Der Bundespräsident und Verteidigungsminister Joachim Gauck war zu Besuch bei der Führungsakademie in Blankenese.

Hamburg. Als das Marinemusikkorps Ostsee mit klingendem Spiel aufmarschierte, begleitet von einer Abordnung des Wachbataillons in Marineuniform, war klar, dass der hohe Besuch aus Berlin nicht mehr weit sein konnte. Zunächst erschien Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) vor dem alten Hauptgebäude 1 der Blankeneser Führungsakademie. Sein fröhliches "Guten Morgen, Soldaten!" blieb allerdings unbeantwortet, weil die Truppe noch im Stillgestanden stand. Man durfte sich rühren, und ein zweiter Versuch klappte dann - rechtzeitig zum Erscheinen des Bundespräsidenten.

Joachim Gauck, seit Ende März elftes Staatsoberhaupt der Bundesrepublik Deutschland, hatte sich für seinen Antrittsbesuch bei der Bundeswehr deren höchste Ausbildungsstätte ausgesucht - die "kleine Uno an der Elbe". Da war die Anwesenheit von Thomas de Maizière obligatorisch. Mit fester Hand stoppte der Minister das zum Präsentiermarsch druckvoll ausschreitende Staatsoberhaupt noch rechtzeitig zu einer kurzen Verneigung vor der deutschen Fahne.

Vielleicht hat sich der Zivilist und frühere Pastor Gauck die Führungsakademie auch deshalb für seinen ersten intensiven Kontakt mit der Bundeswehr ausgesucht, weil die lernenden Soldaten dort nicht nur eine militärtaugliche Ausbildung erfahren, sondern auch eine hohe soziale und interkulturelle Kompetenz verpasst bekommen. Bereits seit 1957 werden hier militärische Spitzenkräfte der Bundeswehr und befreundeter Nationen auf anspruchsvolle Aufgaben vorbereitet. Durchschnittlich rund 600 Lehrgangsteilnehmer aus mehr als 50 Nationen lernen gemäß dem FüAk-Motto "Mens agitat molem" - der Geist bewegt die Materie. Pro Jahr gibt es rund 2000 Absolventen.

+++ "Da wird kein geistiger Gleichschritt gelehrt" +++

Zunächst einmal bewegte allerdings Joachim Gauck die Gemüter, indem er sich liebevoll-väterlich einer Schar Kleinkinder in Kompaniestärke widmete, die zu seiner Begrüßung aufgezogen waren. Seit 1969 gibt es in der Führungsakademie einen evangelischen Kindergarten, den Soldatenfamilien, ausländische Lehrgangsteilnehmer und Blankeneser nutzen können.

"Willkommen nach China!", krähte unvermittelt ein etwa Vierjähriger mit unverkennbar chinesischem Migrationshintergrund dem Bundespräsidenten entgegen. Kurz zuvor hatte eine Betreuerin dem kleinen Patrioten noch eine rote chinesische Fahne entwinden können, die aus dem Meer der weißen FüAk-Fahnen ziemlich einsam herausstand. Joachim Gauck, 72, verwies ausweichend auf sein fortgeschrittenes Alter sowie den weiten und recht anstrengenden Weg nach China, sagte aber zu, den Besuchswunsch wohlwollend zu prüfen. Deutlich konkreter äußerte er sich zu den selbst gebastelten Geschenken der Kleinen: "Die nehme ich alle mit nach Berlin!"

Nach dem Gespräch über China und andere Themen zog sich der Bundespräsident mit Kommandeur Achim Lidsba und Minister de Maizière hinter verschlossene Türen zurück, um sich aus erster Hand über die Bundeswehr im Allgemeinen und die Führungsakademie im Besonderen zu informieren.

Anschließend hielt er im Manfred-Wörner-Zentrum eine halbstündige Rede vor Lehrgangsteilnehmern und einigen geladenen Gästen, unter ihnen Prof. Peter Tamm, Stifter des Internationalen Maritimen Museums und Hamburgs früherer Innenstaatsrat und Polizeipräsident Dirk Reimers.

+++ Gauck auf Visite im "Sehnsuchtsland" +++

"Soldaten und Militär - das war mir in den ersten fünf Jahrzehnten meines Lebens allgegenwärtig", sagte der im SED-Staat aufgewachsene Gauck. Und dies sei keineswegs mit guten Gefühlen verbunden: "Ich erinnere mich an die Aufmärsche, an die Militarisierung der Schulen, an die Erziehung zum Hass. An die militärische 'Absicherung' einer unmenschlichen Grenze - nicht gegen einen Aggressor, sondern gegen das eigene Volk." Er habe das Militärische kennengelernt als eine - nicht nur physische - "Begrenzung der Freiheit".

Als Joachim Gauck dann fortfuhr: "Und nun stehe ich vor Ihnen in Hamburg als Bundespräsident des vereinten Deutschlands", überraschte er seine Zuhörer mit einer plötzlichen Geste. Gauck unterbrach sich für ein paar Sekunden, trat beiseite und ergriff die rechts neben ihm stehende Bundesfahne mit einer fast zärtlich anmutenden Berührung. Um dann zu sagen: "Ich bin froh, weil ich zu dieser Armee und zu den Menschen, die hier dienen, aus vollem Herzen sagen kann: Diese Bundeswehr ist keine Begrenzung der Freiheit, sie ist eine Stütze unserer Freiheit."

Der Bundespräsident verwies auf die enormen Herausforderungen der deutschen Armee bei Reformen und Auslandseinsätzen in einer sich rasend schnell verändernden Welt, beklagte aber zugleich, dass die deutsche Armee im öffentlichen Bewusstsein nicht sehr präsent sei. Es gebe ein "Nicht-wissen-Wollen" bezüglich der Probleme im Auslandseinsatz. Vor allem, dass es wieder deutsche Kriegsversehrte und gar Gefallene gebe, sei für diese "glücksüchtige Gesellschaft" schwer zu ertragen. Über das, was der Bundeswehr abverlangt werde, müsse aber "da debattiert werden, wo unsere Streitkräfte ihren Ort haben: in der Mitte unserer Gesellschaft". Und nicht jeder in der Zivilgesellschaft Deutschlands sei sich darüber im Klaren, sagte Gauck, dass Freiheit ohne Verantwortung, ohne Hingabe, ohne Dienen nicht zu haben sei.