Der BDA-Chef spricht im Abendblatt über den Weltfinanzgipfel in London, das Krisenmanagement der Merkel-Regierung und seine Hoffnung auf ein Ende des Abschwungs.

Hamburg/Berlin. Abendblatt:

Fast jeden Tag neue Schreckenszahlen - wie tief rutscht Deutschland in die Krise, Herr Hundt?

Dieter Hundt:

Das kann derzeit niemand seriös voraussagen. Die Entwicklung ist unverändert besorgniserregend, und es gibt Hinweise, dass die Konjunkturpro gnose der Bundesregierung von minus 2,25 Prozent zu optimistisch ist. Aber ich erwarte nicht, dass die negativsten Zahlen, die derzeit kursieren, Realität werden. Im Übrigen warne ich davor, dass wir uns mit schlechten Nachrichten und negativen Prognosen überbieten.



Abendblatt:

Sehen Sie denn Licht am Ende des Tunnels?

Hundt:

Das Licht ist momentan noch nicht erkennbar. Es gibt aber erste Stimmen aus Industrie und Wissenschaft, dass eine gewisse Aufwärtsentwicklung im weiteren Verlauf dieses Jahres möglich ist. Ich denke, wir befinden uns zurzeit am Tiefpunkt. In wichtigen Branchen - Automobil, Zulieferer, Maschinenbau - wird der Abschwung nicht noch weiter gehen. Ich bin sogar optimistisch, dass wir im zweiten Halbjahr in eine leichte Aufwärtsentwicklung einmünden.



Abendblatt:

Was bedeutet das für den Arbeitsmarkt?

Hundt:

Ich begrüße, dass die Kurzarbeit attraktiver gemacht wurde. Dieses Werkzeug wird von den Unternehmen sehr intensiv genutzt. Wenn die Krise unerwartet lange anhält, wird es allerdings stumpf. Dann ist auch der Abbau von Arbeitskräften in größerem Umfang möglicherweise nicht mehr zu verhindern.



Abendblatt:

Heißt konkret?

Wir werden einen weiteren Anstieg in der Arbeitslosigkeit haben, aber ich denke nicht, dass wir zum Jahresende 2009 über die Vier-Millionen-Grenze kommen.



Abendblatt:

Wie geht es Ihrem eigenen Unternehmen, dem Autozulieferer Allgaier im schwäbischen Uhingen?

Hundt:

Uns geht es branchentypisch gemischt. In unserem Automobilzuliefergeschäft müssen wir einen deutlichen Umsatzeinbruch verkraften. In unserem Werkzeug- und Maschinenbau sind wir sehr gut ausgelastet, allerdings gehen die Auftragseingänge deutlich zurück. Im Herbst oder Winter können auch in diesen beiden Bereichen Beschäftigungsengpässe entstehen.



Abendblatt:

Haben Sie Schwierigkeiten, an Kredite zu kommen?

Hundt:

Im eigenen Unternehmen haben wir diesbezüglich keine Schwierigkeiten. Allgemein gibt es im Mittelstand keine Kreditklemme. Es wird aber der immer bürokratischere Aufwand beklagt, an Kredite zu kommen. Es wird auch beklagt, dass die Kosten für Kredite steigen. Ich habe bei der Bundeskanzlerin darauf hingewiesen, dass die Banken die erfolgten Zinssenkungen nicht oder nur sehr zögerlich weitergeben. Schwieriger ist die Lage bei der Finanzierung von Großprojekten. Es fehlt das Vertrauen der Banken - untereinander und gegenüber der Realwirtschaft.



Abendblatt:

Betreibt die Große Koalition wirkungsvolles Krisenmanagement?

Hundt:

Die Große Koalition hat nach Beginn dieser schweren Krise sehr konsequent und zielstrebig gehandelt. Das Finanzmarktstabilisierungsgesetz und die beiden Konjunkturpakete waren richtig. Allerdings: Die öffentliche Darstellung von Union und SPD während der letzten Tage ist nicht dazu angetan, das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit der Großen Koalition für die letzten sechs Monate der Legislaturperiode zu steigern. In dieser Situation muss die Regierung alles tun, um Vertrauen wiederherzustellen. Öffentliche Polemik ist schädlich.



Abendblatt:

Die FDP fordert, die Bundestagswahl von Ende September auf den Termin der Europawahl am 7. Juni vorzuziehen.

Hundt:

Die FDP sollte aufhören, die Öffentlichkeit mit derartigen unrealistischen Überlegungen zu verunsichern. Diese Regierung ist bis zum letzten Tag der Legislaturperiode gewählt, und diesem Auftrag muss sie auch nachkommen.



Abendblatt:

Hat sich die Große Koalition für eine weitere Wahlperiode empfohlen?

Hundt:

Für mich gilt grundsätzlich: Eine Große Koalition ist keine ideale Regierungskonstellation.



Abendblatt:

Was halten Sie für schlimmer: einen Einstieg des Staates beim angeschlagenen Autobauer Opel - oder dessen Insolvenz?

Hundt:

Es muss alles unternommen werden, um ein bedeutendes Unternehmen der deutschen Automobilindustrie und seine Arbeitsplätze zu erhalten. Eine Staatsbeteiligung stößt aber auf meine entschiedene Ablehnung. Dies wäre ein Dammbruch. Wenn der Staat dem einen Unternehmen hilft, kann er dem anderen die Unterstützung nicht verweigern. Das gibt Wettbewerbsverzerrungen, das gibt einen Überbietungswettbewerb, den Deutschland nicht aushält.



Abendblatt:

Ist Insolvenz die Lösung?

Hundt:

Es gibt noch das Instrument staatlicher Bürgschaften, das auch im Fall von Opel sorgfältig geprüft werden kann. Aber ich sage ganz klar: Wenn ein Unternehmen sich im Wettbewerb nicht mehr halten kann, dann ist es eine Konsequenz der Marktwirtschaft, dass es gegebenenfalls in die Insolvenz geht. Entgegen der landläufigen Meinung muss die Insolvenz nicht das Ende der Geschäftstätigkeit des Unternehmens bedeuten. Sie kann vielmehr auch der Ausgangspunkt für eine neue Entwicklung sein.



Abendblatt:

Hamburgs Erster Bürgermeister Ole von Beust hat den reinen Kapitalismus für gescheitert erklärt. Stimmen Sie zu, Herr Hundt?

Hundt:

Wir brauchen eine neue Finanzmarktarchitektur, mehr Transparenz, mehr Verantwortlichkeit der Finanzmarktteilnehmer und eine Überwachung der Finanzmarktangebote. Insoweit ist Herrn von Beust zuzustimmen: Der zügellose Kapitalismus ist gescheitert. Ich plädiere dafür, dass wir die soziale Marktwirtschaft, die sich in Deutschland seit 60 Jahren erfolgreich bewährt hat, der Welt als Modell empfehlen.



Abendblatt:

Was erwarten Sie vom Weltfinanzgipfel nächste Woche in London?

Hundt:

Der Bankenkreislauf braucht Korrekturen. Wir benötigen eine Finanzmarktarchitektur mit strengen internationalen Regelungen und entsprechender Überwachung. Auch die Rating-Agenturen müssen besser kontrolliert werden. Eine Krise, wie wir sie jetzt erleben, darf sich nicht wiederholen.



Abendblatt:

Was bedeutet das für die Managervergütungen?

Hundt:

Die Höhe von Managergehältern kann und darf keine staatliche Angelegenheit sein. Es liegt ausschließlich in der Verantwortung der Eigentümer, die Gehälter des Managements festzulegen. Dies gehört zu den Prinzipien der Marktwirtschaft. Wenn der Staat Banken unterstützt, ist allerdings der Wunsch nach einem Mitspracherecht des Geldgebers verständlich.



Abendblatt:

Bundespräsident Köhler hat in seiner Berliner Rede gesagt: Wir haben zu lange über unsere Verhältnisse gelebt.

Hundt:

Ich teile diese Bewertung uneingeschränkt. Wir sollten alle über eine größere Bescheidenheit nachdenken - und zwar weltweit. Wir haben in der Vergangenheit überzogen. Das gilt nicht nur für Manager mit ihren Boni und Abfindungen. In manchen Ländern haben Menschen Finanzmittel und Kredite für Anschaffungen und Investitionen erhalten, die sie sich nicht leisten konnten. Dadurch hat sich das System aufgeschaukelt.



Abendblatt:

Köhler sieht Sparsamkeit als neue Tugend. Verkraftet es die Wirtschaft, wenn die Menschen weniger kaufen?

Hundt:

Unsere Weltwirtschaft benötigt Wachstum als Impuls für ihre Existenz, davon bin ich überzeugt. Wachstum kann aber mit angemessenem Verhalten und Sparsamkeit verbunden sein. Das ist für mich kein Widerspruch. Vielleicht liegt das auch daran, dass ich Schwabe bin.