Soldaten wechseln die Seiten. Vorbereitungen für Krisentreffen. Deutsches Schiff und sechs Kampfflieger für Nato-Verstärkung im Osten

Slowjansk/Berlin. Dem ukrainischen Militär gelingt es nicht, die Lage im Osten des Landes unter Kontrolle zu bringen. Prorussische Separatisten besetzten am Mittwoch ein weiteres Verwaltungsgebäude im ostukrainischen Industriezentrum Donezk. Das Rathaus wurde offiziellen Angaben zufolge von mindestens 20 Bewaffneten gestürmt. Separatisten halten Verwaltungsgebäude in zehn Städten im Osten der früheren Sowjetrepublik besetzt.

Der Versuch der ukrainischen Regierung, die prorussische Erhebung im Osten mit Panzern zu beenden, ist am Mittwoch in einem Fiasko geendet: Moskau-treue Milizen und Anwohner stoppten den von Kiew geschickten Militärkonvoi und kaperten sechs Panzer.

Kiew hatte am Dienstag einen Konvoi mit 20 Panzern und gepanzerten Fahrzeugen in Richtung Slowjansk geschickt, wo seit Sonnabend zahlreiche öffentliche Gebäude von bewaffneten prorussischen Aktivisten besetzt sind. Doch der „Anti-Terrorismus-Einsatz“ endete in einer bitteren Demütigung durch Moskau-treue Kräfte.

Die Kolonne wurde zunächst von Anwohnern in Kramatorsk 20 Kilometer vor Slowjansk gestoppt. Anschließend kaperten Uniformierte ohne Abzeichen sechs der Panzerfahrzeuge und fuhren damit durch die Innenstadt von Slowjansk – unter russischen Flaggen. Sie gaben sich gegenüber Reportern als „Selbstverteidigungskräfte“ von der Krim aus und sagten, 150 ukrainische Soldaten hätten sich ihnen angeschlossen. Am Nachmittag gab dann auch der Rest der Militärkolonne auf. Die Soldaten begannen, vor einem uniformierten Mann ohne Abzeichen ihre Waffen unbrauchbar zu machen, wie Reporter berichteten. Im Gegenzug erhielt der Trupp die Zusicherung, mit den Militärfahrzeugen den Rückweg antreten zu können.

Ein zu den Separatisten übergelaufener Soldat sagte in Slowjansk, er und andere Angehörige der Fallschirmjäger hätten sich entschieden, die Seiten zu wechseln, weil sie nicht auf das eigene Volk schießen wollten. „Sie haben uns in unserem Stützpunkt drei Tage lang nichts zu essen gegeben. Hier bekommen wir etwas zu essen. Was glauben Sie, für wen wir kämpfen?“ In der Region Lugansk wurden zwei ukrainische Soldaten von prorussischen Aktivisten als „Geiseln“ genommen. In der ostukrainischen Stadt Mariupol sind bei Auseinandersetzungen um einen Militärstützpunkt mindestens fünf Menschen verletzt worden. Örtliche Medien berichteten am Mittwochabend von Schusswechseln. Etwa 500 zum Teil maskierte prorussische Aktivisten hätten die Kaserne umstellt und die Soldaten aufgefordert, ihnen alle Waffen auszuhändigen.

Unterdessen hat die Ukraine der russischen Sberbank vorgeworfen, pro-russische Separatisten im Osten des Landes zu finanzieren. Es seien strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet worden, sagte der Generalstaatsanwalt Oleh Machnizki am Mittwoch. Insgesamt liefen Untersuchungen gegen 14 Banken. Am Dienstag hatte der ukrainische Staatssicherheitsdienst einer nicht genannten Bank vorgeworfen, zwischen März und April umgerechnet rund 2,7 Millionen Euro für militante Gruppen transferiert zu haben.

Auf diplomatischer Seite liefen die Bemühungen zur Entschärfung der Situation vor dem für Donnerstag angesetzten Krisentreffen mit Vertretern der Ukraine, Russlands, der USA und der EU auf Hochtouren. Die Entwicklungen nährten aber die Sorge, dass das Krisentreffen am Donnerstag in Genf nicht zur Deeskalation beitragen würde. Außerdem kündigen die USA angesichts der Eskalation eine Verschärfung ihrer Sanktionen gegen Russland an. „Wir bereiten aktiv neue Sanktionen vor“, sagte der Sprecher von Präsident Barack Obama, Jay Carney, am Mittwoch. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat von Russlands Präsidenten Wladimir Putin Mäßigung im Ukraine-Konflikt verlangt. Merkel habe in einem Telefonat mit Putin „sehr deutlich gemacht, dass sie Russland in der Hauptverantwortung sieht, zu einer Deeskalation beizutragen“, sagte Vize-Regierungssprecher Georg Streiter am Mittwoch in Berlin.

Bundesregierung lobte das Vorgehen Kiews gegen prorussische Kräfte

„Ein Rückzug des russischen Militärs von der Grenze und eine Mäßigung der russischen Rhetorik sowie die Distanzierung von gewaltsamen Aktionen prorussischer Kräfte wären deshalb schon ein sehr wichtiger Beitrag zur Entschärfung der Lage“, zitierte Streiter die Kanzlerin aus dem Gespräch mit Putin vom Dienstag. Die starke Präsenz russischen Militärs an der ukrainischen Grenze und „die anhaltende aufrührerische Berichterstattung in den auch in der Ostukraine konsumierten russischen Staatsmedien ist bereits ein Faktor, der zur Destabilisierung der Ostukraine beiträgt und von bewaffneten Separatisten als russische Rückendeckung verstanden wird“. Das Vierer-Treffen in Genf könne ein „erster Schritt dazu (sein), wieder eine geordnete Situation in der Ukraine herzustellen“, sagte Streiter. „Wir hoffen, dass es stattfindet, dass es eine Grundlage ist, dass es möglichst weitere Treffen gibt.“

Die Bundesregierung lobte das Vorgehen gegen prorussische Kräfte im Osten des Landes. „Aus unserer Sicht hat sich die ukrainische Regierung in dieser Krise bisher sehr besonnen und zurückhaltend verhalten“, sagte Streiter. „Klar ist, dass die ukrainische Führung natürlich die gewaltsame Übernahme von Polizeistationen oder andere Infrastruktur durch Gewalttäter nicht hinnehmen kann.“ Auf die Frage, ob Merkel wie Putin einen Bürgerkrieg in der Ukraine fürchte, sagte er: „Die Bundeskanzlerin hat kein Interesse an eskalierender Wortwahl. Jedenfalls nicht in der Öffentlichkeit.“

Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) sagte der „Rheinischen Post“, das Treffen in Genf sei „eine Chance, nicht der Durchbruch und erst recht keine Garantie für eine friedliche Lösung“. Erfolgsaussichten gebe es nur, wenn in Moskau und Kiew Bereitschaft bestehe, ernsthaft an die Entschärfung des Konflikts heranzugehen. „Ein Scheitern ist nicht erlaubt. Denn die Lage im Osten der Ukraine wird immer bedrohlicher.“ Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen kündigte mit Blick auf die angespannte Lage an, dass Kampfjets der Nato nun verstärkt Einsätze über den baltischen Staaten fliegen sowie Schiffe in die Ostsee und das östliche Mittelmeer verlegt würden. Zudem solle die Verteidigungsbereitschaft durch Manöver und Training gestärkt werden. Es sei aber keine Entscheidung über die Errichtung von dauerhaften Stützpunkten in osteuropäischen Nato-Ländern gefallen.

Deutschland wird zunächst mit einem Schiff und sechs Kampffliegern die Nato-Präsenz in den östlichen Bündnisstaaten verstärken. Das bestätigte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums am Mittwoch in Berlin. Der Tender „Elbe“ mit rund 45 Soldaten Besatzung soll von Ende Mai bis Anfang August ein Minenräummanöver in der Ostsee leiten. Bis zu sechs Kampfflieger vom Typ „Eurofighter“ sollen sich ab September für vier Monate an der Luftraumüberwachung über dem Baltikum beteiligen.