Brüssel. Drastische Reaktionen auf die Griechen-Hilfen: Twitter-Gewitter und Guantánamo-Vergleiche. Der Live-Blog bei abendblatt.de.

Der Grexit ist vorerst abgewendet. In den Verhandlungen um Griechenland und die Rettung des Landes vor dem Euro-Austritt hat es in Brüssel eine Einigung gegeben. Die Eurogruppe geht von einem Finanzbedarf für Griechenland in Höhe von 82 bis 86 Milliarden Euro in den nächsten drei Jahren aus. Das machte Bundeskanzlerin Angela Merkel nach dem Krisengipfel der Staats- und Regierungschefs der Euro-Länder in Brüssel deutlich. Ein erheblicher Teil von bis zu 25 Milliarden Euro werde für die Rekapitalisierung der Banken nötig sein. Lesen Sie hier die Entwicklungen und Hintergründe im Live-Blog.

Tsipras plant offenbar Regierungsumbildung

Alexis Tsipras plant Medienberichten zufolge eine umfangreiche Kabinettsumbildung. Damit reagiere der Syriza-Chef auf die Ankündigung zahlreicher Abgeordneter des linken Flügels, gegen weitere Sparmaßnahmen zu stimmen. Zu den Ressortchefs, die gehen sollten, zählten Energieminister Panagiotis Lafazanis und der Minister für Soziales, Dimitris Stratoulis, berichteten mehrere griechische Medien übereinstimmend. Sie gelten als die Anführer des Linksflügels des Syriza-Bündnisses und sollen eine große Gruppe von bis zu 40 Abgeordneten kontrollieren. Syriza hat insgesamt 149 Sitze im Parlament in Athen.

Dijsselbloem: Hilfspaket für Griechenland dauert noch Wochen

Ein drittes Hilfspaket für Griechenland kann nach Worten von Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem frühestens in einigen Wochen stehen. „Wahrscheinlich wird das eher vier Wochen dauern als zwei Wochen“, sagte der Niederländer. „Und eigentlich bin ich eher ein Optimist.“ Zunächst müsse das griechische Parlament in dieser Woche Reformen beschließen, dann müssten einige nationale Parlamente grünes Licht geben. Erst dann könnten die Verhandlungen über ein Hilfspaket beginnen.

Griechenlands Banken bleiben bis Mittwoch geschlossen

Die griechischen Banken bleiben angesichts der schweren Finanzkrise mindestens bis einschließlich Mittwoch geschlossen. Den entsprechenden Ministerialerlass habe Vize-Finanzminister Dimitris Mardas unterzeichnet, berichtete das griechische Fernsehen. Die geltenden Kapitalverkehrskontrollen waren Anfang voriger Woche in Kraft getreten. Pro Tag können die Griechen auch weiterhin höchstens 60 Euro von ihren Konten abheben, wie es im Bericht des Staatsradios hieß. Überweisungen ins Ausland sind nur nach einer Genehmigung der Zentralbank und des Finanzministeriums möglich.

Dijsselbloem bleibt Eurogruppen-Chef

Der Niederländer Jeroen Dijsselbloem bleibt Vorsitzender der Eurogruppe. Der 49-Jährige wurde von den Euro-Finanzministern für eine zweite Amtszeit wiedergewählt, wie der EU-Ministerrat mitteilte. Der Sozialdemokrat führt die Runde der 19 Euro-Finanzminister seit knapp zweieinhalb Jahren, sein erstes Mandat endet am 21. Juli. Sein Herausforderer war der Spanier Luis de Guindos. „Ich danke meinen Kollegen für ihre Unterstützung und Zusammenarbeit und freue mich auf eine zweite Amtszeit als Präsident der Eurogruppe“, schrieb Dijsselbloem nach der Wahl auf dem Kurzmitteilungsdienst Twitter. Der niederländische Finanzminister steht seit Januar 2013 an der Spitze der Ministerrunde. Seine größte Herausforderung ist die Bewältigung der Griechenlandkrise.

Demonstration gegen Sparpolitik in Athen - Streikaufruf

Mehrere hundert Staatsbedienstete haben vor dem griechischen Parlament in Athen gegen die Fortsetzung der Sparpolitik demonstriert. Sie riefen die Regierung unter Tsipras und die Parteien auf, das neue von den Gläubigern des Landes geforderte Sparpaket nicht zu billigen. „Keine Austerität mehr“, skandierten die Demonstranten, wie das Fernsehen berichtete. Ihnen schlossen sich auch Mitglieder einer außerparlamentarischen Linkspartei an. Die Gewerkschaft der Staatsbediensteten (ADEDY) rief zu einem landesweiten Streik für den Tag auf, an dem das Parlament in Athen zusammenkommt, um das erste Paket von Sparmaßnahmen zu billigen. Allen Anzeichen nach werde das am Mittwoch sein, berichteten griechische Medien.

Chef der Rechtspopulisten: Tsipras ist erpresst worden

Tsipras ist nach Ansicht seines rechtspopulistischen Koalitionspartners von den Euro-Partnern erpresst worden. „Es war ein Putsch seitens Deutschlands, Finnlands, der Niederlanden und Staaten des Baltikums“, sagte der Chef der Partei der Unabhängigen Griechen (Anel), Panos Kammenos, der zugleich Verteidigungsminister ist, im griechischen Fernsehen nach einem Treffen mit Tsipras.

Parlamentspräsidentin vor der Ablösung?

Die Präsidentin des griechischen Parlamentes, Zoe Konstantopoulou, muss Medienberichten zufolge mit ihrer Absetzung rechnen. Mehrere griechische Medien berichteten unter Berufung auf Regierungs- und Parteikreise in Athen, gegen die linke Politikerin könnte es ein Misstrauensvotum geben. Grund sei das Verhalten der Präsidentin, die ständig Streit mit den Abgeordneten habe und die parlamentarische Arbeit verlangsame. Konstantopoulou hatte am Sonnabend mit verschiedenen Argumenten versucht, das Votum des Parlamentes hinauszuzögern, mit dem Regierungschef Alexis Tsipras das Mandat für Verhandlungen mit den internationalen Geldgebern erhielt. Tsipras hatte daraufhin den Rücktritt der Parlamentspräsidentin gefordert, was diese aber ablehnte.

ARD-Brennpunkt zu den Gipfel-Ergebnissen

Nach der Einigung mit Griechenland sendet die ARD an diesem Montagabend (20.15 Uhr) einen Brennpunkt von 30 Minuten Länge. Die Sendung nach der Tagesschau heißt "Griechenland – Die Entscheidung". Interviewpartner soll unter anderem der Präsident des EU-Parlamentes sein, Martin Schulz. Zudem würden Ergebnisse einer Blitz-Umfrage des Deutschland-Trends präsentiert, teilte das Erste mit.

Wolfgang Bosbach bleibt bei "Nein"

Der prominente CDU-Abgeordnete und Innenexperte Wolfgang Bosbach bleibt auch nach den harten Auflagen für Athen beim Nein zu einem neuen Hilfspaket für Griechenland. Durch die Vereinbarung der Euroländer „erhöht sich das schon jetzt enorme Haftungsrisiko der europäischen Steuerzahler noch mehr. Sie ist ein weiterer Meilenstein auf dem Weg von der Haftungs- in die Transferunion“, sagte Bosbach der Deutschen Presse-Agentur. Wie schon beim zweiten Rettungspaket für Griechenland werde die Bundesregierung dringend Zustimmung empfehlen, weil man jetzt die Garantie habe, dass sich Wirtschaft und Staat grundlegend reformierten, sagte Bosbach. Auch in der Fraktion werde es wohl so sein wie früher: „Viele werden sagen ,noch einmal, bis hierhin und nicht weiter'. Bis es dann weitergeht und wir wieder einen neuen Plan präsentiert bekommen.“

Ela-Notkredite werden vorerst nicht erhöht

Die Liquiditätshilfe der Europäischen Zentralbank (EZB) für die griechischen Banken bleibt mindestens bis Donnerstag auf dem derzeitigen Niveau eingefroren. Das habe der EZB-Rat am frühen Nachmittag in einer Telefonkonferenz beschlossen, berichtete das „Handelsblatt“ unter Bezugnahme auf Finanzkreise. Eine EZB-Sprecherin habe bestätigt, dass die Ela-Notkredite („Emergency Liquidity Assistance“) vorerst auf dem bisherigen Niveau bleiben. Seit Monaten sind die Banken des hoch verschuldeten Landes auf Ela-Kredite angewiesen, weil sie von der herkömmlichen Refinanzierung über die EZB abgeschnitten sind. Auch nach der Einigung auf neue Finanzhilfen sehen Experten keine schnelle Öffnung der Banken oder eine Aufhebung der Kapitalkontrollen.

Nach dem Gipfel: Waterboarding und Twitter-Gewitter

Die verbalen Entgleisungen nach dem Euro-Gipfel werden immer drastischer. Der Hashtag bei Twitter #thisisacoup (This is a coup, dt.: Dies ist ein Staatsstreich) hatte sich bereits in der Nacht viral verbreitet. In der vergangenen Woche hatte der zurückgetretene Finanzminister Gianis Varoufakis bereits von einem „finanziellen Waterboarding“ gesprochen und damit die Gegenleistungen für Kredite gebrandmarkt. Nun taucht der Begriff in den griechischen Medien nach dem Gipfel wieder auf. Tsipras sei von Merkel einem mentalen Waterboarding unterzogen worden. Die Praxis beschreibt die Folter von (terroristischen) Häftlingen durch US-Soldaten in meist geheimen Gefängnissen. Zuletzt hatte der amerikanische Senat die Folter von Häftlingen ausdrücklich verboten. Die AfD hatte in Deutschland bereits den Begriff "Guantànamo" für die Zwangsmaßnahmen in der Euro-Krise in die Diskussion getragen.

Griechenland-Krise: So hilft die Eurogruppe

Hilfspaket an Reformen gekoppelt

In ihrer Abschlusserklärung skizzieren die 19 Euro-Staaten die Linien für ein neues Hilfspaket für Griechenland. Darin werden die Einsparungen und Reformen genannt, die Athen im Gegenzug für neue Finanzhilfe aus dem Euro-Rettungsschirm ESM leisten muss. Der Euro-Gipfel beziffert den Finanzbedarf Griechenlands auf 82 bis 86 Milliarden Euro.

Reformen und Regeln

Athen muss unverzüglich Reformen verabschiedet. Bis Mittwoch, 15. Juli, sollen Rechtsvorschriften verabschiedet sein, um das Mehrwertsteuersystem zu straffen und die langfristige Tragfähigkeit des Rentensystems zu verbessern. Das griechische statistische Amt ELSTAT soll voll rechtlich unabhängig werden. Die Regierung soll zudem sicherstellen, dass die Regeln des Stabilitätsvertrages komplett umgesetzt werden.

Verfahren beschleunigen

Bis 22. Juli soll eine Zivilprozessordnung angenommen sein, um Gerichtsverfahren zu beschleunigen und die Kosten erheblich zu senken. Die Richtlinie zur Sanierung und Abwicklung von Banken soll bis dahin umgesetzt werden. Erst wenn das griechische Parlament alle in der Gipfel-Erklärung enthaltenen Verpflichtungen gebilligt hat, können die Verhandlungen über ein Rettungspaket beginnen, heißt es in dem Dokument.

Renten und Ladenöffnung

„Die von Griechenland vorgeschlagenen Reformmaßnahmen (müssen) erheblich ausgeweitet werden, um der deutlichen Verschlechterung der Wirtschafts- und Haushaltslage des Landes im vergangenen Jahr Rechnung zu tragen“, so die Gipfel-Erklärung. Zu den Maßnahmen zählt: Durchführung ehrgeiziger Reformen des Rentensystems bis Oktober 2015; Verabschiedung ehrgeizigerer Produktmarktreformen und Umsetzung der OECD-Empfehlungen etwa zu verkaufsoffenen Sonntagen, Schlussverkaufs-Perioden, Eigentum an Apotheken und Bäckereien, sowie die Öffnung bestimmter Berufe wie etwa beim Fährbetrieb.

Kein politischer Einfluss mehr

Privatisierung des Stromübertragungsnetzbetreibers (ADMIE), Modernisierung der Arbeitsmärkte etwa bei den Verfahren für Tarifverhandlungen, Arbeitskampfmaßnahmen, Massenentlassungen; Stärkung des Finanzsektors, etwa durch bessere Steuerung der Banken und die Beseitigung sämtlicher Möglichkeiten zur politischen Einflussnahme

Privatisierungsfonds

Athen soll mehr und schneller privatisieren. Dafür ist der Transfer von hohen griechischen Vermögenswerten an einen unabhängigen Fonds vorgesehen, der diese zu Geld macht. Dieses Geld soll wird eine Quelle für die Rückzahlung des neuen ESM-Darlehens sein. Der Fonds soll einen Gesamtwert von 50 Milliarden Euro erzielen. Davon würden 25 Milliarden Euro für die Rückzahlung der Rekapitalisierung von Banken und anderen Vermögenswerten verwendet.

Verwaltung

Modernisierung und Kosten senken: Die Zusammenarbeit mit den Geldgeber-Institutionen bei der Überwachung von Programmen soll normalisiert werden. In der Gipfelerklärung heißt es zu dem Fonds und der Verwaltungsmodernisierung: „Die oben aufgeführten Verpflichtungen sind Mindestanforderungen für die Aufnahme der Verhandlungen mit der griechischen Regierung.“

Finanzbedarf

Der Euro-Gipfel beziffert mit Bezug auf die Geldgeber-Institutionen den Finanzbedarf Athens auf 82 bis 86 Milliarden Euro. Akut benötige Griechenland 7 Milliarden Euro bis zum 20. Juli und weitere 5 Milliarden Euro bis Mitte August.

Banken

Wegen der Probleme der griechischen Banken geht der Gipfel davon aus, dass ein neues Hilfsprogramm einen Puffer von 10 bis 25 Milliarden Euro für den Bankensektor schaffen müsste. Damit könnten die Banken frisches Kapital erhalten und taumelnde Banken könnten abgewickelt werden.

Schuldenschnitt?

In der Gipfel-Erklärung heißt es: „Der Euro-Gipfel betont, dass ein nominaler Schuldenschnitt nicht durchgeführt werden kann.“ Bei einem künftigen Hilfsprogramm könne es auch zusätzliche Maßnahmen geben, etwa einen längeren Tilgungsaufschub für Athen und längere Rückzahlungsfristen. „Das Risiko eines nicht zügigen Abschlusses der Verhandlungen liegt vollständig bei Griechenland“, heißt es in der Erklärung.

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Experten: Einigung sinnvoller als Grexit auf Zeit

Der Steuerzahlerbund hat sich gegen neue Hilfen für Athen aus dem Rettungsschirm ESM ausgesprochen. „Denn das Prinzip, Zeit für Griechenland mit viel Geld der Steuerzahler zu erkaufen, ist zum Scheitern verurteilt“, heißt es in einer Mitteilung des Verbandes. Den Steuerzahlern würden weitere Haftungsrisiken aufgebürdet, die unvertretbar seien. Bereits jetzt hafte jeder sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in Deutschland im Schnitt mit jeweils 2800 Euro für sämtliche Finanzhilfen, die Griechenland bisher gewährt worden seien. Ehrlicher und vernünftiger wäre es nun, einen Euro-Austritt Griechenlands einzuleiten, verbunden mit humanitären EU-Hilfen.

Die deutsche Wirtschaft bewertete die Einigung beim Euro-Sondergipfel als ersten Hoffnungsschimmer. Es sei richtig, weitere Unterstützung an glasklare Fristen und die tatsächliche Umsetzung der Reformen zu knüpfen. „Die griechische Regierung muss jetzt dringend liefern und das zerstörte Vertrauen wieder aufbauen“, sagte der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Eric Schweitzer. Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) sprach von einem vertretbaren Kompromiss. „Er ist eine wesentlich sinnvollere Alternative, als der vorgeschlagene Grexit auf Zeit“, sagte IW-Direktor Michael Hüther einer Mitteilung zufolge.

Chronologie der Griechenland-Krise

März 2010

Das Parlament in Athen verabschiedet ein erstes massives Sparprogramm, das unter anderem Steuererhöhungen sowie das Einfrierender Renten vorsieht. Massenproteste folgen. Die Eurostaaten sagen ein erstes Hilfspaket unter Beteiligung des Internationalen Währungsfonds(IWF) zu.

April/Mai 2010

Griechenland beantragt offiziell ein Hilfsprogramm. Die Eurogruppe beschließt Notkredite in Höhe von 110 Milliarden Euro und verlangt im Gegenzug einen harten Sparkurs.

Oktober 2011

Ein zweites Rettungspaket wird beschlossen:Griechenlands private Gläubiger sollen freiwillig einem Schuldenschnitt von 50 Prozent zustimmen. Zudem soll es Kredithilfen von 100 Milliarden Euro geben und Garantien von 30 Milliarden Euro, mit denen der Schuldenschnitt begleitet wird.

Februar/März 2012

Das griechische Parlament stimmt einem weiteren Sparpaket zu, das auf Druck der internationalen Geldgeber mehrfach verschärft wird.

November 2012

Athen billigt abermals ein Sparpaket als Voraussetzung für weitere Hilfen. Ein drittes Rettungspaket ist im Gespräch. Die Eurogruppe signalisiert, dass weitere Hilfen möglich sind - aber erst, wenn das laufende Hilfsprogramm erfolgreich beendet wird.

Juli 2013

Und wieder muss Athen neuen Sparmaßnahmen zustimmen. Siesehen unter anderem die Entlassung von 15 000 Staatsbediensteten vor. Bei weiteren 25 000 Beamten werden die Einkommen gekürzt.

Januar 2015

Die Linkspartei Syriza unter Alexis Tsipras gewinnt die Parlamentswahl. Seine Popularität verdankt er der Ablehnung desvereinbarten Sparkurses.

Februar 2015

Die Euro-Finanzminister verlängern das - bereits einmal verlängerte - Hilfsprogramm von Ende Februar bis Ende Juni 2015.

März 2015

Athen legt eine Liste mit Reformen vor, die pro Jahr drei Milliarden Euro einbringen sollen. Es geht vor allem um den Kampf gegen Steuerhinterziehung. Die internationalen Geldgeber halten die Liste für unzureichend und verlangen Nachbesserungen.

Mai 2015

Das Tauziehen um Reformen geht weiter. Die Finanznot in Athen wird immer größer. Die Regierung sucht nach Geld, um Kreditschulden beim Internationalen Währungsfonds bezahlen zu können.

Juni 2015

Der IWF erlaubt Griechenland, insgesamt vier im Juni fällige Kredite erst Ende des Monats zurückzuzahlen. Athen legt neue Reformvorschläge vor, Krisentreffen auf Spitzenebene bleiben aber ergebnislos. Tsipras schlägt überraschend vor, das griechische Volk über die Sparvorschläge der Geldgeber abstimmen zu lassen und wirbt für ein negatives Votum. Die Eurogruppe erklärt die Verhandlungen für gescheitert, das Hilfsprogramm wird nicht verlängert.

13. Juli 2015

Der Grexit ist vorerst abgewendet. Beim Euro-Gipfel in Brüssel einigen sich die Regierungschefs mit Griechen-Premier Alexis Tsipras auf ein Reform- und Sparprogramm. Der Finanzbedarf der Griechen wird auf 82 bis 86 Milliarden Euro in den nächsten drei Jahren taxiert. Die Parlamente in den Euro-Ländern müssen noch zustimmen.

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FDP-Chef Lindner: Es regiert das Prinzip Hoffnung

Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner hat die Ergebnisse des Brüsseler Gipfels scharf kritisiert und die Bundesregierung vor einem dritten Hilfspaket gewarnt. "Statt Verlässlichkeit und wirksamer Wirtschaftsreformen regiert mehr denn je das Prinzip Hoffnung", so Lindner. Es fehlten "echte Impulse für mehr Wettbewerbsfähigkeit, die Wolfgang Schäuble zu Recht angemahnt hatte". Es werde eine Krisenstrategie fortgesetzt, gegen die sich die Griechen im Referendum gewehrt hätten. "Für ein drittes Hilfspaket aus dem ESM sind damit die rechtlichen Voraussetzungen offensichtlich nicht gegeben. Wenn die Bundeskanzlerin dennoch diesen Weg wählt, dann wird das in den letzten Jahren geschärfte Recht gebeugt."

So stimmt Europa über die Griechen-Hilfen ab

Das ist in ausgewählten Ländern der Fahrplan zur Ratifizierung der Gipfel-Ergebnisse:

Deutschland: Der Bundestag müsste bereits vor der Aufnahme von Verhandlungen ein Mandat erteilen. Steht am Ende der Verhandlungen ein Hilfspaket, müssen die Abgeordneten auch darüber erneut abstimmen, bevor es in Kraft treten kann. Die Sitzung wird voraussichtlich am Donnerstag sein.

Estland: Für förmliche ESM-Verhandlungen benötigt der Finanzminister ein Mandat des Parlamentsausschusses für EU-Angelegenheiten. Der Ausschuss hat es bereits erteilt. Ein Hilfspaket für Griechenland bedarf der Zustimmung des gesamten Parlaments.

Finnland: Nur falls die Staats- und Regierungschefs am Sonntag entscheiden, Griechenlands Schulden zu erlassen, müsste das finnische Parlament als Ganzes zusammenkommen und darüber abstimmen.

Luxemburg: Eine Zustimmung des Parlaments zu Finanzhilfen für Griechenland ist nicht zwingend vorgeschrieben. Sie wäre nur dann erforderlich, wenn beispielsweise das Volumen des Euro-Rettungsfonds ESM ausgeweitet werden sollte und sich dadurch Auswirkungen auf den luxemburgischen Staatshaushalt ergeben könnten.

Österreich: Das Parlament könnte innerhalb von 24 Stunden über neue ESM-Hilfsmaßnahmen für Griechenland entscheiden. Nötig wäre eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Möglich wäre auch, dass die Griechenland-Hilfe als „Dringlichkeitsfall“ eingestuft wird. Dann würde die Freigabe durch den ESM-Unterausschuss ausreichen.

Portugal: Die Abgeordneten müssen einem neuen Hilfspaket zustimmen.

Slowakei: Das Parlament braucht einer ESM-Hilfe für Griechenland nicht zuzustimmen. Anderslautende Informationen seien falsch, sagte eine Sprecherin des Finanzministeriums der Deutschen Presse-Agentur. Die slowakische Regierung habe für den ESM ein freies Verhandlungsmandat.

Slowenien. Nach Darstellung des Finanzministerium muss das Parlament in Slowenien zustimmen, wenn es ein neues Hilfsprogramm geben soll.

Spanien: Die Aufnahme der ESM-Verhandlungen muss nicht vom Parlament bestätigt werden, ein neues Paket dagegen schon.

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ARD: Brennpunkt zu Griechenland der Quoten-Hit

Der ARD-„Brennpunkt“ hat am Sonntagabend beim Fernsehpublikum Platz eins erobert. Die Sondersendung zum Krisengipfel in Brüssel interessierte ab 20.15 Uhr 7,51 Millionen Zuschauer. Der Marktanteil betrug 24,8 Prozent. Der Tatort, eine Wiederholung des Kölner Falls „Scheinwelten“ mit Klaus J. Behrendt und Dietmar Bär, kam ab 20.30 Uhr auf 7,27 Millionen Zuschauer (22,9 Prozent) und lag damit noch über der Erstausstrahlung des Schweizer „Tatorts“ vor einer Woche, bei dem lediglich 6,12 Millionen gemessen wurden.

Finnland schwankt bei Zustimmung

Finnland will sich nicht auf ein Ja zu neuen Verhandlungen über weitere Griechenland-Hilfen festlegen. „Die Vorschläge des Gipfels für das griechische Parlament sind ein Schritt in die richtige Richtung“, sagte Ministerpräsident Juha Sipilä dem finnischen Rundfunk. Aber Finnland könne nicht garantieren, dass es diesen zustimmen würde - auch wenn Griechenland sich zu allen erforderlichen Maßnahmen bereiterklärte. Besonders die Rechtspopulisten in der finnischen Regierung pochen auf eine harte Linie im Umgang mit Griechenland.

AfD provoziert mit schrägem Vergleich

Die Alternative für Deutschland (AfD) hat der Bundesregierung vorgeworfen, sie täusche die Bürger in Sachen Griechenland-Rettung. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) gaukelten dem deutschen Steuerzahler vor, man werde kein weiteres Geld in das griechische Fass ohne Boden werfen, auf der anderen Seite tue man aber genau das, erklärte der Zweite Vorsitzende der AfD, Jörg Meuthen. "Der Euro ist wie Guantánamo: Man kann rein, aber nie wieder raus.“ Guantànamo ist ein amerikanischer Stützpunkt mit Militärgefängnis auf Kuba. Aners als von der AfD dargestellt, sind in den vergangenen Jahren mehrere Insassen freigelassen worden.

"Agreekment"

Der "Grexit" kombinierte die Wörter Greece und Exit, jetzt gibt es eine neue Wortschöpfung vom Brüsseler Gipfel: „Wir haben ein Agreekment.“ Das sagte der EU-Gipfelchef Donald Tusk nach dem Euro-Gipfel am Montagmorgen in Brüssel. Es ist ein Kunstwort aus den englischen Wörtern „greek“ (griechisch) und „agreement“ (Einigung).

Tsipras: "Wir haben einen gerechten Kampf geführt"

Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras hat das Beste erreicht, was für sein Land möglich gewesen sei. „Wir haben einen gerechten Kampf geführt“, sagte der Regierungschef am Montag. „Wir stehen jetzt vor schweren Entscheidungen.“ Athen habe erreicht, dass die Schulden umstrukturiert und die Banken mit Kapital versorgt würden. Er habe in den Verhandlungen mit den Partnern im Ausland hart gekämpft. Er werde nun im Inland ebenso hart kämpfen, damit die Gipfelbeschlüsse umgesetzt würden. „Griechenland braucht tiefgreifende Reformen."

Die Börsen reagieren auf die Brüsseler Einigung

Die Einigung im Schuldenstreit mit Griechenland hat den deutschen Aktienmarkt am Montag in die Höhe schnellen lassen. Der DAX baute seine jüngsten Gewinne aus und stieg im frühen Handel um 1,21 Prozent auf 11.452,28 Punkte.

Merkel: Wir sind auf die Griechen zugegangen

Bundeskanzlerin Angela Merkel geht von einer breiten Mehrheit im Parlament in Athen für das nun vereinbarte Reformprogramm aus. Es gebe nach ihrem Eindruck den „großen Wunsch der Griechen, im Bereich des Euro weiter Mitglied zu sein“, sagte sie nach dem 17-stündigen Verhandlungsmarathon. Dieser Wunsch habe auch den griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras in den Verhandlungen geleitet. Eine griechische Handschrift in dem Hilfspaket gebe es etwa, weil es Athen ermögliche, 12,5 Milliarden Euro aus dem Privatisierungsfonds für direkte Investitionen einzusetzen. Insofern gebe es Punkte, „mit denen wir auch auf die griechischen Belange eingegangen sind“. Merkel will bei einer Abstimmung des Bundestages über ein drittes Hilfsprogramm für Griechenland nicht die Vertrauensfrage stellen. „Nein. Die Vertrauensfrage erwäge ich nicht zu stellen“, so Merkel. Hintergrund ist der große Unmut in der Unionsfraktion des Bundestages über weitere Milliardenhilfen für Athen. Zuletzt hatten mehr als 100 Abgeordnete von CDU und CSU zu Protokoll gegeben, einem dritten Rettungsprogramm nicht mehr zustimmen zu wollen.

Spar- und Reformpaket für Griechenland beschlossen

Der Euro-Krisengipfel hat den Weg für ein drittes Griechenland-Hilfspaket geebnet. Die Staats- und Regierungschefs der Eurozone verständigten sich einstimmig auf ein umfangreiches Spar- und Reformpaket für das Krisenland, berichtete EU-Gipfelchef Donald Tusk am Montag nach rund 17-stündigen Gipfelberatungen.

Einigung in Brüssel?

Noch vor 9 Uhr morgens twittert der belgische Ministerpräsident Charles Michel eine Einigung. Bestätigt ist es noch nicht. Aber die Stimmen der an den Verhandlungen beteiligten Politiker auf Twitter mehren sich.

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"Viererbande" ringt um eine Lösung

Im Kern ist es immer wieder eine "Viererbande", die im kleinen Kreis das große Problem lösen soll. Das große Problem ist offenbar nach wie vor der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras, der sich anders als öffentlich bekundet intern wohl nicht so kompromissbereit zeigt. Bundeskanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Staatschef François Hollande und EU-Ratspräsident Donald Tusk reden auf Tsipras ein. Das verlautete aus Verhandlungskreisen.

Von Athen wird verlangt, einen vierseitigen Forderungskatalog der Euro-Finanzminister in die Tat umzusetzen. Dabei geht es unter anderem um Privatisierungen von Staatsbesitz und eine Verwaltungsreform.

Schulz kritisiert Schäuble-Plan

Der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, sagte im Deutschlandfunk, ein zeitweiser Rückzug der Griechen aus dem Euro sei vom Tisch. "Ich glaube, dass die Risiken eines Grexit größer sind als wenn wir Griechenland im Euro halten." Schulz mahnte eine Einigung der 19 Euro-Zonen-Regierungschefs an. Es bestehe jetzt die Gefahr, dass die Währungsunion auseinanderfliege. Es gebe schon heute eine Spaltung in Norden und Süden im Euro. Schulz kritisierte, dass der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble mit seinem Vorschlag eines fünfjährigen Ausscheidens Griechenlands für Verwirrung gesorgt habe.

Was bedeutet der Grexit?

weitere Videos

    Athen soll schnell privatisieren

    Der Euro-Krisengipfel zur Lösung des griechischen Schuldendramas steuert möglicherweise auf eine Entscheidung zu. „Ich hoffe, dass wir bald eine Vereinbarung finden“, sagte der slowenische Regierungschef Miro Cerar am Montagmorgen in Brüssel nach gut 15-stündigen Marathonverhandlungen. Als offen gilt nur noch die Frage eines griechischen Privatisierungsfonds. Der griechische Premier Alexis Tsipras hatte sich hartnäckig gegen diese Kernforderung der Europartner gewehrt. Der Privatisierungsfonds sollte nach ursprünglichen Plänen einen Umfang von rund 50 Milliarden Euro haben und außerhalb Griechenlands angesiedelt werden. In diesen Fonds sollen staatliche Vermögenswerte übertragen werden.

    Griechische Presse: Schäuble will Rache

    Die griechische Presse hat sich beeindruckt von den nächtlichen Verhandlungen auf dem Gipfeltreffen der Euro-Gruppe in Brüssel gezeigt. „Ein historischer Gipfel über den Verbleib Griechenlands im Euro“, titelte die konservative Athener Zeitung „Kathimerini“. Das Blatt befasste sich auch damit, was nun auf die griechische Politik zukommt: „(Ministerpräsident) Alexis Tsipras muss sein Kabinett umbilden oder eine Regierung der nationalen Einheit bilden.“

    „Ta Nea“ betonte: „Ein gordischer Knoten: Der Gipfel der Chefs der Euro-Zone erlebt eine dramatische Nacht.“ Das linksliberale Blatt kritisierte die Haltung der Bundesregierung: „Die Deutschen lösen mit ihren wucherischen Forderungen eine internationale Empörung aus.“

    Auch die linke Zeitung „I Efimerida“ sieht die Position Berlins und anderer Euro-Staaten negativ. „Auf dem Treffen dominierte Schäubles rachsüchtige Politik gegenüber der griechischen Regierung“, schrieb das Blatt. „Der Euro-Gipfel bedeutet ein schwarzes Kapitel in der europäischen Geschichte.“

    Die konservative Zeitung „O Eleftheros Typos“ verwies auf die Folgen für die Griechen: „Das Land steht vor einem immensen Sparprogramm. Die Zukunft Griechenlands entscheidet sich in einem nächtlichen Thriller in Brüssel.“

    Die Zeitung „Thessaloniki“ in der gleichnamigen Metropole in Nordgriechenland schrieb: „Griechenland steht vor einer Woche der Leiden. Das Sparprogramm, das auf dem Gipfel erörtert wurde, wird zu einer Spaltung der griechischen Regierungspartei Syriza führen.“

    Nobelpreisträger: Die Griechen haben es nicht verbockt

    Der amerikanische Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman kritisiert in einem Kommentar in der „New York Times“ die harte Haltung der EU gegenüber Griechenland in der Schuldenkrise. Die Liste der Forderungen der Eurogruppe nennt er „verrückt“. „Das europäische Projekt - ein Projekt, das ich immer gelobt und unterstützt habe - hat gerade einen furchtbaren, vielleicht sogar tödlichen Schlag erlitten. Und was immer man von (der griechischen Regierungspartei) Syriza oder Griechenland hält - die Griechen haben es nicht verbockt.“ Laut Krugman liegt der Hashtag „#thisisacoup“, der am Montagfrüh im Internetkurznachrichtendienst Twitter hunderttausendfach verbreitet wurde, genau richtig:

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    Das Vorgehen der Eurogruppe gehe über Strenge hinaus „in schiere Rachsucht, in kompletter Zerstörung nationaler Souveränität, ohne Hoffnung auf Abhilfe“. „Es ist vermutlich als Angebot gedacht, das Griechenland nicht annehmen kann - nichtsdestotrotz ist es ein grotesker Verrat an allem, wofür das europäische Projekt eigentlich stehen sollte“. „Auf eine Art ist die Wirtschaft dabei fast zweitrangig. Aber lasst uns darüber im Klaren sein: In den vergangenen Wochen haben wir gelernt, dass Mitglied der Eurozone zu sein bedeutet, dass die Gläubiger deine Wirtschaft vernichten können, wenn du aus der Reihe tanzt“, schreibt der Wirtschaftsexperte weiter. (HA/dpa)