Wolfgang Thierse: Vertriebenenpräsidentin redet “Unsinn“. Kanzlerin soll beim Matthiae-Mahl vermitteln.

Berlin. Der Streit um die Nominierung Erika Steinbachs in den Stiftungsrat des Zentrums gegen Vertreibungen eskaliert. Auslöser ist Steinbachs Angriff gegen die SPD.

Die Vertriebenenpräsidentin hatte den Sozialdemokraten und namentlich Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse im Hamburger Abendblatt vorgeworfen, Polen systematisch gegen sie und das Projekt "aufgehetzt" zu haben. Der SPD-Politiker sagte dazu: "Der Vorwurf von Frau Steinbach ist blanker Unsinn. Er zeigt, dass die Präsidentin des Vertriebenverbandes immer noch nicht gelernt hat, polnische Politiker ernst zu nehmen, sie nicht herabzuwürdigen und nicht bloß als von deutschen Amtskollegen Angestiftete wahrzunehmen", so Thierse gegenüber dem Abendblatt. Was seine eigene Rolle am Aufbau der Stiftung angehe, sei das Gegenteil richtig. "Es ist von sozialdemokratischer Seite mir zu verdanken, dass das Projekt der Stiftung überhaupt Eingang in den Koalitionsvertrag gefunden hat", sagte Thierse. "Ich bin selbst Vertriebener, ich weiß, wovon die Rede ist. Deshalb habe ich es immer engagiert unterstützt."

Der Streit um die Nominierung Steinbachs, die die SPD nicht mittragen will, überschattet das Matthiae-Mahl, bei dem morgen Abend Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der polnische Ministerpräsident Donald Tusk im Hamburger Rathaus zusammentreffen. Regierungssprecher Ulrich Wilhelm bestätigte gestern in Berlin, dass in einem gemeinsamen Gespräch auch der Streit über die Rolle Steinbachs zur Sprache kommen soll.

Die in Polen verhasste CDU-Bundestagsabgeordnete war völlig rechtmäßig vom Bund der Vertriebenen für den Stiftungsrat des geplanten und von ihr initiierten Zentrums gegen Vertreibungen nominiert worden. Die Bundesregierung muss darüber noch entscheiden - eigentlich eine Formalie. Tusk hatte Steinbach daraufhin aber als inakzeptabel für Polen bezeichnet. Sie werde "immer eine Reizfigur in den deutsch-polnischen Beziehungen sein". Steinbach hatte zuvor Polen den Versuch vorgeworfen, die Bundesregierung erpressen zu wollen. Merkel selbst hatte erklären lassen, für die Besetzung des Stiftungsrats, die vom Kabinett bestätigt werden muss, bestehe kein Zeitdruck. Sie müsse im "Geist der Versöhnung" vorgenommen werden.

Erstmals wurde die Kanzlerin gestern allerdings aus ihrer eigenen Partei aufgefordert, über die Besetzung des Stiftungsrats rasch zu entscheiden, wenn nötig unter Verschiebung der Personalie Steinbach bis nach der Bundestagswahl. Auch der SPD-Kanzlerkandidat, Außenminister Frank-Walter Steinmeier, hatte sich für eine zügige Entscheidung ausgesprochen.

Thierse machte indes Steinbach selbst verantwortlich für das Bild, das die Polen von ihr haben: "Frau Steinbach verdrängt, dass ihr Bild in Polen seit 20 Jahren feststeht. Sie hat 1991 gegen die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze gestimmt. So etwas vergisst man dort nicht. Seitdem ist sie für Polen ein rotes Tuch. Das müssen wir berücksichtigen", sagte er. Thierse forderte Merkel auf, beim Matthiae-Mahl "klarzustellen, was ihr wichtiger ist: entweder ein gutes Verhältnis zu Frau Steinbach und dem Bund der Vertriebenen - oder zwischen Deutschland und Polen."

Die Polen-Beauftragte der Bundesregierung, Gesine Schwan, drängte Merkel zu einer raschen Entscheidung. Ansonsten drohe eine schwere Belastung der Beziehungen zu Polen, sagte die SPD-Präsidentschaftskandidatin der "Berliner Zeitung". Sie plädierte dafür, Steinbach nicht in den Stiftungsrat zu berufen. "Wenn man eine Politik guter Nachbarschaft will, muss man aufeinander Rücksicht nehmen", sagte sie.