Das Bündnis streitet jetzt über das richtige Vorgehen gegen die mächtigen Kriminellen am Hindukusch.

Hamburg/Berlin. Der Oberbefehlshaber der Nato, der amerikanische General Bantz John Craddock, hat offenbar den Truppen der Allianz in Afghanistan den Befehl erteilt, ab sofort Jagd auf alle Drogenhändler und ihre Einrichtungen zu machen und dabei mit tödlicher Gewalt vorzugehen - unabhängig davon, ob die Verdächtigen sich am Kampf gegen die afghanische Regierung oder westliche Truppen beteiligten oder nicht.

Dieser Befehl, über den der "Spiegel" berichtet, hat einen offenen Streit innerhalb der Nato-Kommandeure ausgelöst. Sowohl der für den Afghanistan-Einsatz zuständige Befehlshaber der Nato-Zentrale im niederländischen Brunssum, der deutsche General Egon Ramms, als auch der Kommandeur der Isaf-Truppe in Kabul, US-General David McKiernan, wollen sich dem Befehl von Craddock widersetzen. Beide sehen darin einen rechtswidrigen Verstoß gegen internationale Einsatzregeln. Craddock hatte geschrieben, es sei "nicht länger nötig, Geheimdienstaufklärung zu betreiben oder zusätzliche Beweise zu erbringen, ob jeder Drogenhändler oder jede Drogeneinrichtung in Afghanistan auch die Kriterien eines militärischen Zieles erfüllt".

McKiernans Hauptquartier in Kabul erklärte, Craddock kreiere damit eine "neue Kategorie von feindlichen Militärkräften" und untergrabe damit die Zusage von Isaf gegenüber den Afghanen, "zivile Opfer so weit wie möglich zu vermeiden". Ende Dezember hatte das Central Command der US-Streitkräfte in Florida bereits seine Einsatzregeln dramatisch verändert: US-Soldaten dürfen danach Drogenlabore bombardieren, wenn zu erwarten ist, dass "nicht mehr als zehn Zivilisten" dabei getötet werden.

"Wenn es tatsächlich einen derartigen Befehl von General Craddock gibt, ist er nach unserer Auffassung eindeutig rechtswidrig", sagte die Wehrexpertin und stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Birgit Homburger, dem Hamburger Abendblatt. "Dies verstößt gegen die Menschenrechte und auch gegen das Kriegsvölkerrecht. Es ist nicht hinnehmbar, dass die internationale Gemeinschaft durch solche Befehle in Misskredit gebracht wird. Und deswegen haben wir die Bundesregierung aufgefordert, diesen Vorgang unverzüglich aufzuklären und - so er sich als zutreffend herausstellen sollte - dies zu verurteilen und die Ablösung von John Craddock zu fordern." Homburger betonte: "Ich halte es für nicht hinnehmbar, dass der Oberbefehlshaber der Nato einen rechtswidrigen Befehl erteilt. Er bringt damit auch alle, die ihm nachgeordnet sind, in große Schwierigkeiten, weil es den Soldaten aus guten Gründen nicht erlaubt ist, rechtswidrige Befehle auszuführen." Die FDP-Wehrexpertin fügte hinzu, falls es stimme, dass die Generale Ramms und McKiernan sich geweigert haben, dem Befehl Craddocks nachzukommen, dann "haben sie meine volle Unterstützung, weil ich der Überzeugung bin, dass sie die richtige Rechtsauffassung vertreten".

Der Hamburger FDP-Bundestagsabgeordnete und Menschenrechtsexperte Burkhardt Müller-Sönksen sagte gegenüber dem Abendblatt, Craddocks Befehl komme "einem finalen Rettungsschuss ohne mündliche Verhandlung" gleich; er wolle mit der "Lizenz zum Töten" offenbar James Bond 007 spielen. "Alle Achtung vor dem deutschen General Ramms!", sagte Müller-Sönksen.

Homburger sprach sich gegen einen bewaffneten Einsatz der Bundeswehr gegen die Drogenbarone aus, da dies nur zu weiteren Schwierigkeiten für den Einsatz der internationalen Truppe führe. Vielmehr solle den Menschen in Afghanistan eine Alternative zum Drogenanbau gegeben werden - dies bringe mehr als militärische Einsätze, sagte Homburger.