Der Abwärtstrend ist unumkehrbar, sagt der renommierte Demograf Herwig Birg.

Berlin. Für Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) war es ein schwarzer Tag. Der erhoffte Geburtenzuwachs in Deutschland ist ausgeblieben. Nur 675 000 Kinder kamen nach vorläufigen Schätzungen im vergangenen Jahr zur Welt - 8000 oder 1,1 Prozent weniger als 2007. Das berichtete das Statistische Bundesamt gestern in Wiesbaden. Anfang dieses Jahres hatten die Statistiker noch mit 680 000 bis 690 000 Geburten gerechnet. Die Ministerin hatte sich dafür im Februar bereits feiern lassen und das vermeintliche Baby-Plus auf die Familienpolitik der Großen Koalition zurückgeführt.

Zu früh, wie sich jetzt herausgestellt hat. Entsprechend wortkarg war die Ministerin gestern. Den "ungewöhnlichen Einbruch" der Geburtenzahl im letzten Quartal 2008 habe niemand voraussehen können, sagte von der Leyen (CDU) und forderte weitere Angebote für die Familien: Bei gezielten Hilfen wie Elterngeld und guter Kinderbetreuung "müssen wir einfach noch besser werden". Der Rückgang zeige, wie sehr der Mut zu Kindern "ein zartes Pflänzchen" sei. Von der Leyen mahnte zugleich Arbeitgeber, Verständnis für die Anliegen von Familien zu zeigen. Dazu gehöre es auch, gerade in Krisenzeiten gut ausgebildete Fachkräfte "nicht in andere Länder ziehen lassen, wo Vereinbarkeit schon Alltag ist".

Herwig Birg, der lange einen Lehrstuhl für Bevölkerungswissenschaft an der Universität Bielefeld innegehabt hat und einer der renommiertesten Demografieforscher des Landes ist, mag das gar nicht hören. Für ihn kommt der Flop der Ministerin nicht überraschend. Im Gegenteil. Denn nicht auf die Geburtenzahl komme es an, erklärt Birg, sondern auf die Geburtenrate. Und die lasse sich durch die gegenwärtige Familienpolitik nicht ändern. Birg im Gespräch mit dem Hamburger Abendblatt: "Die nicht geborenen Kinder der letzten dreißig Jahre fehlen als Eltern. Und wer nicht da ist, kann auch nicht auf neue familienpolitische Maßnahmen reagieren." Das, so Birg, müsse der Ministerin eigentlich klar sein. "Weil es so simpel ist wie nur irgendetwas." Die Geburtenrate liege in Deutschland seit dreißig Jahren zwischen 1,3 und 1,4 Prozent. Für eine Trendumkehr brauche man mindestens zwei Generationen, "weil die mehr geborenen Kinder ihrerseits erst wieder Kinder haben müssen, bevor sich etwas ändern kann". Selbst wenn sich die Geburtenrate jetzt auf 2,1 Prozent steigern lassen würde, rechnet der Wissenschaftler vor, hätte Deutschland bis zum Jahr 2060 ein Geburtendefizit. Das heißt, die Bilanz zwischen Geburten und Todesfällen wäre dann immer noch unausgeglichen. Zuletzt wurden hierzulande laut Statistik 1971mehr Kinder geboren, als Menschen starben. 2008 gab es 168 000 weniger Geburten als Sterbefälle, die ihrerseits um 2,4 Prozent auf 844 000 anstiegen.

Wie die Geburtenrate für das Jahr 2008 aussieht, wird man übrigens erst im Juni wissen. Herwig Birg wagt schon eine Prognose. Er tippt auf "weniger als 1,37 Prozent". "Und dann", sagt der Experte, "wird es wieder ein Herumgestotter geben. Und 2010 auch wieder. Und in den zehn darauffolgenden Jahren auch." So ein Abwärtstrend, sagt Herwig Birg, sei nämlich unumkehrbar, wenn er einmal Fuß gefasst habe. Im Übrigen befinde sich die gesamte westliche Welt mit ihrer Geburtenrate auf einer rasanten Talfahrt.

Für die anderslautende "Propaganda" der Bundesfamilienministerin von der Leyen interessiere sich in der Fachwelt deshalb niemand. Dort sei man sich längst im Klaren darüber, was in den nächsten Jahren auf die Rentner und die Steuerzahler zukomme.