Hass auf Schwule hat in Russland lange Tradition

Das skandalöse Kesseltreiben der russischen Behörden gegen homosexuell orientierte Menschen ist erst im Juni mit einem Gesetz großflächig in den Fokus der Weltöffentlichkeit geraten, das wohlwollende Äußerungen über Homosexualität gegenüber Minderjährigen unter Strafe stellt. Dies erweckt den Eindruck, als sei diese Hexenjagd ein Produkt des autoritären „Systems Putin“.

Das ist jedoch – leider – nicht der Fall. Homophobie ist vielmehr ein seit langer Zeit tief in der russischen Gesellschaft verankertes Phänomen. 86 Prozent der Russen befürworten das neue Gesetz; Anfang des Jahres verglich Kyrill, Oberhaupt der Orthodoxen Kirche, das „Übel“ Homosexualität mit Drogensucht und Prostitution. Vor wenigen Jahren hatte der Großmufti von Russland gefordert, Homosexuelle auszupeitschen, und erklärt, der Prophet Mohammed habe schließlich verlangt, sie zu töten.

Homophobie ist ein Charakteristikum gerade autoritärer Regime mit ausgeprägtem Männlichkeits- und Kriegerkult. Sie eint vor allem die starken linken und rechten Ränder mit ihrem Hang zu gewalttätigen Pogromen. Die Jagd auf Schwule und Lesben als inneren Feind, der die eigene Kultur zersetze, dient auch dazu, von gravierenden gesellschaftspolitischen Widersprüchen Russlands abzulenken.

Mit derartigen Gesetzen sowie mit seinem Machismo-Gehabe bedient Präsident Wladimir Putin in kaltem Machtkalkül vorhandene Strömungen. Keine russische Partei von Gewicht bemüht sich um die Stärkung der Rechte Homosexueller; und in Zeiten der Sowjetunion drohte Schwulen gar Kerker und Arbeitslager. Erst seit 1999 gilt Homosexualität gesetzlich nicht mehr als Geisteskrankheit.

Russland entfernt sich so immer weiter von den Zivilgesellschaften der Welt, die sich um ein unverkrampftes Verhältnis zu anderen sexuellen Orientierungen bemühen. Ein Olympia-Boykott wäre jedoch völlig ungeeignet, Russland auf einen anderen Kurs zu bringen. Abgesehen davon, dass Sport nicht als Daumenschraube der Politik missbraucht werden sollte.