Internationale Kritik an Moskaus Vorgehen gegen Homosexuelle. Deutsche Politiker diskutieren Olympia-Boykott

Berlin/Moskau. Die zunehmende Verfolgung homosexueller Menschen in Russland hat zu einer lebhaften Debatte deutscher Bundespolitiker geführt. Und nun wird auch die Forderung nach einem Boykott der Olympischen Winterspiele in Sotschi 2014 erhoben.

Die ohnehin seit Langem bedrohliche Lage Schwuler und Lesben in Russland mit gewalttätigen Übergriffen vor allem durch Rechtsradikale hat sich seit Juni weiter zugespitzt. Seitdem gilt ein Gesetz, das positive Äußerungen über Homosexualität und Transsexualität in Anwesenheit von Minderjährigen unter Strafe stellt. Es drohen Geldstrafen zwischen umgerechnet 120 und 23.000 Euro. Falls Ausländer gegen das Gesetz verstoßen, können sie bis zu 15 Tage lang festgehalten und dann ausgewiesen werden.

Der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), Jacques Rogge, forderte bei der Leichtathletik-Weltmeisterschaft in Moskau von der russischen Regierung eine Klarstellung zu diesem Gesetz, das nach Angaben des russischen Sportministers Vitali Mutko auch während der Olympischen Spiele gelten soll. Rogge sagte dazu: „Die Olympische Charta ist da klar: Sport ist ein Menschenrecht, das allen zugänglich sein soll – ungeachtet der Ethnie, des Geschlechts und der sexuellen Orientierung.“ Das Auswärtige Amt warnt in seinen Reisehinweisen deutsche Homosexuelle bereits vor einem Verstoß gegen dieses Gesetz.

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) sagte: „Mit der Ausgrenzung von Homosexuellen geht Russland einen weiteren großen Schritt in Richtung einer lupenreinen Diktatur“. Die Freidemokratin nimmt damit Bezug auf den früheren Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD), der 2004 die Frage, ob Russlands Präsident Wladimir Putin ein „lupenreiner Demokrat“ sei, mit Ja beantwortet hatte.

„Was in Russland stattfindet, ist staatliche Verfolgung“, sagte der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning (FDP), der „Welt am Sonntag“. Der CDU-Politiker Jens Spahn sagte derselben Zeitung mit Blick auf die Winterspiele in der Schwarzmeer-Stadt Sotschi, es sei „grotesk, dass die Welt in einem Land zu Gast sei soll, in dem per Gesetz gegen Schwule und Lesben gehetzt wird“. Der Grünen-Politiker Volker Beck, selber homosexuell, sagte, man müsse sich einen anderen Austragungsort überlegen, „wenn die Sicherheit von Schwulen und Lesben oder denen, die sich mit ihnen solidarisch zeigen, nicht gewährleistet ist“. Ein Boykott der Olympischen Spiele sei aber das falsche Signal. Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) kritisierte die Behandlung von Homosexuellen in Russland scharf, sagte aber: „Ich halte die Diskussion über Olympia-Boykotte für falsch.“

Zuvor hatte der prominente britische Schauspieler, Journalist und Autor Stephen Fry offen zu einem Boykott der Spiele aufgerufen und erklärt, die olympische Bewegung werde „beschmutzt“, falls die Spiele in Russland stattfinden dürften. Fry forderte, der britische Premierminister David Cameron müsse sich dafür einsetzen, dass Russland die Austragung der olympischen Winterspiele entzogen werde.

Cameron sagte jedoch, es sei besser, an den Spielen teilzunehmen und damit gegen die homosexuellenfeindliche Politik Russlands zu demonstrieren. „Ich bin der Meinung, dass wir Vorurteile besser infrage stellen können, wenn wir teilnehmen“, schrieb Cameron im Internetdienst Twitter. Auch US-Präsident Barack Obama sprach sich gegen einen Boykott aus, den er für „unangemessen“ hält. Er sehe es lieber, dass die US-Sportler dieser Politik mit Medaillengewinnen entgegenträten. Der Menschenrechtsbeauftragte Löning und prominente Bundespolitiker, darunter Linken-Fraktionschef Gregor Gysi, Leutheusser-Schnarrenberger und die Grünen-Bundestagabgeordnete Marieluise Beck, forderten die Bundesländer auf, Homosexuelle aus Russland, die in Deutschland Asyl beantragten, „unkompliziert anzuerkennen“.

Wie „tagesschau.de“ berichtete, hatte Volker Beck kürzlich gesagt, Putin habe „Lesben, Schwule und Transsexuelle zu Vogelfreien erklärt“. Die Duma – das russische Parlament – habe ihnen ihre Bürgerrechte aberkannt, und nun gehe die „Saat des Hasses auf“. Es vergehe kaum ein Tag ohne Berichte von Hetzjagden und sogar Morden an schwulen Männern in Russland. Vor allem rechtsradikale Gruppen veranstalten sogenannte „Safaris“-Pogrome gegen Schwule. Diese werden vor laufender Kamera brutal zusammengeschlagen; die Filmclips werden wie Trophäen im Internet veröffentlicht.

Die Schläger haben die prinzipielle Rückendeckung russischer Politiker. Gesundheitsministerin Weronika Skworzowa hat Homosexualität mit einer Krankheit verglichen und betont, der Staat habe die Aufgabe, Kinder vor den „pathologischen Repräsentanten des Homosexualismus“ zu schützen. 2007 bereits hatte Präsident Putin Homosexuelle als Teil des „demografischen Problems“ Russlands bezeichnet. Nach einer Umfrage eines Moskauer Meinungsforschungsinstituts fordern 42 Prozent der Russen, das Homosexualität wieder strafbar sein solle.