Angela Merkel und Wladimir Putin verhandeln beim Asem-Gipfel stundenlang um Fortschritte. Doch die gibt es allenfalls in einigen Details

Mailand. Die Bundeskanzlerin ist blass im Gesicht. Sie hat eine lange Nacht hinter sich. Zweieinhalb Stunden hat sie sich mit Russlands Präsidenten Wladimir Putin auseinandergesetzt. Von 23.00 Uhr bis 1.30 Uhr. Abwechselnd auf Deutsch und auf Russisch. Im Hotel Park Hyatt in der Mailänder Innenstadt. Über die Ukraine-Krise. Am Freitagmittag ist ihre Miene ernst. Rund fünf Minuten dauert die Pressekonferenz. Und Merkel redet auch nicht lange herum, als sie auf Putin und die Ukraine zu sprechen kommt. „Ich kann dort keinerlei Durchbruch erkennen“, sagt sie.

Der zentrale Streitpunkt ist nicht gelöst. Die Lokalwahlen im östlichen Gebiet der Ukraine, in den umkämpften Gebieten um Lugansk und Donezk. Die Bundeskanzlerin pocht auf Wahlen, die internationalen Standards entsprechen. Also mit Wahlbeobachtern. Putin will das nicht. Er plädiert, vorsichtig ausgedrückt, für mehr Freiräume. Er ist stur und stellt sich quer. Die Situation ist verfahren. Der Westen wirft Russland vor, die ukrainische Schwarzmeerhalbinsel Krim illegal annektiert zu haben und die prorussischen Separatisten in der Ostukraine mit Ausrüstung und Kämpfern zu unterstützen. Die Gefechte halten an.

Als Konsequenz sind umfangreiche Wirtschaftssanktionen gegen Moskau verhängt worden. Das zieht inzwischen die ganze europäische Wirtschaft nach unten. Die Konjunktur hat sich deutlich abgekühlt. Auch die deutsche Exportwirtschaft ist ins Stottern geraten. Die europäische Schuldenkrise reckt ihr Haupt. Der Konflikt in der Ukraine überschattet den Asien-Europa-Gipfel (Asem) in Mailand. Es ist das zehnte Mal, das das Forum stattfindet. Es soll einer stärkeren Kooperation zwischen Europa und Asien den Weg bahnen. 53 Staaten gehören inzwischen dem Verbund an. Die Teilnehmerzahl wächst stetig.

Diverse Themen stehen auf der Tagesordnung. Da ist die Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Da ist die Seuche Ebola. Da ist der Welthandel. Da ist die Regulierung der internationalen Kapitalmärkte. Da ist der Kampf gegen den Klimawandel. Es sind globale Herausforderungen, die eigentlich globale Antworten erfordern. Europa und Asien bemühen sich um gemeinsame Lösungsansätze. Es gibt viele Lippenbekenntnisse, aber wenig Konkretes. Bestes Beispiel ist die Ukraine-Krise. Das Ziel Europas ist klar: Die Minsker Abkommen vom September, das die Waffenruhe regelt, soll von russischer Seite eingehalten werden. Momentan sei das nicht der Fall, behauptet der ukrainische Präsident Petro Poroschenko, den Merkel in Mailand zu einem Gespräch unter vier Augen traf.

Hört man Putin zu, dann klingt alles nach guten Absichten. Er bekräftigt, die „territoriale Integrität“ der Ukraine beachten zu wollen. Er habe kein Interesse an einem „eingefrorenen Konflikt“ wie in Transnistrien. Doch das Problem dabei: Er bleibt bei Worten, die Taten sehen anders aus. Am Freitagmorgen gegen 9.00 Uhr kommt es zum Treffen zwischen Putin und seinem ukrainischen Amtskollegen Poroschenko. In der Präfektur Mailand nehmen sie an einem runden Tisch Platz. Anwesend sind Merkel, Großbritanniens Premierminister David Cameron, Frankreichs Präsident François Hollande und Italiens Premier Matteo Renzi. Es soll ein Arbeitsfrühstück sein. Doch gegessen wird nicht.

Renzi tritt nach der Runde vor die Presse. Der 39-Jährige ist ein Showman und geübt, vor den Kameras eine gute Figur abzugeben. Er ist angetreten, um den Italienern wieder Mut zu machen und das Land aus dem bleiernen Stillstand zu befreien. Renzi redet vom Kaffee, den man getrunken, und der Milch, die man sich gereicht habe. Er sei optimistisch, dass das Treffen in Mailand dem Dialog geholfen habe, sagt er. Frankreichs Präsident Hollande spricht später vom „Prinzip des Respekts“, das bewahrt worden sei. Auch er beschreibt die Atmosphäre als positiv. Positiv, aber ohne Folgen. Putin lenkt nicht ein. Und die Europäische Union auch nicht. Diplomaten zufolge will derzeit kein Land die Sanktionen gegen Russland lockern. Bei dem Treffen der EU-Außenminister am kommenden Montag in Luxemburg werde deshalb weder über eine Aufhebung noch eine Verschärfung der Strafmaßnahmen gesprochen, hieß es aus Diplomatenkreisen. Eine Aufhebung der Sanktionen wäre derzeit völlig falsch, dazu seien die Voraussetzungen in der Ostukraine nicht gegeben.

Auch im Gasstreit ist keine Lösung erkennbar. In Mailand sind die Chefs von Gazprom und Naftogaz anwesend, der staatlichen Gasversorger Russlands und der Ukraine. Auch die jeweiligen Energieminister sind präsent. Doch es bleibt dabei: Es ist weiterhin nicht ausgeschlossen, dass Russland im Winter den Gashahn abdreht – mit empfindlichen Folgen für die Ukraine und Europa. Wenn überhaupt, dann gibt es nur in Detailfragen einen Fortschritt. Stichwort Drohnenprogramm. Momentan ist angedacht, dass Deutschland und Frankreich unter dem Mandat der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) mithilfe von Drohnen die Grenzen überwachen. Merkel zufolge deutet Russland eine Öffnung an.

Dabei gehe es derzeit aber weniger um die ukrainisch-russische Grenze, sondern um die Markierungslinie zwischen den von ukrainischen Truppen und den von Separatisten kontrollierten Gebieten. „Hier hat Russland eine Offenheit gezeigt und ist gegebenenfalls auch bereit, sich an solchen Missionen zu beteiligen“, sagte Merkel. Es ist ein winziger Fortschritt, aber auch nicht viel mehr. Die Bundeskanzlerin gibt sich jedenfalls nicht geschlagen. Am Freitagnachmittag fand ein weiteres Treffen statt. Diesmal im Westin-Hotel, ebenfalls in der Innenstadt Mailands. Im sogenannten Normandie-Format – das heißt mit Merkel, Putin, Poroschenko und Hollande. „Die Normandie verkörpert die Vergangenheit. Und die Zukunft“, sagt Hollande. Immer schön positiv denken.