Der frühere SPD-Chef spricht über eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei im Bund, das Krisen-management von Kanzlerin Merkel und die Rückkehr seines Amtskollegen Althaus.

Hamburg/Mainz. Hamburger Abendblatt:

Herr Ministerpräsident, Finanzjongleure haben unser Wirtschaftssystem ins Wanken gebracht. Ein Fall auch für die Justiz?

Kurt Beck:

Ich glaube, ja. Was da abgelaufen ist, scheint mir in einer Reihe von Fällen den Anfangsverdacht zu rechtfertigen, dass rechtswidrig gehandelt wurde. Da sind die Strafverfolgungsbehörden aufgerufen, Ermittlungen einzuleiten. Das ist auch wichtig für die Stabilität unseres Gemeinwesens: Menschen, die um ihre Arbeitsplätze bangen, würden nicht verstehen, dass Manager, die Unternehmen ins Chaos geführt und Kapital vernichtet haben, ungeschoren davonkommen. Aber zunächst geht es darum, unser Wirtschafts- und Finanzsystem zu stabilisieren.



Abendblatt:

Sind Sie mit dem Krisenmanagement der Großen Koalition zufrieden?

Beck:

Der Rettungsschirm für das Finanzsystem und die beiden Konjunkturpakete sind insgesamt in Ordnung. Aber die Kanzlerin hat es versäumt, eine Leitlinie zu geben, an der man sich orientieren kann. Wenn man sieht, welche Führungsimpulse in Europa von dem französischen Präsidenten ausgehen, dann ist das, was die Bundeskanzlerin bietet, ziemlich bescheiden. Die Krise stellt uns am Arbeitsmarkt vor immer größere Probleme. In dieser Situation können wir alles gebrauchen - nur keine schwache Kanzlerin.



Abendblatt:

Ist sie das?

Beck:

Das Handeln der Bundeskanzlerin ist in der gegenwärtigen Phase besorgniserregend schwach. Sie konnte nicht einmal verhindern, dass die Reform der Arbeitsverwaltung an Kraftspielen innerhalb der Union scheitert. Es ist doch absurd: Die Kanzlerin selber hat Arbeitsminister Scholz, dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Rüttgers und mir den Auftrag gegeben, ein Konzept für die Reform der Jobcenter auszuarbeiten. Ein Konzept, mit dem alle Landesregierungen einverstanden sind. Und dann stimmt Frau Merkel mit der Unionsfraktion dagegen! Ich habe als Parteivorsitzender selbst erlebt, dass es nicht immer einfach ist, alle unter einen Hut zu bringen. Aber wer zulässt, dass einige an einer Schlüsselfrage ihr Mütchen kühlen, hat bei der Führung versagt.



Abendblatt:

Die Unionsfraktion und ihr Vorsitzender Kauder halten Ihr Reformkonzept für verfassungswidrig.

Beck:

Das ist Unsinn! Das Nein der Unionsfraktion hat mit den Jobcentern überhaupt nichts zu tun. Es handelt sich um den Feldzug derjenigen, die immer CDU pur verlangen gegen den Kurs der Kanzlerin. Unser Koalitionspartner trägt innerparteilichen Streit zu Lasten der Langzeitarbeitslosen aus.



Abendblatt:

Was nun?

Beck:

Ich halte es für dringend notwendig und auch für möglich, noch vor der Bundestagswahl zu einer Lösung bei den Jobcentern zu kommen.



Abendblatt:

Und wie?

Beck:

Über die Parteigrenzen hinweg haben alle 16 Bundesländer dem vorliegenden Konzept zugestimmt. Das ist eine gute Basis für eine Bundesratsinitiative. Wenn Frau Merkel die Unionsfraktion zur Besinnung bringt, kann alles ganz schnell gehen. Die Länder jedenfalls sind in Details zu Gesprächen bereit.



Abendblatt:

Herr Beck, fehlt Ihnen der Politikbetrieb, wie Sie ihn zweieinhalb Jahre als SPD-Bundesvorsitzender erlebt haben?

Beck:

Nein. Ich habe immer noch ausreichend Gelegenheit, mich einzubringen und mit meinen Vorstellungen gehört zu werden. Ich empfinde also keinen Verlust.



Abendblatt:

War Ihr Rücktritt unausweichlich?

Beck:

Aus meiner Sicht ja. Da bin ich mir heute sicherer als damals. Im Sommer war doch auch viel Emotionalität dabei, die ist vorbei.



Abendblatt:

Was hat es Ihnen unmöglich gemacht, weiter SPD-Vorsitzender zu sein?

Beck:

Es gibt Situationen, in denen man schmerzhafte Entscheidungen treffen muss, wenn man sich treu bleiben will. Meine Führungsautorität war in Frage gestellt. Und man muss wissen, was man sich selber und den Menschen um sich herum zumutet. Mehr möchte ich dazu nicht mehr sagen, da bitte ich um Verständnis.



Abendblatt:

Bevor Sie zurücktraten, lag die SPD in Umfragen meist über 25 Prozent. Heute, nach gut einem halben Jahr mit Kanzlerkandidat Steinmeier und Parteichef Müntefering, liegt Ihre Partei meist unter dieser Marke. Was empfinden Sie dabei?

Beck:

Das gleiche, was ich früher empfunden habe: Die SPD zu führen ist eine schwierige Aufgabe. Ich habe überhaupt keinen Grund, an meinen Nachfolgern herumzumäkeln. Im Übrigen war ich immer fest davon überzeugt, dass wir zur Bundestagswahl wieder ein Kopf-an-Kopf-Rennen haben werden zwischen Union und SPD.



Abendblatt:

Wieder bei 35 Prozent?

Beck:

Ich kann mir vorstellen, dass die SPD sogar noch besser abschneidet als beim letzten Mal. Die Menschen wollen keine neoliberale Regierung aus Union und FDP, die in Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit auch noch den Kündigungsschutz lockert.



Abendblatt:

Ihr Nachfolger Müntefering treibt die Öffnung der SPD zur Linkspartei voran. Zuletzt hat er dazu aufgerufen, die frühere SED nicht dauerhaft an ihrer DDR-Vergangenheit zu messen. Der richtige Weg?

Beck:

Die Frage ist, was dauerhaft bedeutet. Wer ein Kind war, als die Mauer fiel, und heute in der so genannten Linkspartei ist, kann nicht mit jenen gleichgesetzt werden, die das Unrechtsregime der DDR gestützt haben. So viel Differenzierung muss zulässig sein.



Abendblatt:

Ist es sinnvoll, eine Koalition mit der Linken im Bund weiter auszuschließen? Nach dem Wortbruch von Hessen glaubt Ihnen das ohnehin kein Mensch.

Beck:

Auf Bundesebene wird es eine Koalition mit der Linkspartei nicht geben 2009. Das hat mein Nachfolger gesagt, das habe ich schon gesagt. Entsprechend hat die SPD ihre Beschlüsse getroffen.



Abendblatt:

Und 2013?

Beck:

Ach, schauen Sie: Ich weiß gar nicht, ob ich 2013 noch lebe. Vielleicht hat sich die Linkspartei bis dahin aufgelöst. Das wäre das Schönste, was uns passieren könnte.



Abendblatt:

Wie oft haben Sie jenen Abend vor einem Jahr im Hamburger Restaurant "Das Parlament" verflucht, an dem Sie Frau Ypsilanti grünes Licht gegeben haben, entgegen allen Beteuerungen mit der Linkspartei zusammenzuarbeiten?

Beck:

Ich habe x-mal betont, dass ich an diesem Abend einen Fehler begangen habe. Meine Bemerkungen waren übrigens allgemein und nicht auf Hessen bezogen, konnten aber so ausgelegt werden.



Abendblatt:

Sie haben gar nicht über Hessen gesprochen?

Beck:

Meine Bemerkungen haben sich eher auf bundespolitische Fragen bezogen, aber sie konnten so ausgelegt werden. Aus diesem Abend ist viel gestrickt worden. Es war ein Fehler, dass ich das nicht bedacht habe als alter Fuhrmann. Die Abläufe waren nicht glücklich, aber die Vergangenheit kann man nicht verändern, und es sind in Deutschland schon andere und schwerere politische Fehler gemacht worden.



Abendblatt:

An diesem Freitag hat ein Parteiausschlussverfahren gegen Jürgen Walter begonnen, einen der vier Abgeordneten, die eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei in Hessen verhindert haben. Geht die SPD so mit Menschen um, die sich weigern, ihr Wort zu brechen?

Beck:

Unsere Partei- und Schiedsordnung sieht vor, dass solche Anträge gestellt werden können. Wir haben Spielregeln, die sicherstellen, dass die Schiedskommissionen unabhängig arbeiten können. Daher möchte ich das Verhalten dieser Abgeordneten nur politisch bewerten: Für mich ist es völlig unglaubwürdig, wenn man über Wochen und Monate den Kurs der Parteiführung stützt und einen Tag vor der Abstimmung im Landtag sein Gewissen entdeckt.



Abendblatt:

Im Saarland und in Thüringen hat die SPD im Sommer die Chance, zusammen mit der Linkspartei die Regierung zu übernehmen. Sollte sie das auch dann tun, wenn die Linke stärkste Kraft wird?

Beck:

Dazu haben sich die SPD-Vorsitzenden Heiko Maas und Christoph Matschie geäußert. Ich will das nicht von Rheinland-Pfalz aus interpretieren.



Abendblatt:

Also alles offen?

Beck:

Ich vertraue auf die Wählerinnen und Wähler. Ich wünsche mir, dass die absolute CDU-Mehrheit in beiden Ländern beendet wird.



Abendblatt:

In Thüringen regiert Dieter Althaus. Wie haben Sie seine Rückkehr nach dem schweren Skiunfall erlebt?

Beck:

Bei allem menschlichen Mitgefühl: Die Inszenierung seiner Rückkehr wirkt auf mich befremdlich. Wie kann man sich seinem eigenen Parteitag, dem Parlament und den Bürgern entziehen und sich dafür exklusiv in einer Zeitung verbreiten? Althaus versucht, sich aus diesem furchtbaren Erlebnis einen taktischen Vorteil zu verschaffen. Das stößt mich ab.