Die Außenminister sehen noch nicht den „Moment für Wirtschaftssanktionen“, wollen sie aber vorbereiten, „denn die Lage bleibt sehr gefährlich“

Athen. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) sieht im Konflikt mit Russland eine „Atempause“, die es diplomatisch zu nutzen gelte. „Wir sind nicht über den Berg. Wir haben im Augenblick so etwas wie eine Atempause, in der sich der Spannungszustand nicht weiter zuspitzt“, sagte Steinmeier am Freitag in Athen bei Beratungen der EU-Außenminister über den Konflikt mit Moskau um die Ukraine. „Diese Chance muss man nutzen, um die Situation zu stabilisieren und in Zukunft möglicherweise Verbesserungen zu erreichen“, fügte er hinzu.

Ein informelles Treffen der EU-Außenminister sei „immer ein wichtiges Ereignis“, ließ sich Gastgeber Evangelos Venizelos vernehmen, der die Kollegen nach Athen geladen hatte, selbst wenn der Charakter den Verzicht auf formelle Beschlüsse nahelegt. Ein Anlass zur Reflexion sei das Treffen unter griechischer Frühlingssonne, kein Termin für schnelle Entscheidungen, sagte sein britischer Kollege William Hague. Und EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton sagte, die EU müsse und werde auf dem Treffen der Minister „sehr sorgfältig über unsere künftigen Beziehungen zu Russland nachdenken“.

Reflektieren, nachdenken, zurückschauen: Die vergangenen Wochen waren geprägt von harten rhetorischen Auseinandersetzungen zwischen EU und Russland, von Sanktionen, Forderungen, Warnungen und Hilferufen der Ukraine. Nun liegt der Wunsch nach einem Innehalten über dem Treffen in Athen und die Frage, die während der Wochen der Eskalation des Ukraine-Konflikts noch keine sein konnte. Die Frage: Geht die EU mit den Staaten an ihrem östlichen Rand angemessen um? Und: Hat die EU alles richtig gemacht?

„Das Blutvergießen auf den Straßen ist beendet“, sagte Steinmeier. Aber Europa müsse sich auf „schwierige Monate, vielleicht Jahre“ in der Ukraine einstellen. In einem Augenblick, da der Status quo in der Krise dies erlaubt, wollen die Außenminister den Blick lenken auf die Suche nach einer langfristigen Strategie gegenüber den Staaten am östlichen Rand der Europäischen Union. Über die „Grundphilosophie der europäischen Nachbarschaftspolitik“ sei zu reden, sagte Steinmeier.

Diese sei entwickelt worden als eine Alternative zum EU-Beitritt von Ländern, und es sei ein „Missverständnis“, dass sie automatisch zu einem EU-Beitritt führe. Eingeführt wurde die Nachbarschaftspolitik 2009 mit dem Ziel, harte Brüche in der Wirtschaft, im Hinblick auf Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, zwischen den EU-Staaten und ihren Nachbarn in Osteuropa zu vermeiden. Auch ein Assoziierungsabkommen, wie es die EU mit der Ukraine schließt, beinhaltet keine Beitrittsperspektive – und dennoch kritisiert Russland es als westliche Einmischung.

Nun trug russische Einmischung zuletzt Flecktarn, bewegte sich in Kettenfahrzeugen und brachte anders als ein EU-Assoziierungsabkommen keine Handelserleichterungen mit sich, aber der EU ist derzeit ausweislich aller Äußerungen an Deeskalation gelegen, nicht am Rechthaben. „Wir sind uns einig in der völkerrechtlichen Bewertung der Abtrennung der Krim“, sagte Steinmeier. „Die Frage ist nun: Wie gelingt es uns, die Ukraine zu stabilisieren.“

Und die Region nicht zu destabilisieren: In der EU gibt es durchaus Befürchtungen, dass die für den Sommer geplante Unterzeichnung von Assoziierungsabkommen mit Georgien und Moldawien zu neuen Spannungen mit Moskau führen könnte – konkret: dass die Abkommen Russland zum Grund für ein neuerliches militärisches Eingreifen wie schon auf der Krim dienen, unter dem Vorwand des Schutzes russischer Minderheiten und mit dem Zweck, die Annäherung an Europa zu verhindern.

Steinmeier und die Kollegen Laurent Fabius aus Frankreich und Radoslaw Sikorski aus Polen hatten vor dem Treffen bereits gefordert, die Länder der östlichen Nachbarschaft nicht mehr vor eine „starre“ Entscheidung zu stellen – „entweder sich der EU anzunähern oder in umfassender Weise mit Russland zusammenzuarbeiten“.

Derlei Strategiewechsel aber empfinden andere als Zugehen auf diejenigen, die mehr europäisches Verständnis für russische Ängste und Wünsche fordern. Der niederländische Außenminister Frans Timmermans äußerte sich kritisch gegenüber der Erklärung der drei Kollegen: „Es ist sehr wichtig, dass wir an unserer Strategie festhalten“, sagte er. Plötzliche Strategiewechsel brächten keine Ergebnisse. „Ich glaube an die Assoziierungsabkommen. Wenn wir können, sollten wir die Unterzeichnung mit den Ländern der östlichen Partnerschaft beschleunigen“, sagte Timmermans. „Wir dürfen nicht eingeschüchtert sein, was auch immer in Moskau gesagt wird.“

Bei aller Nachdenklichkeit: Russland will keiner der Teilnehmer im Glauben lassen, der Verzicht auf weitere Eskalation sei schon eine Deeskalation. Der Rückzug russischer Soldaten von der Grenze zur Ukraine sei bisher nur „symbolisch“ gewesen, kritisierte der Brite Hague: „Wir haben keine wirkliche Deeskalation durch Russland gesehen. Europa darf sich daher nicht entspannen.“ Auch Ashton forderte Schritte zur Entspannung von Russland: „Es ist sehr wichtig, dass Russland zeigt, dass es eine Deeskalation ernst meint, indem die Truppen zurückgezogen werden“, sagte sie.

Steinmeier schloss sich an: „Ich erwarte von Russland weitere Schritte, die zeigen, dass Russland an einer Deeskalation gelegen ist.“ So fordert die EU ebenso wie die Nato, Russland müsse seine Soldaten von der Grenze zur Ukraine abziehen. Wirtschaftssanktionen, die in Ein- und Ausfuhrbeschränkungen bestehen könnten, will die EU aber gegen Russland vorerst nicht verhängen.

„Es ist unsere historische Pflicht, die politischen und diplomatischen Kanäle offenzuhalten“, mahnte Gastgeber Venizelos zur Besonnenheit. „Dies ist noch nicht der Moment für Wirtschaftssanktionen“, sagte Hague. Vorbereitet sollen sie dennoch werden: „Wir müssen darauf vorbereitet sein, denn die Lage bleibt sehr gefährlich.“