Angela Merkel rutscht vor der NRW-Wahl in den Umfragen ab. In der Debatte zur Griechenland-Hilfe kämpft sie um Vertrauen.

Berlin. Angela Merkel dürfte die neuen Zahlen der Meinungsforscher gekannt haben, als sie gestern um 8.31 Uhr im Bundestag das Wort ergriff, um den Deutschen in eindringlichen Worten zu erklären, warum die massiven Hilfen für Griechenland ohne Alternative sind.

"Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um die Zukunft Europas und damit um die Zukunft Deutschlands in Europa", sagte die Bundeskanzlerin in ihrer Regierungserklärung. Und fügte an: "Ein guter Europäer ist nicht unbedingt der, der schnell hilft, sondern der, der hilft, dass die Euro-Zone keinen Schaden nimmt." So verteidigte die CDU-Vorsitzende ihr langes Zögern, bevor sie sich auf konkrete Hilfszusagen für Athen eingelassen hatte. Und vielleicht waren es auch Einlassungen wie diese, die manche nach ihrem Auftritt sogar von einer "Blut-Schweiß-und-Tränen-Rede" sprechen ließen: "Europa steht am Scheideweg", "Die EU lebt über ihre Verhältnisse", "Es gibt einen Kreislauf sich immer höher türmender Probleme", sowie: "Es hilft nur noch Schonungslosigkeit".

In den Tagen zuvor hatte es nicht nur aus der Opposition, sondern auch von den Kollegen aus der Europäischen Union immer wieder Kritik an Merkels Politik gegeben, da sie die Krise durch ihre Abwartehaltung nur verschärft habe. Ein Vorwurf, den der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy gestern noch einmal wiederholte. Sarkozy war es auch, der im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise - der ersten großen Krise, in der Merkel als Kanzlerin bestehen musste - immer mal wieder Kritik an Berlin geübt hatte. Doch damals, 2008, stand Merkel in Deutschland als "Managerin der Krise" nahezu unangefochten da. Heute, in der Euro-Krise, sind die Leute skeptischer.

Gestern Morgen wurde bekannt, dass die CDU/CSU in der neuen Forsa-Umfrage für "Stern" und RTL zwei Punkte gegenüber der Vorwoche verloren hat. Sie erreicht jetzt nur noch 34 Prozent. Und auch die Kanzlerin persönlich erhält plötzlich weniger Zuspruch: Nur noch 48 Prozent würden Merkel jetzt direkt zur Kanzlerin wählen - ein Minus von sechs Prozentpunkten gegenüber der Vorwoche. Nur mäßige Noten geben die Deutschen auch ihrem Krisenmanagement: Lediglich 41 Prozent finden, sie habe gut oder sehr gut gehandelt, fast jeder Zweite (48 Prozent) stellt ihr dagegen ein schlechtes Zeugnis aus.

Für Forsa-Chef Manfred Güllner stellt sich das so dar: "Anders als bei der Bankenkrise vor anderthalb Jahren ist die Kanzlerin nicht der ruhende Pol, der den Menschen in der Krise Zuversicht und Orientierung gibt. Damals erklärte sie, das Hilfspaket sei nicht für die Banken da, sondern für die Menschen. Doch letzte Woche hat sie eine entsprechende Formel nicht gefunden."

Gestern konnte man den Eindruck gewinnen, als wolle Merkel den Deutschen diese Formel nun verspätet nachreichen und so - auf der Zielgeraden des Wahlkampfes in Nordrhein-Westfalen - die öffentliche Meinung doch noch für sich gewinnen. Allerdings: Ihre Botschaften waren nicht alle neu. So oder so ähnlich hatte Angela Merkel auch bei ihren Auftritten zuvor immer wieder aufs Neue probiert, den Deutschen ihre Sicht auf die Dinge einzuschärfen, wenn auch etwas zögerlich.

Aber die Lage ist diesmal komplizierter als noch 2008. Da ist zum einen die Kritik aus den eigenen Reihen. Nicht nur, dass Angela Merkel so altgediente und in Sachen Euro glaubwürdige Absender wie Theo Waigel (CSU) nicht auf ihrer Seite hat. Der frühere Finanzminister warf ihr jetzt öffentlich ein schädliches "Hin und Her" im Griechenland-Schlamassel vor. Das ließe sich noch verkraften. Aber auch aus der Regierungskoalition selbst war lange ein Chor unterschiedlichster Stimmen zu vernehmen, der durchaus die Frage aufkommen lassen konnte, wer da eigentlich den Ton angibt. Mal forderte CSU-Landesgruppenchef Friedrich, dass Griechenland nicht geholfen werden solle, mal mahnte Fraktionschef Kauder an, die Banken müssten unbedingt an der Rettung beteiligt werden.

Merkel fehlt diesmal auch ein starker Partner an ihrer Seite, wie es der Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) damals war. Unvergessen ist der gemeinsame Auftritt der beiden, als sie dem Volk auf dem Höhepunkt der allgemeinen Verunsicherung versprachen: Eure Spareinlagen sind sicher. Der FDP-Vorsitzende und Außenminister Guido Westerwelle bietet sich als Steinbrück-Ersatz kaum an. Seine Äußerungen zur Krise in Griechenland wurden am Ende fast nur noch im Lichte der für die FDP besonders bedrohlichen Landtagswahl in NRW interpretiert.

Nun wirbt Angela Merkel um den Schulterschluss mit der SPD, die sich die Zustimmung zu den deutschen Notkrediten im Umfang von bis zu 22,4 Milliarden Euro am Freitag aber weiter offenhält. SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier hält ihr bis dahin lieber vor, sie habe die in der Bevölkerung unpopuläre Hilfe für Griechenland mit Blick auf die Wahl in NRW am kommenden Sonntag verschleppen wollen.

Weil das Regierungshandeln der schwarz-gelben Koalition bislang tatsächlich vor allem im Zeichen dieses Urnengangs stand, hat Merkel Schwierigkeiten, diesen Vorwurf zu entkräften, sagen politische Beobachter. Die Kanzlerin sei zum Opfer ihrer eigenen Strategie geworden, auch wenn die Aufschub-Taktik in Sachen Athen tatsächlich handfeste finanzpolitische Gründe hatte. So muss Merkel jetzt auch gegen das Image einer entscheidungsunfreudigen, nur parteipolitisch taktierenden Kanzlerin kämpfen. Und gegen die tief sitzende Angst der Menschen, dass der Euro doch keine stabile Währung ist.