Die Politikerin erwartet, dass die Finanzierung des Gesundheitswesens Wahlkampfthema wird. Die umstrittene elektronische Versichertenkarte nimmt sie gegen Kritik in Schutz.

Berlin. Hamburger Abendblatt:

Frau Schmidt, Sie fordern als Teil des zweiten Konjunkturpakets eine Abgabensenkung. Warum?

Ulla Schmidt:

Die SPD ist für eine Senkung der Abgaben, weil die für alle positiv ist. Alle, die Beiträge zahlen, profitieren: ob Rentnerinnen und Rentner, Selbstständige oder Arbeitnehmer mit niedrigen Einkommen, auch wenn sie gar keine Steuern zahlen. Steuersenkungen begünstigen vor allen Dingen diejenigen, die gut verdienen. Die Koalition wird sich bis Montag einigen. Das Hauptziel ist, Beschäftigung zu sichern oder zu schaffen.



Abendblatt:

Welche Beiträge wollen Sie senken?

Schmidt:

Die SPD ist der Auffassung, dass es richtig ist, den Sonderbeitrag für Arbeitnehmer über Steuern gegenzufinanzieren. Mehr als 90 Prozent aller Beitragszahlerinnen und -zahler würden weniger zahlen als im Jahr 2008. Dieses Geld kann direkt in die Binnennachfrage gehen.



Abendblatt:

Für den Gesundheitsfonds wurden die Beiträge angehoben, jetzt wollen Sie sie senken - ist das nicht ein unverständliches Hickhack?

Schmidt:

Der einheitliche Beitragssatz ist notwendig, weil er mehr Gerechtigkeit herstellt. In diesem Beitragssatz stecken auch die steigenden Kosten für die Gesundheit in einer älter werdenden Gesellschaft. Die Zahl der 80-, 90- oder auch 100-jährigen Menschen steigt bei uns und damit das Risiko einer chronischen Erkrankung, einer Bypass-Operation oder des Ersetzens eines Hüftgelenks. Jetzt soll ein Teil dieser Kosten durch Steuermittel aufgebracht werden. Was ist daran unverständlich?



Abendblatt:

Muss der höhere Steuerzuschuss kommen, damit Sie dem Paket zustimmen?

Schmidt:

Ich stelle hier keine Bedingungen. Vizekanzler Frank-Walter Steinmeier hat ein Programm vorgelegt, das in sich stimmig ist und für neue Investitionen sorgen wird. Aber es sollte auch klar sein, dass für die SPD Steuersenkungen ohne gleichzeitige Abgabensenkungen nicht infrage kommen.



Abendblatt:

Aus Bayern soll eine Bundesratsinitiative kommen, den Fonds abzuschaffen. Ist das realistisch?

Schmidt:

Der Fonds ist nicht mal eine Woche alt, und schon wissen ganz, ganz kluge Leute, dass erstens alles schiefgelaufen ist - davon ist zwar nichts zu merken - und dass zweitens alles furchtbar teurer wird. Was die Bayern anbelangt: Dass der noch neue Gesundheitsminister Markus Söder das fordert, mag sein. Nur: Horst Seehofer war der größte Verbündete für mich und Frau Merkel im Kampf um die Umsetzung des Gesundheitsfonds. Nur weil er jetzt bayerischer Ministerpräsident ist, kann er nicht seine Meinung komplett geändert haben. Das würde mich sehr wundern.



Abendblatt:

Dennoch halten Kritiker den Fonds für falsch konstruiert.

Schmidt:

Der Großteil dieser Kritiker verfolgt doch eigene - und ganz gegensätzliche - Interessen. Der Fonds macht Schluss mit der Ungerechtigkeit, dass eine Rentnerin in Bayern tiefer in die Tasche greifen muss als eine junge und gesunde Versicherte in einer "virtuellen" Kasse in Schleswig-Holstein. Und er sorgt dafür, dass mehr Geld dorthin fließt, wo viele Kranke zu behandeln sind. Die SPD möchte, dass alle Bürger in diesem Land einen gleichen Anteil ihres Einkommens in den Fonds einzahlen und dann jeder die Krankenkasse, die er möchte - gleich ob gesetzlich oder privat - frei wählen kann.



Abendblatt:

Damit wären wir mitten im Bundestagswahlkampf.

Schmidt:

Die CDU will immer noch die Gesundheitsprämie, deshalb ist ihr Ziel, zu sagen: Wir reduzieren die paritätischen Beitragszahlungen im Fonds, und dafür erhöhen wir den Anteil, den die Versicherten alleine zahlen müssen. Das sind die Fragen, um die es bei der Wahl gehen wird: Sollen die Menschen mehr alleine zahlen oder wollen sie an dem bewährten Prinzip der solidarischen Aufbringung der Krankheitskosten festhalten? Wenn CDU und FDP regieren, wird es eine Individualisierung der Risiken geben. Es wird mehr private Versicherungsregelungen geben, etwa eine risikobezogene Zusatzprämie.



Abendblatt:

Wie gehen Sie damit um, dass Krankenkassen gezielt versuchen, die leicht Erkrankten zu Schwerkranken umzudefinieren, um mehr Geld aus dem Fonds zu bekommen?

Schmidt:

Wer leicht Erkrankte zu Schwerkranken degradiert, um Geld dafür zu bekommen, handelt kriminell und gehört vor ein Gericht gestellt. Das ist Betrug, und dagegen wird auch die Aufsicht vorgehen. Eine Kasse steht im Übrigen nur dann wirtschaftlich gut da, wenn sie dafür sorgt, dass ihre Versicherten als Patienten gut behandelt werden. Denn sie bekommt nur die durchschnittlichen Kosten für eine Behandlung der chronischen Krankheiten aus dem Fonds erstattet und nicht etwa einfach alle Kosten, die anfallen. Daher zieht eine "einfache Suche" nach einzelnen Kranken nicht.



Abendblatt:

Wie viele der gut 200 gesetzlichen Kassen werden überleben?

Schmidt:

Es wird Fusionen geben. Ich habe immer gesagt, dass auch rund 50 Krankenkassen für den Wettbewerb ausreichen würden. Wenn sich eine Kasse, die überwiegend junge Versicherte hat, mit einer mit älteren Mitgliedern zusammenschließt, können die eine in sich ausgeglichene Struktur entwickeln. Wir werden in diesem Jahr nach Einschätzung von Experten sicherlich 30 bis 40 Fusionen haben. Die Zahl der Kassen kann sicherlich im nächsten Jahrzehnt auf unter 100 sinken.



Abendblatt:

Das nächste Megaprojekt nach dem Fonds ist die umstrittene elektronische Gesundheitskarte, die in diesem Jahr alle Krankenversicherten bekommen sollen. Was halten Sie von den niederschmetternden Ergebnissen aus den Testregionen?

Schmidt:

Die Garantie des Datenschutzes hat bei der elektronischen Gesundheitskarte Vorrang. Das mal vorneweg. Niederschmetternd wäre, wenn nichts klappen würde. Was nicht stimmt. Die Karte ist im Test. Haben Sie mal ein neues iPhone ausprobiert? Wie lange Sie das updaten müssen, bevor Sie ordentlich telefonieren können? Das ist der Grund, warum wir die zehn Testregionen haben und das Schritt für Schritt einführen. Das ist das größte IT-Projekt der Welt! Einige Ärztefunktionäre werden immer dagegen sein, weil viele die Transparenz im Gesundheitswesen fürchten.



Abendblatt:

Wie sieht es mit der Datensicherheit aus?

Schmidt:

Die Garantie des Datenschutzes ist für die Gesundheit vorrangig. Es wurde von Anfang an mit dem Datenschutzbeauftragten zusammengearbeitet. Wir haben einen doppelten Schlüssel, einen für den Heilberufeausweis und einen für den Versicherten. Nur wenn der Versicherte will, werden Patientendaten gespeichert. Das ist informationelle Selbstbestimmung. Und wir haben die absolute Pseudonymisierung der Daten: Eine Diagnose lässt sich nur mit beiden Schlüsseln einer Person zuordnen. Das ist ein Vorzeigeprojekt für die ganze Welt.



Abendblatt:

Ironie der Geschichte: Bei der Bundestagswahl tritt in Ihrem Wahlkreis ausgerechnet ein Ärztefunktionär gegen Sie an. Wo sehen Sie sich nach der Bundestagswahl?

Schmidt:

In meinem Wahlkreis Aachen-Stadt tritt der Marburger-Bund-Vorsitzende Rudolf Henke gegen mich an. Das ist Sache der CDU. Mein Ziel ist erst mal, den Wahlkreis Aachen zu holen.