Lange lagen die Sozialdemokraten im italienischen Wahlkampf vorn. Dann schlug die Stunde der Populisten Berlusconi und Grillo

Rom. Als sich Pier Luigi Bersani, 61, Parteisekretär der Demokratischen Partei (PD) Italiens, am Montagmorgen von seiner Frau Daniela verabschiedete, dachte er wohl, zum letzten Mal als normaler Bürger aus seiner Heimatstadt Piacenza in Norditalien in Richtung Rom zu fahren. In Umfragen lag er vorn, wenn auch nur knapp, aber er hoffte doch, als nächster Regierungschef Italiens nach Hause zu kommen und die 64. Regierung der Republik seit dem Zweiten Weltkrieg zu bilden. Nur einmal regierte eine Mitte-links-Koalition Italien eine ganze Legislaturperiode lang, mit den drei Regierungen unter Romano Prodi, Massimo D'Alema und Giuliano Amato. Die zweite Regierung Prodi (2006-2008) scheiterte an ihrer hauchdünnen und zerbrechlichen Mehrheit.

Auch die aktuelle Wahl wurde für Bersani dann eine Zitterpartie. Nach ersten Hochrechnungen sollte das Bündnis aus seiner Demokratischen Partei und der Linkspartei Linke, Ökologie und Freiheit (SEL) im Abgeordnetenhaus eine Mehrheit erreichen. Aber ersten Auszählungsergebnissen kurz nach 16 Uhr zufolge könnte Silvio Berlusconi mit seinem Rechtsbündnis Volk der Freiheit (PdL) und der Lega Nord eine knappe Mehrheit im Senat bekommen. Stärkste Kraft im Senat wurde nach dieser ersten Hochrechnung die Protestbewegung Fünf Sterne des Komikers Beppe Grillo. Der bisherige Premierminister Mario Monti hatte demnach einen Stimmenanteil von nur knapp unter zehn Prozent erhalten.

Das Ergebnis würde Bersani und die PD dazu zwingen, eine Koalition sowohl mit der SEL als auch mit Montis Wahlliste Bürgerwahl zu bilden. Eine heikle Aufgabe - Monti hatte mehrfach angekündigt, eine solche Koalition auf keinen Fall akzeptieren zu wollen.

Pier Luigi Bersani hat einen Wahlkampf hinter sich, der eher einem Hindernisritt querfeldein, nicht einer linearen Dressurübung glich, die der Politiker Bersani, rational, nüchtern und auch etwas schüchtern, so schätzt. Bersani fühlte sich schon als Sieger, als Mario Monti - von einer Vertrauensfrage der Berlusconi-Parlamentarier herausgefordert - Anfang Dezember seinen Rücktritt angekündigt hatte.

Erst im Oktober 2012 hatte Bersani die Vorwahlen seiner Partei gegen seinen jungen Herausforderer, den Bürgermeister von Florenz, Matteo Renzi, gewonnen. Das hatte Bersani der von ihm hochgelobten Parteibasis, aber auch dem immer noch funktionierenden Apparat der PD zu verdanken. Damals regierten noch die Technokraten um Mario Monti, hatten in knapp einem Jahr wichtige Reformen sowie ein Sparpaket durchgesetzt und Italien neues Vertrauen in Europa und auf den Weltmärkten verschafft, nachdem Montis Vorgänger Silvio Berlusconi im Herbst 2011 zurückgetreten war.

Die Italiener hatten Berlusconi und seine Eskapaden mit Justiz und jungen Mädchen offenbar fast vergessen, aber Monti und seine harten Sparauflagen gründlich satt. Beste Vorzeichen also für Bersanis Wahlkampf. Er punktete sofort, lag in Umfragen weit vor allen Gegnern: Mindestens 36 Prozent würde er holen, so sagten es die Umfragen voraus. Das hätte ihm, dank des italienischen Wahlgesetzes, eine absolute Mehrheit im Parlament beschert. Auch mit dem Koalitionspartner, Nichi Vendola, Chef der Partei SEL, würde es kaum Probleme geben, so die Auguren. Obwohl Vendola eine radikale linke Vergangenheit mitbringt, ist der 54-Jährige heute zum Realpolitiker mutiert und regiert seit 2005 die Region Apulien mit Erfolg. Vendola will mehr Betonung auf Sozial- und Umweltpolitik legen als die Partner von der PD. "Wir brauchen einen New Deal in Europa", hat er im Wahlkampf oft wiederholt. Trotzdem hat er nie einen Zweifel daran gelassen, dass es zum Euro und zur europäischen Einheit keine Alternativen gibt: "Die Mission der Linken heißt heute Europa."

Aber noch vor Weihnachten zogen am Wahlhorizont viele dunkle Wolken auf, zuallererst in Person von Silvio Berlusconi. Über ein Jahr hatte er seiner Partei freie Hand gelassen, sich zu reformieren. Das war gescheitert, sie konnte sich auf keinen neuen Spitzenkandidaten einigen, und so riss Berlusconi kurzerhand die Führung noch einmal an sich. Mit massiver Medienpräsenz ging er in die Weihnachtszeit, und schon am Anfang des neuen Jahres purzelten Bersanis Prozentpunkte.

Den zweiten Streich besorgte Mario Monti selbst: Noch vor Weihnachten kündigte der Noch-Regierungschef und Politneuling an, selbst kandidieren zu wollen, und präsentierte eine eigene Wahlliste, die Bürgerwahl, in der sich Zentrumsparteien wie die Union der Christdemokraten (UDC) und Zukunft und Freiheit (FLI) des nationalkonservativen Parlamentspräsidenten Gianfranco Fini zusammenschlossen. Es begann ein Tauziehen um eine mögliche Koalition von Bersani - links mit Vendola und rechts mit Monti. Aber der Regierungschef ließ bis kurz vor der Wahl kein gutes Haar an Vendola und polterte wiederholt, gar nicht an eine Koalition mit der SEL zu denken. Diese klare Abgrenzung war er seiner Wählerschaft, einer Mischung aus Konservativen, Christdemokraten und Industriellen um den Ferrari-Chef Luca Cordero di Montezemolo, schuldig. Bis zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe blieb die Stimmenauszählung eine Zitterpartie für Bersani. Im Senat lieferte er sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Silvio Berlusconi.