Beim Militäreinsatz in Mali ist nicht eindeutig, gegen wen genau die frühere Kolonialmacht kämpft

Paris. "Im Herzen Frankreichs" wollen nordafrikanische Islamisten nun zuschlagen, nachdem die ehemalige Kolonialmacht in Mali mit gezielten Luftangriffen den Vormarsch der Dschihadisten auf die Hauptstadt Bamako vorübergehend gestoppt hat. Diese Drohung verkündete ein Sprecher der "Bewegung für die Einmaligkeit und den Dschihad in Westafrika" am Montag. Omar Ould Hamaha kündigte im Radiosender Europe 1 an, Frankreich stehe "an den Toren zur Hölle".

In Paris nimmt man das durchaus ernst. Innenminister Manuel Valls warnte, die Lage in Mali könnte "Individuen oder Gruppen dazu anregen, Attentate in Frankreich oder im Ausland zu verüben". Frankreich hat seine Sicherheitsmaßnahmen verstärkt.

Die einstige Kolonialmacht steht bei ihrem Militäreinsatz vor der strategisch nicht unbedeutenden Frage: Wer ist eigentlich der Gegner - und wenn ja, wie viele? Es ist keineswegs eindeutig, mit wem man es in dem scheiternden Sahara-Staat zu tun hat, der vor nicht allzu langer Zeit noch als eher gelungener afrikanischer Demokratieversuch betrachtet wurde. Im Norden des Landes, das rund viermal so groß ist wie die Bundesrepublik, haben sich mindestens drei mitunter rivalisierende islamistische Gruppen zusammengeschlossen: die Mujao, al-Qaida im islamischen Maghreb (Aqmi) und die Ansar Eddine, deren Anführer Iyad Ag Ghali das militärische Oberkommando zu führen scheint. Die Islamisten hatten im Frühjahr 2012 die aufständischen Tuaregs der "Nationalen Bewegung für die Befreiung des Azawad" überrumpelt, die zuvor im Norden Malis einen eigenen Staat ausgerufen hatten.

Die Milizen haben sich mit Waffen aus Libyen eingedeckt, die nach dem Ende des Gaddafi-Regimes in großen Mengen zirkulierten. Die französische Aufklärung hat bereits eingeräumt, dass die Gegner "überraschend gut ausgerüstet und ausgebildet sind". Am Freitag gelang den Dschihadisten der Abschuss eines französischen Hubschraubers. Einer der Piloten wurde getötet.

Am Sonntag haben französische Kampfflugzeuge, die von Basen im Tschad und in Frankreich aus operieren, erstmals Ziele in den nördlichen Städten Gao und Kidal angegriffen, die von den Ansar-Eddine-Kämpfern und ihren Verbündeten kontrolliert werden. Von hier aus hatten die Islamisten ihren Vormarsch gen Süden begonnen. Mit der Offensive hatte Ansar Eddine offenbar auf einen Überraschungs-Coup gesetzt, um das gesamte Territorium des Landes zu erobern, bevor Frankreichs seit Monaten diskret diplomatisch vorbereiteter Versuch, eine afrikanische Eingreiftruppe zusammenzustellen, zur Stärkung der Übergangsregierung in Bamako hätte führen können.

Nachdem die nur bedingt abwehrbereite malische Armee in der vergangenen Woche eine demütigende Niederlage in Konna hatte hinnehmen müssen und der malische Übergangs-Präsident Dioncounda Traoré um Unterstützung gebeten hatte, entschied sich Frankreichs Präsident François Hollande zum militärischen Eingreifen.

Der Vormarsch der Islamisten auf die strategisch bedeutende Ortschaft Sévaré wurde am Freitag gestoppt, danach bombardierte die französische Luftwaffe am Sonntag weiter nördlich gelegene Stellungen in Gao und Kidal, wo sich Trainingslager und Waffenarsenale der Rebellen befinden sollen. Allein in Gao sollen 60 islamistische Kämpfer getötet worden sein. Im Gegenzug haben die Islamisten jedoch offenbar die Stadt Diabaly eingenommen, die bislang noch von Regierungstruppen gehalten wurde. Am Montagnachmittag kam der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in New York zusammen, um auf Antrag Frankreichs über die Lage in Mali zu beraten. Frankreichs Verteidigungsminister Yves le Drian sprach derweil von einer "positiven" Entwicklung der Lage. Der Vormarsch der Terroristen sei gestoppt worden, sie hätten die Stadt Konna aufgegeben und sich Richtung Douentza zurückgezogen. Der gezielte Angriff auf einen Stützpunkt der Mujao in Gao habe "außergewöhnlich greifbare Ergebnisse" gezeitigt und eine Zerstreuung der Gruppe Richtung Osten und Süden bewirkt. Schwierig bleibe die Lage jedoch im Westen, wo man sich "schwer bewaffneten Gruppen" gegenübersähe.

Das vorläufige strategische Ziel der französischen Angriffe dürfte darin bestehen, die islamistischen Kämpfer, deren Zahl auf etwa 1500 geschätzt wird und die sich zumeist auf Pick-up-Trucks fortbewegen, so weit zu schwächen, dass ein weiterer Vormarsch auf Bamako vor Beginn der Regenzeit nicht mehr zu befürchten ist. Dadurch gewönne Frankreich zumindest Zeit, sein ursprüngliches Ziel - die Aufstellung einer afrikanischen Eingreiftruppe und die Ausbildung der malischen Streitkräfte voranzutreiben.

Durch den überraschenden Vorstoß der Islamisten war Hollandes Versuch, die ehemalige Kolonialmacht Frankreich möglichst nicht mehr in afrikanischen Konflikten agieren zu lassen, vorerst zunichte gemacht worden. Seit Freitag ist der Präsident der Republik nun zum kriegführenden "Chef de l'armée" geworden. Die Beteiligung an Kampfeinsätzen hat dem Ansehen eines französischen Präsidenten bislang nur selten geschadet. Hollande wirkte bei seiner Fernsehansprache, mit der er seinen Landsleuten den Einsatz erläuterte, deutlich entschiedener, als es sonst seine Art ist. Seine Berater bemühen sich derweil, die Gunst der Stunde zu nutzen und Hollande als "entschlossen wie nie" anzupreisen.

Die Opposition hat sich bislang weitgehend hinter den Präsidenten gestellt. Nur der Vorsitzende der Linksfront, Jean-Luc Mélenchon, und Ex-Premierminister Dominique de Villepin äußerten zurückhaltende Kritik. Deutlich ablehnender war die Reaktion der algerischen Presse. Frankreich beweise mit seiner Militäraktion unter dem Namen "Serval", dass es nach wie vor seine Interessen in den ehemaligen Kolonialgebieten verteidige. "Für diejenigen, die es nicht wissen", schreibt die algerische Zeitung "Liberté", "der Serval ist eine kleine afrikanische Raubkatze, welche die Angewohnheit hat, mindestens 30-mal pro Stunde zu urinieren, um ihr Territorium zu markieren." Im Alleingang, "wie der Serval", wolle Frankreich nun zeigen, dass es am besten wisse, was die Interessen Malis sind.