journalisten versichert hat, dass er froh und erleichtert ist, fangen die Damen und Herren der A-capella-Band "Rest of best" draußen im Biergarten mit ihrem Musikprogramm an. "Killing me softly" säuseln sie in die Mikrofone, während drinnen die erste Hochrechnung über die Bildschirme läuft, die von der dramatischen Niederlage der SPD kündet. Und: "For the longest time".

Auf der Großbildleinwand taucht ein Herr Schulze auf. Der bedauernswerte Mann, seines Zeichens SPD-Landesgeschäftsführer, soll die Niederlage der Sozialdemokraten erklären. Aber was sagt man zu 14,5 Prozent? Frank Schulze, der einen gefährlich roten Kopf hat, weiß es auch nicht. Und überhaupt, wer inter-essiert sich schon für einen wie Schulze, wenn Christoph Mat-schie sich erklären müsste?

Der gescheiterte SPD-Spitzenkandidat? Oberbürgermeister wirft eine Blick auf den armen Schulze und sagt, er finde es sehr traurig, dass die SPD nicht die zweitstärkste Fraktion geworden ist. Zweitstärkste Fraktion sind sie da ja schon lange nicht mehr, aber so einen rabenschwarzen Tag wie diesen haben sie noch nie erlebt. Irgendwann taucht Matschie im Erfurter Landtag auf.

Lächelt wie einer, der die anderen um gar keinen Preis merken lassen will, welche persönliche Katastrophe er gerade erlebt hat: geschockt. Sagt immer wieder: "Warten Sie doch erst mal das Ergebnis ab". Egal, was man ihn fragt. Wie eine Maschine. Aber zu diesem Zeitpunkt, um sieben, muss niemand mehr das Wahlergebnis abwarten.

Wird er nur, wie vor der Wahl immer wieder beteuert, Opposition im Erfurter Landtag machen oder doch lieber in Berlin bleiben, als Staatssekretär? Christoph Matschie hat immer größere Mühe, sein Lächeln nicht entgleisen zu lassen: "Warten Sie doch erst mal das Wahlergebnis ab", sagt er, und plötzlich denkt man: Der sieht ja dem Witt ähnlich. Der ist ja völlig zerschnitzelt!

Am Ende rauscht noch Bernhard Vogel vorbei. Der alte Landesvater. Jovial wie eh und je. "Großartig, habe Althaus seine Sache gemacht, tönt Vogel auf der Landtag-Treppe. "Hervorra-gend!" Wenn der so weitermache, dann aber! Spätestens da ist die Luft dann wirklich und endgültig raus aus dieser Wahl.