Als Abgeordnete war Ilse Aigner für den Einsatz der Gentechnologie. Als Ministerin ist sie plötzlich dagegen. Bilder von Ilse Aigner.

Berlin. Die Liberalen werfen Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) vor, sich in Sachen Gentechnologie "wie ein Fähnchen im Wind zu drehen". In der Vergangenheit, so Christel Happach-Kasan, die Verbraucherschutz-Expertin der FDP-Bundestagsfraktion, habe Aigner sich konsequent für die Nutzung der Gentechnik in der Landwirtschaft (Grüne Gentechnik) eingesetzt. "Mit Übernahme ihres Ministeramtes hat Frau Aigner diese Position komplett über Bord geworfen. Seitdem ist Ministerin Aigner auf der Seite der Gentechnik-Gegner. Das ist komplett unglaubwürdig. Was forschungspolitisch richtig ist, ist auch aus Sicht einer modernen innovativen Landwirtschaft richtig."Aigners Kehrtwende, sagte Happach-Kasan gestern gegenüber dem Hamburger Abendblatt, sei nur durch die anstehende Europawahl zu erklären: "Wie groß muss die Angst der CSU vor der Europawahl sein, dass die ehemals forschungspolitische Sprecherin der CDU/CSU im Bereich der Biotechnologie alle Wissenschaftlichkeit ausblendet und auf einmal einen komplett gegensätzlichen Standpunkt vertritt?"

Tatsächlich sagt Ilse Aigner erst, seit sie in Berlin zur Ministerin aufgestiegen ist, dass "beim Genmais kein Mehrwert erkennbar" ist: "Die Verbraucher lehnen genveränderte Pflanzen ab. Die Landwirte wollen sie nicht." So die Ministerin am 18. Februar in der "Berliner Zeitung". Und als am vergangenen Donnerstag Gentechnik-Gegner einen Termin der Ministerin für eine Spontan-Demonstration nutzten, ging Aigner sogar so weit zu sagen: "Ich bin ja auf Ihrer Seite und brauche Ihre Unterstützung!"

Als Aigner "nur" Bundestagsabgeordnete war, hat sich das vollkommen anders angehört. Da war die Bio- und Gentechnologie für die Frau aus Feldkirchen-Westerham noch ein "Schlüsselsektor" und eine "Zukunftstechnologie". Da war sie der Überzeugung, Deutschland laufe in der Biotechnologie Gefahr, "zwar die besten Forscher zu haben", die Markteinführung jedoch anderen zu überlassen. "Bewusst wird Angst geschürt", schrieb Ilse Aigner im September 2004 in einer ihrer Pressemitteilungen. Im Juni 2005 legte sie nach, die Grüne Gentechnik schaffe zukunftsträchtige Jobs: "Gesetzliche Restriktionen, die dies verhindern, müssen beseitigt und, so weit möglich, finanzielle Anreize besser dort als in anderen Bereichen eingesetzt werden." Ein Jahr später verkündete sie, Biotech-Produkte könnten "wichtige Beiträge für eine gesunde Ernährung und eine nachhaltige Landwirtschaft" sein, und es müsse nun darum gehen, "die vor allem in Deutschland sehr emotional geführte öffentliche Diskussion ... zu versachlichen und ideologische Schützengräben zuzuschütten".

Für Christel Happach-Kasan und die Liberalen hängt Aigner deshalb "am Gängelband ihres Vorgängers". Dieser Amtsvorgänger ist Horst Seehofer, den Aigner in Berlin beerben durfte, als der Ingolstädter Ministerpräsident in Bayern wurde. Seitdem unterstützt Aigner die Forderung der Bayerischen Staatsregierung, gleich den ganzen Freistaat zur gentechnikfreien Zone zu erklären, "voll und ganz".

MON810 wird seit 2005 in Deutschland angebaut. Es ist eine Maissorte, die die amerikanische Monsanto Company gentechnisch so aufgerüstet hat, dass sie einen für den Maiszünsler giftigen Stoff produziert, mit dem sie sich den Schädling quasi selbst vom Leibe hält. Im April steht die neue Aussaat an. Das wollen die Bündnisgrünen verhindern. Sie haben einen Antrag in den Bundestag eingebracht, der darauf abzielt, den Anbau und den Handel mit MON810 in Deutschland zu unterbinden.

In der heutigen Parlamentsdebatte wollen FDP und Bündnisgrüne Aigners Kehrtwende noch einmal gründlich Revue passieren lassen. Die Liberalen, weil sie für den Einsatz der Gentechnologie in der Landwirtschaft eintreten, die Grünen, weil sie dagegen sind. Die FDP wird darauf hinweisen, dass das von CSU-Minister Karl-Theodor zu Guttenberg geführte Bundeswirtschaftsministerium die Grüne Gentechnologie nach wie vor als "Wachstumslokomotive" bezeichnet.

Ilse Aigner weiß, was auf sie zukommt. Sie wollte heute eigentlich durch Sachsen-Anhalt reisen. Diese Tour hat sie vorsichtshalber abgesagt. Heute, hieß es, sei ihre Anwesenheit in Berlin gefordert.