Experten kritisieren Politik, fordern eine Serviceagentur für Migration und ein Ende des Betreuungsgeldes. Doch es gibt auch Lob für Hamburg.

Hamburg. Fachkräftemangel, Punktesystem für Zuwanderer, Freizügigkeit der Arbeitnehmer in Europa, EU-Erweiterung bis nach Rumänien und Bulgarien - die Kommunen in Deutschland sowie Bund und Länder stehen vor Herausforderungen in der Integrationspolitik. Aber auch vor einer großen Chance. Und den Städten und Gemeinden mangelt es nicht an gutem Willen zur Integration von Zuwanderern - doch weil Deutschland ein Masterplan zur Integration fehlt, droht das Land diese Chance zu verspielen. So lautet das Fazit der Experten aus dem Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Migration und Integration.

Am Dienstag haben sie in Berlin ihren Jahresbericht vorgestellt. Die Sachverständigen sprachen von einem "Wildwuchs integrationspolitischer Einzelmaßnahmen". Neben Erfolgen gebe es auch konzeptloses Durchwursteln bis hin zu Hindernissen bei der Umsetzung der Maßnahmen sowie Finanzierungsblockaden. Gegen den "Wildwuchs" fordern die Experten stärkere Kooperation von Bund, Ländern und Kommunen, eine Serviceagentur für Integrationspolitik und bessere Bildungspolitik.

Der Bericht der Sachverständigen stand noch unter dem Einfluss der hitzigen Debatten, die Deutschland bei der Integrationspolitik in den vergangenen Jahren erlebt hatte - vor allem ausgelöst von Thilo Sarrazins Buch "Deutschland schafft sich ab". Die "Sarrazin-Debatte" habe die Menschen in Deutschland beim Thema Integration polarisiert. Die Zahl derer, die Einheimischen und Zuwanderern Integrationsbereitschaft attestierten, ist von 43,9 auf 49,7 gestiegen, bei Menschen mit Migrationshintergrund sogar von 53,3 auf 58,9 Prozent. Demgegenüber stieg aber auch der Anteil der "Pessimisten" von 32,0 auf 37,1 Prozent, bei Zuwanderern und deren Kindern von 22,5 auf 28,4 Prozent. Die Befürchtungen, wonach die "Sarrazin-Debatte" das Klima in Deutschland nachhaltig beschädigt haben könnte, hätten sich damit nicht bewahrheitet, erklärte der Vorsitzende des Sachverständigenrats, Klaus Bade.

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Auch die Politik ließ sich davon nicht leiten. Fast alle Großstädte, zwei Drittel der mittelgroßen Städte und Landkreise sowie rund die Hälfte der Kleinstädte und Gemeinden messen der kommunalen Integrationspolitik eine hohe oder sehr hohe Bedeutung bei. Die Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Kommunen in diesem Bereich sei aber "dringend verbesserungswürdig", kritisierte Bade. Vor allem bei der Bildungspolitik müsse das Kooperationsverbot der Länder aufgehoben werden. Bade fordert zudem die Einrichtung einer zentralen und bundesweiten Serviceagentur zur Unterstützung der Integrationspolitik. Bei ihr sollen erfolgreiche Projekte aus Kommunen zusammengefasst werden.

Bade wandte sich zudem gegen das Betreuungsgeld für Eltern, die ihre kleinen Kinder zu Hause erziehen. Gerade für Kinder von Zuwanderern und aus sozial benachteiligten Familien sei die Förderung in Kitas besonders wichtig. Die Vize-Bundesvorsitzende der SPD, Aydan Özoguz, unterstützte die Forderungen. "Schluss mit dem unsinnigen Betreuungsgeld, dem Kooperationsverbot im Bildungsbereich und der mangelnden Abstimmung zwischen den Bundesministerien bei integrationspolitischen Vorhaben", hob Özoguz im Abendblatt hervor. Der Sachverständigenrat trage mit dem Gutachten zur dringend erforderlichen Versachlichung der Integrationsdebatte bei.

Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) verteidigte Maßnahmen der schwarz-gelben Regierung. "Mit dem Gesetz zur Anerkennung ausländischer Abschlüsse setzen wir ein wichtiges und sehr konkretes Integrationsvorhaben um", sagte Schavan dem Hamburger Abendblatt. Die Regierung schaffe zudem durch die bundesweite Bündelung aller Anlaufstellen in einer einzigen Hotline ein übersichtliches Verfahren für alle, die ihren Abschluss anerkennen lassen müssen.

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Defizite gibt es bundesweit auch bei der Einbindung von Migranten in den öffentlichen Dienst. Zu dem Ergebnis kam eine Studie des Instituts für Demokratische Entwicklung und Soziale Integration (DESI), die ebenfalls gestern von der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU), vorgestellt wurde.

Genau in diesem Punkt fanden die Sachverständigen allerdings Lob für Hamburg - sie hoben die Maßnahmen der Stadt zur Integration von Migranten im öffentlichen Dienst hervor. 2008 lag der Anteil der Beschäftigten mit Migrationshintergrund in der Hamburger Verwaltung mit 8,9 Prozent noch deutlich unter dem Anteil an Zuwanderern in der Stadt. 2006 hatte der damals noch CDU-geführte Senat beschlossen, den Anteil der Migranten bei Feuerwehr, Polizei und Verwaltung innerhalb von fünf Jahren von 5,2 auf 20 Prozent zu steigern. Erfolge sind da - doch die gesteckten Ziele auch unter dem neuen SPD-Senat noch nicht erreicht. Bis 2011 war der Anteil an Auszubildenden auf 16,5 Prozent gestiegen.

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In einem Antrag an die Bürgerschaft fordert die SPD-Fraktion nun eine Neuausrichtung der Hamburger Integrationspolitik und des Konzepts aus dem Jahr 2006, bislang jedoch lediglich mit Zielsetzungen - und ohne konkrete Vorschläge, wie dies umgesetzt werden soll. "Der neue Ansatz soll sich wie ein roter Faden durch alle Behörden ziehen und gemeinsam erarbeitet werden. Nicht nur Fachausschüsse sollen sich damit auseinandersetzen", so die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende und Fachsprecherin Soziales, Ksenija Bekeris. So will die SPD auch Flüchtlinge und Asylbewerber ins Integrationskonzept einbeziehen. Auch Frauen mit Migrationshintergrund sollen stärker gefördert werden, genauso fordert die SPD-Fraktion bessere Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt für ausländischen Studenten in Hamburg. Das Paket an neuen Maßnahmen soll der Bürgerschaft bis März 2013 vorgelegt werden.