Die meisten Verlierer der Unabhängigkeitsabstimmung in Schottland tragen es mit Fassung

Edinburgh. Am Morgen, an dem das Scheitern des Unabhängigkeitsreferendums bekannt wird, gibt es in Schottland Gewinner und Verlierer, aber kaum Wut auf das andere Lager. Vor den Pubs rollt zwar die eine oder andere Träne. Doch manche „Yes“-Anhänger sind sogar ein wenig erleichtert, dass es nicht geklappt hat mit der Unabhängigkeit.

Demokratie kann manchmal wehtun: Lucas McGregor, 21, steht im Regen auf einer Straße in Edinburgh und wirkt verzweifelt. „Das ist so eine Enttäuschung. Wir haben zwei Jahre hiermit verbracht“ sagt er und zeigt auf ein „Yes“-Plakat hinter sich. Das Mitglied der Schottischen Nationalpartei hat in den vergangenen Wochen jede freie Minute in den Wahlkampf gesteckt. Durchgesetzt hat sich in Schottland aber das „No“ zur Unabhängigkeit und damit ein Bekenntnis zur Union mit England, Wales und Nordirland.

Als die Ergebnisse der 32 Stimmbezirke in den frühen Morgenstunden nach und nach feierlich verkündet werden, haben die Neinsager mehr zu jubeln. Nur viermal liegt die Unabhängigkeitsbewegung vorn, am Ende haben die Unionisten eine Mehrheit von 55,3 Prozent. In der Nähe des Regionalparlaments in Schottlands Hauptstadt Edinburgh hat die „Yes“-Bewegung eine Party organisiert – aber nach Feiern ist kaum jemandem zumute. Vereinzelt fließen auf den Straßen und vor den Pubs Tränen.

„Ich bin sehr froh. Ich bin Engländerin und absolut überzeugt davon, dass wir alle zusammenbleiben sollten“, sagt dagegen Elizabeth Harris, die in Edinburgh studiert. Die 19-Jährige hat die Nacht im Pub durchgemacht. Im Arm hält sie ihre Kommilitonen Freya Muir, die mit Ja gestimmt hat. „Irgendwie bin ich auch erleichtert“, sagt Freya verlegen. „Ich hätte es spannend gefunden, unabhängig zu werden. Aber es sieht so aus, als sei die Mehrheit vernünftig gewesen gestern.“ Ein Mann mit Vollbart hört es im Vorbeigehen und nickt: „Geht mir auch so.“

Anderswo macht eine Gruppe junger Männer mit „Yes“-Ansteckern auf den Regenjacken lange Gesichter. Sie seien enttäuscht und außerdem müde nach dieser Nacht. Auch wütend? „Nein, warum das denn?“, fragt einer von ihnen. Die Sorge, dass das Land nach dem leidenschaftlichen Wahlkampf tief gespalten sein könnte, treibt viele um in Schottland. Es gab Berichte über Drohungen und Beleidigungen vor allem gegen Verteidiger der Union.

Die Entscheidung fiel eindeutiger aus als von manchen erwartet, trotzdem bekommen 1,6 Millionen Schotten nun nicht, wofür sie abgestimmt haben – einen unabhängigen Staat. Schottlands unterlegener Regierungschef Alex Salmond forderte dazu auf, das Votum zu akzeptieren.

Wie viel Energie die Gesellschaft in Versöhnung stecken muss, wird sich zeigen – die Abstimmung selbst und das nächtliche Warten auf Ergebnisse in den Pubs und auf Wahlpartys lief jedenfalls friedlicher und freundschaftlicher ab als die meisten Fußballspiele.

Die enttäuschten Schotten wollen nun innerhalb der Union an einer besseren Zukunft arbeiten. Sie hätten klargemacht, dass sie nicht glücklich sind mit der Regierung in London, findet Dermot Barr, der „Yes“-Aufkleber sogar im Gesicht kleben hat und eine blau-weiße Schottland-Fahne über den Schultern trägt. „Alle müssen jetzt den Hintern hochkriegen und das ändern“, fordert der 30-Jährige.

Auch Lucas McGregor von der Nationalpartei schaut tapfer nach vorn. „Wir haben eine Bewegung angestoßen, das geht jetzt erst richtig los“, glaubt er. Wird es ein weiteres Referendum geben? „Kommt darauf an, was passiert.“ Die vielen politischen Debatten hätten dem Land auf jeden Fall gutgetan. „Ich habe mich meinen Landsleuten noch nie so nah gefühlt. Ganz egal, wie sie abgestimmt haben.“