Die CDU-Politikerin lehnt schnelle Steuersenkungen für Konjunkturpaket ebenso ab wie weitere Hilfen für die Autoindustrie.

Überlingen. Hamburger Abendblatt:

Frau Ministerin, mit welchen Gefühlen sind Sie in das neue Jahr gegangen?

Annette Schavan:

Nachdenklich und zuversichtlich. Nachdenklich, weil man spürt, dass in diesem Jahr vieles ungewiss ist. Und zuversichtlich, weil Deutschland auf schwierige Zeiten gut vorbereitet ist. Nie waren so viele Menschen erwerbstätig, nie so viele Jugendliche in Ausbildung und Studium. Das ist ein gutes Fundament.



Abendblatt:

Haben Sie eine Vorstellung, wie schlimm 2009 wird?

Schavan:

2009 wird ein Jahr der Bewährung. Politisch kluges Handeln wird so wichtig sein wie lange nicht mehr und braucht Konzentration auf wenige zentrale Fragen. Es ist wichtig, jetzt nicht nervös zu werden und nicht auf jede Zahl zu springen.



Abendblatt:

Die Große Koalition will sich in den nächsten Tagen auf ein zweites Konjunkturpaket verständigen. Welchen Umfang wird es haben?

Schavan:

Wir müssen tun, was das Land moderner, innovationsfähiger, stärker macht. Gleichzeitig dürfen wir den europäischen Stabilitätspakt nicht aus dem Blick verlieren. Der Umfang ergibt sich auch daraus, was zügig machbar ist. Konjunkturimpulse kommen nicht davon, dass Ende 2009 die ersten Aufträge vergeben werden. Wir müssen sofort handeln, die Wirkung muss rasch spürbar sein.



Abendblatt:

Investitionen in Bildung und Forschung sollen Kern des Konjunkturpakets sein. Was planen Sie konkret?

Schavan:

Schüler, Eltern und Lehrer sollen sehen: In unserer Schule wird nicht nur repariert, sondern auch modernisiert. Der Physiksaal aus den 60er-Jahren soll rasch der Vergangenheit angehören. In 10 000 Kindertageseinrichtungen wollen wir Forscherecken einrichten. Viele Hochschulen haben einen erheblichen Modernisierungsbedarf. Jetzt ist die Zeit, auf jeden Campus eine Kita zu bringen. Ich stelle mir vor, dass der Bund 2009 und 2010 je 7,5 Milliarden in Schulen und Hochschulen investiert. Darüber hinaus wird es Beiträge von Ländern und Kommunen geben. Wir müssen eine Aufbruchstimmung erzeugen, und es muss klar werden, dass wir uns mit Leidenschaft um Bildung und Wissenschaft kümmern.


Ich wünsche mir, dass wir mit dem Konjunkturprogramm einen Impuls setzen für die größte Bildungsoffensive, die es in Deutschland je gegeben hat.


Abendblatt:

Wie soll das Geld verteilt werden?

Schavan:

Die Länder liefern in diesen Tagen ihre Vorschläge. Ich rate dazu, die kommunalen Partner und die Leitungen von Schulen und Hochschulen stark einzubeziehen. Sie wissen am besten, woran es mangelt. Wir brauchen vereinfachte Verfahren, die eine rasche Umsetzung möglich machen. Über das Wie beraten derzeit die Fachleute. Eine Möglichkeit wäre, beim Bund einen Fonds für Bildung einzurichten. Ich hätte nichts gegen eine Vergabe nach dem Windhund-Verfahren. Geld bekommen nach kurzer Prüfung vor Ort Schulen und Hochschulen, die schnell sinnvolle Modernisierungsvorhaben anmelden. Wenn die Sommerferien beginnen, müssen Baustellen sichtbar sein.



Abendblatt:

Wo sehen Sie den größeren Bedarf: im Osten oder im Westen?

Schavan:

Der Sanierungsbedarf in den neuen Ländern ist derzeit im Schnitt eher geringer als in manchen alten Ländern, die einen hohen Anteil an Schulen aus den 70er-Jahren haben. Aber wir sprechen ja nicht nur von Sanierung, sondern ausdrücklich von Modernisierung.



Abendblatt:

15 Milliarden für Schulen und Hochschulen - was soll das Konjunkturpaket noch enthalten?

Schavan:

Wichtig sind mir steuerliche Anreize für Forschung und Entwicklung in kleinen und mittelständischen Unternehmen. Für dieses Instrument der Innovationsförderung sollten wir jetzt grünes Licht geben. Konkret stelle ich mir Steuerschecks im Gesamtumfang von ein bis zwei Milliarden Euro jährlich vor. In anderen Staaten hat sich das bewährt.



Abendblatt:

Wirtschaftsstaatssekretär Hintze hat zur Belebung der Konjunktur eine Mondmission vorgeschlagen. Was sagt die Forschungsministerin dazu?

Schavan:

Das ist ein reizvolles Projekt für die deutsche Forschung. Ich bin sehr dafür, deutschen Wissenschaftlern die Möglichkeit zu geben, den Mond zu kartografieren.



Abendblatt:

In der Diskussion sind auch Absatzhilfen für die Autoindustrie, etwa in Form einer Abwrackprämie ...

Schavan:

Die Autoindustrie ist zentral bedeutsam für unsere Volkswirtschaft. Deshalb ist sie auch schon im ersten Konjunkturpaket bedient worden. Es kann nicht darum gehen, immer neue Subventionen für Autokäufer zu erfinden. Die deutsche Autoindustrie ist aufgerufen, ihr Innovationspotenzial völlig auszuschöpfen und die modernsten - sprich: die umweltfreundlichsten -


Autos der Welt zu bauen. Darüber werde ich mit den Forschungschefs der Autokonzerne erneut sprechen. Diskussionen über Abwrackprämien greifen zu kurz.


Abendblatt:

Wie denken Sie über die Senkung von Sozialabgaben wie der Krankenversicherung?

Schavan:

Wir sollten uns auf Maßnahmen konzentrieren, die unser Land voranbringen und unseren Wohlstand auch in Zukunft sichern. Investitionen in Krankenhäuser sind weit sinnvoller als Beitragssenkungen, die in der Summe sehr viel kosten, den einzelnen Bürger aber nur minimal entlasten.



Abendblatt:

Nicht nur die Wirtschaft, auch Ihre Schwesterpartei CSU fordert rasche Steuersenkungen. Wie lange sperren Sie sich noch dagegen?

Schavan:

Mir fällt dazu der Satz aus dem Alten Testament ein: Alles hat seine Zeit. Eine Senkung der Einkommenssteuer ist wünschenswert. Zum jetzigen Zeitpunkt würde sie uns aber der Mittel berauben, die notwendig sind, um einen Modernisierungsschub in Deutschland einzuleiten. Das Steuerthema stellt sich im Rahmen einer wirklichen Strukturreform - nach der Bundestagswahl.



Abendblatt:

Dann müssen Sie damit rechnen, dass die CSU ihr Veto gegen das Konjunkturpaket einlegt.

Schavan:

Wir müssen jetzt hinter den Kulissen verhandeln. Ich bin sehr zuversichtlich, dass CDU und CSU am Sonntag erste gemeinsame Leitlinien erarbeiten. Das Kriterium muss doch sein, ein Paket zusammenzubekommen, das unser Land voranbringt.



Abendblatt:

Der SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier schlägt vor, das Konjunkturpaket einfach ohne die CSU zu verabschieden.

Schavan:

Steinmeier redet neuerdings ziemlich komisch.



Abendblatt:

Ihre Schwesterpartei droht bereits, mit einem eigenen Programm in die Bundestagswahl zu ziehen - und die Klausurtagung in Wildbad Kreuth steht erst noch bevor. Wie tief ist der Riss zwischen CDU und CSU?

Schavan:

Ich sehe keinen Riss. Die CSU hat eine äußerst schwierige Wahl hinter sich, die viel aufgewühlt hat. Das wird uns in diesem wichtigen Jahr 2009 aber nicht wirklich auseinanderbringen. CDU und CSU sind aufeinander verwiesen. Ich bin davon überzeugt, dass wir mit gemeinsamen Eckdaten in diese Bundestagswahl gehen. Die Alternative für die CSU wäre, Landespartei zu sein.



Abendblatt:

SPD-Fraktionschef Struck hat im Interview mit dem Hamburger Abendblatt erkennen lassen, dass er in Krisenzeiten die Große Koalition für die beste Option hält ...

Schavan:

Wir dürfen nicht kleinreden, was diese Koalition erreicht hat. Aber wir sollten uns auch nicht in sie verlieben. Für mich ist wichtig, dass die Union nach der Bundestagswahl eine Koalition mit der FDP bildet und wieder stärker das Profil einer durch und durch bürgerlichen Politik entwickelt. Viele in der SPD sind doch längst auf der Suche nach neuen Partnern und scheuen sich nicht, immer pragmatischer mit der Linken umzugehen.



Abendblatt:

Sind Sie für eine förmliche Koalitionsaussage zugunsten der FDP?

Schavan:

Der Wahlkampf soll kurz und klar sein. Zur Klarheit gehört für mich auch eine Koalitionsaussage zugunsten der FDP. Es ist wichtig, dass der Wähler am Wahltag weiß, welche Politik er zu erwarten hat.



Abendblatt:

SPD-Generalsekretär Hubertus Heil vergleicht Horst Seehofer mit Lafontaine, Bundesgeschäftsführer Kajo Wasserhövel sieht bei der Kanzlerin "viel Taktik, keine Linie". Ihr Wunsch nach einem kurzen Wahlkampf scheint nicht in Erfüllung zu gehen.

Schavan:

Darin zeigt sich die ganze Widersprüchlichkeit der SPD. Struck will die Große Koalition fortsetzen, Heil und Wasserhövel erklären die Union dagegen für orientierungslos. Die Sozialdemokraten schließen wild im Gelände herum. Wir sollten die nächsten Monate stabil und verlässlich arbeiten. Der Bürger hat kein Verständnis für ein derartiges rhetorisches Feuerwerk, das mit so vielen Rohrkrepierern verbunden ist.