Der Chef des Inlandsgeheimdienstes wertet die jüngsten Drohvideos als Beleg, dass Anschläge in Vorbereitung sind. Islamisten wollten auf diese Weise einen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan erzwingen.

Hamburg. Abendblatt:

Herr Fromm, in den vergangenen Tagen sind im Internet gleich mehrere islamistische Drohvideos aufgetaucht, die sich gezielt gegen Deutschland richten. Tickt die Uhr für einen Terroranschlag?

Heinz Fromm:

Die Gefahr ist sehr groß, dass in Deutschland ein Terroranschlag durch Islamisten verübt wird. Das ist uns seit Längerem klar. Die jetzt veröffentlichten Videos in deutscher Sprache bestätigen, dass es Personen gibt, die sich auf deutsche Ziele im In- und Ausland konzentrieren.



Abendblatt:

In einem Video erwähnt ein Sprecher, der sich als Bekkay Harrach zu erkennen gibt, ein Treffen mit einem Verfassungsschützer. Was wissen Sie über den Mann?

Fromm:

Wir gehen davon aus, dass er eine nicht unbedeutende Rolle in der Terrororganisation al-Qaida spielt. Das zeigen auch Machart und Herkunft des Videos. Entsprechend ernst nehmen wir die Drohung. Die Botschaft lautet: Ihr Deutschen seid mit euren Soldaten in Afghanistan. Das gefällt uns nicht. Veranlasst eure Politiker, das zu ändern.



Abendblatt:

Ist das eine neue Eskalationsstufe?

Fromm:

Jedenfalls in propagandistischer Hinsicht. Im Kern belegen die Aussagen, dass Anschläge gegen unser Land vorbereitet werden.



Abendblatt:

Zielt al-Qaida auf die Bundestagswahl? Will die Terrororganisation den Abzug Deutschlands aus Afghanistan erzwingen - so wie sie vor fünf Jahren den Abzug Spaniens aus dem Irak erzwungen hat?

Fromm:

Diese Überlegung liegt nahe. Die Erklärungen in dem Video deuten in diese Richtung. Die Rechtfertigung für einen Anschlag soll damit vorgegeben werden: Wenn die Deutschen mit ihrer Demokratie nicht in der Lage sind, ihre Regierung davon abzubringen, gegen uns in Afghanistan vorzugehen, dann sind sie selber schuld, wenn Blut fließt. Das ist dasselbe Argumentationsmuster, das nach dem 11. September 2001 von Bin Laden verwendet wurde.



Abendblatt:

Der Islamist Harrach, der sich in den pakistanischen Stammesgebieten aufhalten soll, hat einige Zeit in Bonn gelebt. Neben der marokkanischen besitzt er die deutsche Staatsbürgerschaft. Wie viele Deutsche kämpfen inzwischen gegen das eigene Land?

Fromm:

Eine exakte Zahl kann man nicht nennen. Das ist im Übrigen eine Definitionsfrage. Den Sicherheitsbehörden ist ein islamistisch-terroristisches Personenpotenzial in Deutschland im hohen dreistelligen Bereich bekannt; darunter sind viele eingebürgerte Deutsche und auch Konvertiten.



Abendblatt:

Was raten Sie der Bevölkerung?

Fromm:

Es ist selbstverständlich in erster Linie die Aufgabe der Sicherheitsbehörden, sich in professioneller Weise um diese Dinge zu kümmern. Was die Bevölkerung angeht, kann man sich immer nur wünschen, dass sie aufmerksam ist. Wenn den Bürgern etwas auffällt, sollten sie es der Polizei oder dem Verfassungsschutz melden. Leider sind die muslimischen Mitbürger noch immer sehr zurückhaltend gegenüber den Sicherheitsbehörden.



Abendblatt:

Sie hatten extra eine Hotline geschaltet.

Fromm:

Die gibt es immer noch, wird aber zu meinem Bedauern so gut wie nicht genutzt. Ich würde mir wünschen, dass die Muslime ihre Zurückhaltung gegenüber den deutschen Sicherheitsbehörden aufgeben, die gewissenhaft und diskret damit umgehen. Wenn auffällt, dass sich junge Leute radikalisieren, sollte das gemeldet werden. Um solche Informationen zu geben, muss man nicht Deutsch können, es geht auch auf Türkisch oder Arabisch.



Abendblatt:

Leben Sie nicht in der ständigen Sorge, etwas zu übersehen?

Fromm:

Wir bemühen uns, Islamisten und die Milieus, in denen sie sich aufhalten, zu identifizieren und unter Kontrolle zu halten.



Abendblatt:

Aber Sie können sich nie sicher sein, dass Sie alle kennen. Die Kofferbomber kannten auch Sie nicht.

Fromm:

Das ist richtig. In diesem Fall haben wir alle miteinander großes Glück gehabt.



Abendblatt:

Sind die Instrumente zur Terrorabwehr ausreichend, die Ihnen der Gesetzgeber seit den Anschlägen vom 11. September 2001 zur Verfügung gestellt hat?

Fromm:

Den Sicherheitsbehörden ist in den letzten Jahren sehr geholfen worden. Wir haben zusätzliches Personal und auch mehr Geld bekommen. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat heute mehr Mitarbeiter als am Ende des Kalten Krieges und widmet sich in erster Linie der Terrorismusabwehr, ohne anderes - wie etwa den Rechtsextremismus - zu vernachlässigen. Eine besondere Herausforderung ist in diesem Zusammenhang die Entwicklung der modernen Kommunikationstechnik. Dem müssen wir Rechnung tragen.



Abendblatt:

Und wie?

Fromm:

Immer mehr Kommunikation, immer mehr Aktivitäten von Extremisten finden im Internet statt. Für eine effektive Aufklärung benötigen wir ein an die technische Entwicklung angepasstes Instrumentarium. Das heißt: Die nachrichtendienstliche Überwachung gefährlicher Personen und Gruppierungen muss auch dann stattfinden können, wenn sie sich im virtuellen Raum des Internets betätigen. Diese Notwendigkeit ist mitunter nicht ganz leicht zu vermitteln, wie die aktuelle Diskussion über die "Online-Durchsuchung" zeigt. Ein nützliches Instrument, aber natürlich kein Allheilmittel.



Abendblatt:

Ist der Kampf - oder Krieg, wie die Amerikaner sagen - gegen den Terrorismus überhaupt zu gewinnen?

Fromm:

Ein Ende des islamistischen Terrorismus ist nicht absehbar. Wir konzentrieren uns auch weiterhin darauf, Anschlagsplanungen möglichst frühzeitig aufzudecken und zu verhindern.



Abendblatt:

Welche Rolle spielt der Nahostkonflikt?

Fromm:

Die jüngsten Ereignisse im Gazastreifen haben eine starke emotionale Resonanz in Deutschland gehabt - stärker als während des Libanonkrieges 2006. Die Kampfhandlungen im Gazastreifen und die Berichterstattung vor allem in arabischen Medien darüber haben neuen Hass produziert. Unsere Sorge ist, dass Palästinenser und andere Muslime sich zu spontanen Übergriffen in Deutschland veranlasst sehen könnten. Die ohnehin bestehende Gefahr für israelische, für jüdische Einrichtungen hat sich dadurch weiter erhöht.



Abendblatt:

Der neue US-Präsident Obama tritt als Versöhner auf. Welche Reaktionen in der islamistischen Szene nehmen Sie wahr?

Fromm:

Wir haben bisher keine expliziten Reaktionen in Deutschland festgestellt. Ich glaube nicht, dass wir sehr schnell mit einer Entspannung rechnen können.



Abendblatt:

Die Bundesregierung erwägt, Häftlinge aus dem US-Gefangenenlager Guantanamo aufzunehmen. Wäre das zu verantworten?

Fromm:

Das ist eine politische Entscheidung, die abzuwarten bleibt.



Abendblatt:

Wie nehmen Islamisten eigentlich die internationale Finanzkrise auf?

Fromm:

Man sieht das als Beleg für die angebliche Schwäche des Westens. Aber die Krise ist bisher kein beherrschendes Thema in der Islamistenszene.



Abendblatt:

Die Arbeitslosigkeit in Deutschland nimmt erheblich zu. Bringt die Wirtschaftskrise anderen Extremisten - Links- und Rechtsextremisten - mehr Zulauf?

Fromm:

Ein solcher Effekt kann nicht ausgeschlossen werden. Bisher konnte die Krise allerdings noch nicht wirksam für extremistische Politik instrumentalisiert werden. Die Parteien und Gruppierungen im links- und rechtsextremistischen Spektrum werden versuchen, die angespannte wirtschaftliche Situation für sich zu nutzen. Der NPD ist es schon einmal gelungen, von den Sorgen vieler Menschen zu profitieren. Die 9,2 Prozent in Sachsen 2004 hatten viel damit zu tun, dass die NPD die damaligen Diskussionen um die "Agenda 2010" in populistischer Weise genutzt hat.



Abendblatt:

Welches Potenzial hat die NPD im Superwahljahr?

Fromm:

Trotz erheblicher innerparteilicher und finanzieller Probleme hat die NPD in den neuen Bundesländern eine Perspektive, in die Landtage gewählt zu werden. Von vielen Wählern wird sie als Protestpartei wahrgenommen. Vor allem in Sachsen und in Thüringen wird sie ihre Chance suchen. Im Westen ist das Potenzial der NPD deutlich geringer, wenngleich man sehen muss, dass sie - ebenfalls 2004 - bei der Landtagswahl im Saarland vier Prozent erreichte.



Abendblatt:

Die Debatte über ein NPD-Verbot ist neu entflammt. Reicht das Material des Verfassungsschutzes aus, um die Verfassungswidrigkeit der rechtsextremistischen Partei zu belegen?

Fromm:

Über die Frage, ob es ein neues Verbotsverfahren geben soll, ist in den vergangenen Jahren viel, mit wechselnder Intensität, diskutiert worden. Ich persönlich bin angesichts der rechtlichen Vorgaben, wie sie sich aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in dem früheren Verbotsverfahren ergeben, sehr skeptisch, ob es zweckmäßig wäre, erneut ein Verbot zu beantragen.



Abendblatt:

Wie groß ist das Gewaltpotenzial der rechten Szene?

Fromm:

In Deutschland gibt es im Moment keinen Rechtsterrorismus. Festzustellen ist aber eine erhebliche Gewaltbereitschaft in der rechten Szene. Hinzugekommen in den vergangenen Jahren ist militantes Verhalten auf der Straße: Sogenannte Autonome Nationalisten - nach unseren Schätzungen etwa 400 bis 500 Personen aus der Neonazi-Szene - gehen bei Demonstrationen auf ihre Gegner und auch auf die Polizei los. In Hamburg hat man am 1. Mai vergangenen Jahres entsprechende Erfahrungen machen müssen.



Abendblatt:

Nehmen sie Tote in Kauf?

Fromm:

Mitunter hat es so ausgesehen.