Türkischer Präsident übt Kritik am deutschen Einwanderungsrecht, appelliert aber auch an 2,5 Millionen türkischstämmige Deutsche.

Berlin. Schon kurz vor Beginn seines viertägigen Besuchs in Deutschland hat der türkische Staatspräsident Abdullah Gül die Ausländerpolitik der Bundesrepublik als rechtswidrig kritisiert. Das deutsche Einwanderungsrecht widerspreche den Menschenrechten, sagte Gül im ZDF. Nach der verschärfenden Reform von 2007 hängt der Ehegatten-Nachzug davon ab, ob der Partner einen Deutschtest in der Türkei besteht. Gleichzeitig forderte Gül die rund 2,5 Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln in der Bundesrepublik auf, besser Deutsch zu lernen: "Sie sollten die Sprache akzentfrei beherrschen." Gül sagte, das Ziel der Türkei bleibe die EU-Vollmitgliedschaft.

In der arabischen Welt hatte sich gerade Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan feiern lassen und den Ton gegenüber Israel verschärft. Erdogan betete mitten in Tripolis auf der Straße und pries dem libyschen Übergangsrat das Modell der Türkei als islamische Demokratie an.

Und während die Türkei nach den Umwälzungen des arabischen Frühlings nach einer Führungsrolle in der islamischen Welt strebt, wird die dramatische Schuldenkrise in der EU zum Argument für Ankara: "Vielleicht sehen nun ja auch immer mehr Menschen in den EU-Ländern, dass die Türkei keine Last darstellen würde für die Gemeinschaft, dass sie ganz im Gegenteil helfen würde", sagte Präsident Gül. Es gebe in Europa "eigentlich nur zwei aufstrebende Länder", meinte er: "Deutschland und die Türkei."

Bundespräsident Christian Wulff dankte den Türken in Deutschland für ihren Beitrag zum deutschen Wohlstand. "Einwanderer aus der Türkei haben Deutschland vielfältiger, offener und der Welt zugewandter gemacht", sagte Wulff der "Süddeutschen Zeitung". Er sehe in einem weiteren Ausbau der deutsch-türkischen Beziehungen "ein großes Potenzial" für beide Länder. Wulff würdigte auch die Rolle der Türkei als Vorbild für die Umbruchstaaten in der arabischen Welt. Die Türkei sei "ein Beispiel dafür, dass Islam und Demokratie, Islam und Rechtsstaat, Islam und Pluralismus kein Widerspruch sein müssen". Dies sei von "überragender Bedeutung für den Frieden in der Welt". Wulff will während des Staatsbesuchs seinem Gast auch seine Geburtsstadt Osnabrück zeigen. Heute will die First Lady der Türkei, Hayrünnisa Gül, mit Präsidentengattin Bettina Wulff und Familienministerin Kristina Schröder (CDU) das Berliner Kinder- und Familienzentrum INA besuchen. Anlass ist der Start eines Förderprogramms für frühkindliche Bildung. Allein in Berlin leben mehr als 185.000 Menschen türkischer Herkunft, von denen 80.000 einen deutschen Pass besitzen. Es ist die größte türkische Gemeinschaft außerhalb der Türkei.

Unterdessen droht die Türkei der EU mit einem Einfrieren der Beziehungen, falls Zypern im kommenden Jahr wie geplant die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt. In diesem Falle drohe eine Krise in den Beziehungen zwischen der Türkei und der EU, wenn die Friedensverhandlungen in Zypern bis dahin nicht erfolgreich abgeschlossen seien, sagte der türkische Vizeministerpräsident Besir Atalay in Nordzypern. "Unsere Beziehungen zur EU werden jäh abreißen." Der international anerkannte griechische Teil von Zypern soll die sechsmonatige Ratspräsidentschaft der EU im Juli 2012 übernehmen. Die Insel ist seit einer türkischen Invasion 1974 geteilt. Der Streit ist einer der wichtigsten Gründe für die stockenden Gespräche über eine Aufnahme der Türkei in die EU.