Demonstranten fordern Anschluss an Russland. Kiew warnt Moskau vor einer Invasion. Merkel in „größter Sorge“

Kiew. Im Konflikt um die Zukunft der Ukraine hat sich die Lage gefährlich zugespitzt. Tausende prorussische Kräfte stürmten öffentliche Gebäude im Osten des Landes und forderten offen ein Eingreifen Moskaus. In der Millionenstadt Donezk, einem der bedeutendsten Industriezentren der Ukraine, riefen die Besatzer der Gebietsverwaltung eine „souveräne Volksrepublik“ aus. Sie kündigten spätestens für den 11. Mai ein Referendum über einen Anschluss an Russland an – nach dem Vorbild der Schwarzmeer-Halbinsel Krim. Kreml-Chef Wladimir Putin wurde aufgefordert, „Friedenssoldaten“ zu entsenden. Rund um das Gebäude harrten rund 2000 Demonstranten aus, einige von ihnen waren bewaffnet. Viele skandierten: „Putin, hilf!“ Im Osten der Ukraine ist etwa jeder zweite Bewohner ein ethnischer Russe.

In Kiew drohte Interimspräsident Alexander Turtschinow mit einem „Anti-Terror-Einsatz“ gegen die „Separatisten“. Er warf Russland in einer emotionalen Rede vor dem Parlament vor, es wolle „die Situation im Staat destabilisieren und unser Land in Teile reißen“. Nach der Annexion der Krim hatte Putin Zehntausende Soldaten an der östlichen Grenze der Ukraine stationiert. Ministerpräsident Arseni Jazenjuk erklärte in Kiew, Russland bereite eine Invasion vor. Eine Abspaltung wie bei der Krim solle in den östlichen Landesteilen wiederholt werden. Präsidentschaftskandidatin Julia Timoschenko forderte die Regierung auf, hart gegen die prorussischen Kräfte vorzugehen. Bei den Angreifern handele es sich um bezahlte Provokateure.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zeigte sich „in größter Sorge“. Regierungssprecher Steffen Seibert appellierte in Berlin an „alle Verantwortlichen, zur Stabilisierung der Region beizutragen und solche Eskalationen zu vermeiden“. Zugleich erinnerte er daran, dass Putin der Kanzlerin in einem Telefonat zugesagt hatte, die grenznahen Truppen teilweise wieder abzuziehen. „Wir müssen heute feststellen, dass es immer noch darum geht, dass dieser Rückzug auch nachweisbar umgesetzt wird.“ Ganz Europa warte auf vertrauensbildende Maßnahmen und sichtbare Schritte zur Deeskalation.

Die US-Regierung drohte mit neuen Sanktionen. Es gebe starke Hinweise, dass einige der prorussischen Demonstranten bezahlt seien und nicht in der Region wohnten. Sollte Russland im Osten der Ukraine offen oder verdeckt aktiv werden, wäre dies eine „sehr ernste Eskalation der Lage“, erklärte ein Sprecher des Weißen Hauses.

Russland bestritt jede Verantwortung für die Ausschreitungen. „Genug der Anschuldigungen gegen Russland, das für alle aktuellen Probleme der Ukraine verantwortlich gemacht wird“, hieß es in einer Erklärung des Außenministeriums.

Auf der Krim gab es unterdessen einen tödlichen Zwischenfall: Ein russischer Soldat erschoss einen ukrainischen Offizier im Streit.