Militante prorussische Aktivisten erklären Unabhängigkeit des Ostteils und stürmen Verwaltung von Donezk

Kiew. Russland, Russland“, rufen die Demonstranten, die sich am Montag auf dem Puschkin-Boulevard vor der Regionalverwaltung in Donezk versammelt haben. Sie schwenken russische Flaggen und skandieren: „Putin, hilf uns!“ Auf der Balustrade der Verwaltung winken Männer mit schwarzen Lederjacken der Menge zu. An der Fassade des massiven Sowjetbaus weht ein Banner mit der Aufschrift „Republik Donezk“. Aus Lautsprechern dröhnt die Hymne der Russischen Föderation.

Gegen Mittag ruft ein selbst ernannter Volksrat die „Souveräne Republik Donezk“ aus und erklärt die Region für unabhängig. Später hätten die Separatisten Wladimir Putin um militärischen Beistand gebeten, berichtet die russische Agentur Itar-Tass. Die Demonstranten hatten zuvor das Gebäude gestürmt, wo der Gouverneur und die Vertreter der Kiewer Zentralregierung sitzen. Sie drangen ohne Widerstand in das Haus ein und hissten auf dem Dach die russische Flagge. Und sie stellten dem Regionalparlament in Donezk ein Ultimatum: Bis Mitternacht müssten die Volksvertreter zu einer Notstandssitzung zusammenkommen und einen Termin für ein Referendum über die Unabhängigkeit der Donbass-Region festlegen. Andernfalls würde der Volksrat eigenständig die Unabhängigkeit ausrufen. In der Nacht zum Montag war es auch in anderen Städten der Ostukraine zu Unruhen gekommen. In Charkow besetzten prorussische Demonstranten die Gebietsverwaltung. Neun Menschen wurden verletzt, als in Lugansk Demonstranten die Außenstelle des Geheimdienstes SBU stürmten. Sicherheitskräfte hatten daraufhin die Zufahrtsstraßen blockiert und die dortige Gebietsverwaltung umstellt.

Zunehmend entgleitet der neuen proeuropäischen Zentralregierung die Kontrolle. Premier Arsenij Jazenjuk beschuldigt den Kreml, die Unruhen zu inszenieren. „Russlands Plan ist es, die Ukraine zu destabilisieren und Truppen über die Grenze zu schicken“, sagte er bei einer Notstandssitzung der Regierung. Russische Truppen stünden 30Kilometer hinter der Ostgrenze, fügte Jazenjuk hinzu. Nach Angaben der Nato habe Russland mindestens 40.000 Soldaten entlang der ukrainischen Grenze stationiert.

Die Stimmung im russischsprachigen Gebiet Donezk ist seit Monaten angespannt. Die Mehrheit der Ukrainer in der Bergbauregion lehnt die neue Regierung in Kiew ab und will mit der Maidan-Revolution nichts zu tun haben. In der Hauptstadt hätten sich Faschisten an die Macht geputscht, glauben viele Menschen im Osten des Landes. Immer wieder haben Tausende in den vergangenen Wochen in Donezk demonstriert. Sie lehnen die Übergangsführung unter Präsident Oleksandr Turtschinow in Kiew ab und fordern ein Referendum über die Unabhängigkeit der Donbass-Region – so wie auf der Krim.

Angeführt wird die Pro-Kreml-Bewegung von der Volkswehr Donbass, einer militanten Vereinigung in Donezk. Deren Leiter Pawel Gubarew ernannte sich Anfang März selbst zum „Volksgouverneur“, wurde kurz darauf verhaftet und von einem Kiewer Gericht zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt. In den vergangenen acht Wochen stürmte die Volkswehr Donbass bereits zweimal die Donezker Gebietsverwaltung. Die erneute Besetzung am Montag sei friedlich und ohne Widerstand verlaufen, teilte ein Sprecher der Organisation mit. Auf den Fluren des okkupierten Sowjetbaus würde sogar Polizei patrouillieren, sagte er weiter.

In Kiew stellen sich Beobachter daher die Frage, warum militante Aktivisten so einfach in das Gebäude eindringen konnten und wieso die Polizei nicht vorbereitet war. Möglicherweise verweigern auch Teile der Polizei und hohe Sicherheitsbeamte der Hauptstadt die Loyalität. „Wir wollen die Lage ohne Blutvergießen unter Kontrolle bekommen“, verteidigte sich ein Sprecher des Innenministeriums. Die Polizei setze auf Deeskalation, fügt Andreas Umland, Politologe an der Kiewer Mohyla-Akademie, hinzu. Würde die Polizei den Protest gewaltsam niederschlagen, hätte Moskau einen Vorwand, militärisch in der Ostukraine zu intervenieren.

Dennoch versucht Kiew die Ostukraine unter Kontrolle zu bekommen. Sie ernannte Anfang März den Oligarchen Sergej Taruta zum Gebietsgouverneur von Donezk. Der Stahlbaron unterstützte früher die Orange Regierung von Julia Timoschenko. Auch der Oligarch Rinat Achmetow, der im Donbass einen Großteil der Wirtschaft kontrolliert, steht hinter der Übergangsregierung in Kiew. In der vergangenen Woche verhaftete der Geheimdienst SBU in Lugansk 15 Personen, die versucht haben sollen, die Lokalverwaltung gewaltsam zu stürzen. Auch ein weiterer Führer der Volkswehr Donbass, Michail Tschumatschenko, sowie der Chef der prorussischen Jungen Garde, Arsen Klintschaew, gingen dem Geheimdienst ins Netz.

Die Regierung in Kiew behauptet, die Separatisten seien aus Russland in die Ostukraine eingeschleust worden, denn „sie sprechen einen starken russischen Akzent“, sagt Premier Jazenjuk. Beweise für eine russische Infiltration konnte die Regierung aber bisher nicht vorlegen.