Auch Gewalt gegen die Angehörigen der Minderheit nimmt in dem EU-Land wieder zu. Dort wie anderswo in Europa zählen sie zu den Ärmsten.

Hamburg/Sofia. Die Flammen züngeln mehrere Meter die Hauswand hoch, bis zum Balkon unter dem Dach. Menschen stehen vor der kleinen Mauer mit dem Torbogen, die das Gründstück umschließt. "Zigeuner zu Seife!", rufen etliche Dorfbewohner. Und: "Zigeuner raus!" Erst hatte die Polizei das Haus des Roma-Bosses geschützt, dann zog sie ab. Um "Opfer zu vermeiden", wie es hieß. Danach flogen Molotowcocktails in Häuser und Autos von Kiril Raschkow - "Zar Kiro", wie er sich nennt. König Kiro.

Es ist erst ein paar Tage her, als der kleine Ort Katuniza im Süden Bulgariens das Pogrom gegen den Anführer einer Roma-Gruppe erlebte. Rechtsradikale Fußballfans aus der nahen Großstadt Plowdiw kamen dazu und skandierten Parolen gegen Roma. Vor allem die rechtsextreme Partei Ataka rief zu Anti-Roma-Kundgebungen auf. Ihre Facebook-Gruppen nannte sie "Tod Zar Kiro - Auge um Auge, Zahn um Zahn". Viele Bulgaren klickten auf "Gefällt mir". Laut Staatsanwaltschaft wurden 141 Personen festgenommen.

Im Oktober wird in Bulgarien ein neuer Präsident gewählt - in diesen Tagen beherrschen nur die gewaltsamen Proteste gegen Roma den Wahlkampf. Auslöser für die Übergriffe in Katuniza war ein Verkehrsunfall. Am Freitagabend wurde ein 18 Jahre alter Junge von einem Minibus überfahren. Der Fahrer soll zu Raschkows Gruppe gehören und den Jugendlichen absichtlich totgefahren haben. Seit Langem schon hätten sich die Bewohner von Raschkows Clan eingeschüchtert gefühlt. "Zar Kiro" habe die Behörden bestochen und sei unangreifbar, wie es in bulgarischen Medien heißt. Auch Roma fühlten sich von Raschkow bedroht.

Noch während des Kommunismus sei Raschkow durch illegalen Handel mit Devisen und Gold reich geworden. Nach der Wende verkaufte er gepanschten Alkohol und soll über Jahre keine Steuern bezahlt haben. "Der Protest in Katuniza war gegen einen Oligarchen gerichtet, der 22 Jahre lang toleriert wurde", sagt Bulgariens Bürgerbeauftragter Konstantin Pentschew. Ministerpräsident Bojko Borissow warnte davor, einen "kriminellen Konflikt ethnisch zu politisieren".

Doch längst ist nicht nur Katuniza Schauplatz gewaltsamer romafeindlicher Demonstrationen. In der Nacht zum Dienstag kamen in Sofia, Warna, Plowdiw und Burgas Hunderte Menschen zusammen, es gab zahlreiche Festnahmen und auch Verletzte. Junge Männer wollten Roma-Siedlungen stürmen. Die Polizei stoppte sie.

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, Ruprecht Polenz von der CDU, verurteilte die Übergriffe: "Bulgarien war bekannt für das friedliche Zusammenleben von verschiedenen Ethnien und Kulturen. Umso erschreckender ist es, dass nun nationalistische Rechtsextreme gegen Roma hetzen", sagte er dem Hamburger Abendblatt. Dennoch habe er "volles Vertrauen in die bulgarische Regierung und in die Menschen in dem Land, dass diese Parolen nicht auf fruchtbaren Boden stoßen werden".

Doch auch knapp fünf Jahre nach dem Beitritt Bulgariens zur Europäischen Union gehören die Roma zu den Ärmsten in dem Land. Viele von ihnen sind arbeitslos, vor allem als Folge einer schlechten Bildung, manche Kinder gehen gar nicht in die Schule. Während im EU-Schnitt 90 Prozent der Kinder einen Grundschulabschluss haben, sind es bei den Roma nur 42 Prozent. In der Wirtschaftskrise stieg die Kriminalität auch unter den Roma.

Knapp eine Million Roma leben in Bulgarien, die ersten siedelten schon im 9. Jahrhundert in dem Gebiet, viele kamen mit den osmanischen Eroberern im 14. Jahrhundert auf den Balkan.

Doch in der europäischen Geschichte waren Roma und Sinti immer wieder Opfer von Verfolgung - nicht nur während der Zeit des Nationalsozialismus, sondern auch schon im Mittelalter im Zuge der Hexenverfolgung.

In ihrer Kultur der engen Familienbünde unterschieden sie sich vom westlichen Leitgedanken von Modernität und materiellem Wohlstand. Die kommunistischen Diktaturen Osteuropas gliederten die Roma in die Gesellschaft ein - durch den formalen Schul- und Arbeitszwang. Doch das endete mit dem Zusammenbruch des Ostblocks. Nach 1989 bildeten sich in postkommunistischen Staaten wie Bulgarien zunehmend Roma-Gettos. Die Isolation der Roma nimmt zu, nicht nur in Bulgarien. Und damit auch die Spannungen zwischen der Mehrheitsbevölkerung und der Minderheit der Roma.

Zwar helfen einzelne Länder und die EU bei der Integration der Roma mit vielen Millionen Euro. Doch in Staaten wie Bulgarien komme das Geld oftmals nicht bei den Betroffenen an, heißt es in Brüssel. Korruption ist in dem Land noch immer stark verbreitet.

Und auch Diskriminierung und Vorurteile gegen Roma sind in Osteuropa tief in die Gesellschaft vorgedrungen. Immer wieder schlagen Ressentiments in Gewalt um. Im April musste die Polizei 450 Roma aus einem ungarischen Dorf evakuieren - Neonazi-Gruppen hatten sich dort zu einem Trainingslager getroffen. In vielen Staaten Europas würden Roma-Kinder in Klassen nur für Roma oder sogar, wie in Tschechien und der Slowakei, in Schulen für Kinder mit leichter geistiger Behinderung geschickt, kritisierte Nina Szogs von Amnesty International.

Die EU rügte Frankreichs Beschluss, illegale Siedlungen der Roma aufzulösen und eine große Zahl Roma aus Frankreich auszuweisen. Dies sei nicht mit den Grundsätzen der EU vereinbar und widerspreche dem Gedanken der Freizügigkeit in Europa. Italien hat Tausende Roma in spezielle Verwahrungslager umgesiedelt und dann abgeschoben. Auch der bulgarische Roma-Anführer "Zar Kiro" wurde abgeschoben - nicht ins Ausland, sondern in Untersuchungshaft. Ihm wird nun vorgeworfen, einem Familienangehörigen des überfahrenen Jungen mit Mord gedroht zu haben. "Raschkow ist dort, wo er seit Langem hätte sein sollen", sagte Hauptkommissar Kalin Georgiew.