Favoriten für erste Direktwahl des Präsidenten stellen sich einem TV-Duell. Amtsinhaber Vaclav Klaus auf Abschiedsbesuch in Berlin.

Prag. Wenn ein privater tschechischer Fernsehsender die beste Sendezeit abends für ein Politikerduell frei räumt, dann nicht für irgendeine strohlangweilige, am Ende vielleicht gar noch politische Abfragerei von Ansichten und Absichten der Kandidaten. Nein, der Sender TV Prima, der mit Politik ansonsten herzlich wenig am Hut hat, lässt es richtig krachen. Der ohrenbetäubende Lärm, den die Zuschauer im Studio schon zu Beginn veranstalten, gehört zum Konzept des Duells. Ein "Applausometer" misst bis auf zwei Stellen hinter dem Komma die Lautstärke, mit dem der Einmarsch der beiden vermeintlichen Favoriten der anstehenden Präsidentenwahl beklatscht und begrölt wird.

Eine Wahl nach dem Vorbild von "Tschechien sucht den Superstar", hatte Amtsinhaber Vaclav Klaus misslaunig vorhergesagt, als beide Kammern des Parlaments gegen seine Empfehlung erstmals die Direktwahl des Staatsoberhauptes beschlossen hatten. "Dieser Präsident wird nicht vom Volk gewählt, sondern im Fernsehen gekürt", schwante Klaus. Der Europa-Kritiker und Klimaskeptiker, der mit seinen Ansichten schon manchen seiner Landsleute peinlich wurde und am Mittwoch seinen Abschiedsbesuch in Berlin absolvierte, sollte recht behalten.

Zwar treten am Freitag und Sonnabend insgesamt neun Kandidaten an, Klaus nach zehn Jahren im Amt abzulösen. Der zweifellos Schillerndste unter den Protagonisten ist der Jurist, Maler und Musikprofessor Vladimir Franz, der mit seiner Ganzkörpertätowierung für Furore sorgte. Franz schneidet bei Intellektuellen und Studenten gut ab, aber eben nur bei denen. Prominent ist auch Jiri Dienstbier jr., der Sohn des legendären Außenministers, der mit Hans-Dietrich Genscher 1989 den Grenzzaun durchschnitt. Zwei Frauen sind unter den Kandidaten, die gern an die ganz besondere Präsidentschaft Vaclav Havels anknüpfen würden. Doch TV Prima hält sich an die Umfragen. Und die sehen für einen zweiten Wahlgang in 14 Tagen zwei frühere Regierungschefs weit vorn.

Der eine ist Milos Zeman. Er hatte nach 1989 die lange verbotenen Sozialdemokraten wiederaufgebaut und bis in den Regierungspalast an der Moldau geführt. Zeman war nicht nur Premier und Parlamentspräsident, sondern schon einmal Kandidat für das höchste Staatsamt. Vor zehn Jahren scheiterte er gegen Klaus, weil die eigenen Genossen ihn nicht wollten. Zeman trat danach verbittert aus der Partei aus - und hat nun doch wieder Appetit bekommen. Er war neben Klaus und Vaclav Havel eines der ganz wenigen politischen Schwergewichte in Prag nach 1989. Zeman und Klaus schätzen sich bis heute, obwohl sie ideologisch andere Richtungen verfolgen. Der Respekt füreinander rührt aus der Zeit her, da Klaus Ende der 90er-Jahre die sozialdemokratische Minderheitsregierung Zemans tolerierte, er selbst dafür den Posten des Parlamentspräsidenten abfasste und beide so ziemlich alle Pfründe des Landes unter sich aufteilten. Damit brachten sie große Teile der Öffentlichkeit gegen sich auf, die nicht mehr von Demokratie sprachen, sondern von "Demokratura". Zeman ist auch deshalb heute der Favorit von Klaus, weil er aus der Sicht des amtierenden Präsidenten am ehesten so wie er die "nationalen tschechischen Interessen" verteidigen könnte. Wie gut Zeman das kann, hatte er als Regierungschef bewiesen, als er die Sudetendeutschen als "5. Kolonne" Hitlers verunglimpfte, die sich glücklich hätten schätzen können, dass sie nach dem Krieg "heim ins Reich" gedurft hätten, statt alle an die Wand gestellt zu werden.

Der zweite Favorit ist Jan Fischer. Der hat einst Tschechien die EU-Ratspräsidentschaft gerettet. Mitten in dieser Präsidentschaft hatten die damals oppositionellen Sozialdemokraten den bürgerlichen Premier Mirek Topolanek aus nichtigen Gründen gestürzt. Fischer, seinerzeit Chef des Statistischen Amtes, wurde zum Premier einer Beamtenregierung auserkoren und hielt fortan den Imageverlust für Tschechien in Grenzen. Nach seinem Ausscheiden wurde er mit dem Posten eines Vizechefs der in London ansässigen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung belohnt. Dass Fischer Jude ist, sein Vater für die Nazis Angaben über die tschechischen Juden sammeln musste und Auschwitz nur überlebte, weil er ein begnadeter Mathematiker war, spielt in der Show selbstverständlich keine Rolle. Das wäre zu viel des Guten gewesen. Andererseits stehen alle Kandidaten für das tschechische Präsidentenamt fest an der Seite Israels. Das hängt mit den speziellen tschechoslowakischen Erfahrungen zusammen: schließlich wurde das Land 1938 Hitler geopfert, um - vermeintlich - den Frieden in Europa zu retten. Diese Erfahrung führte Tschechien jüngst dazu, als einziges Land der EU in der Uno-Vollversammlung gegen die diplomatische Aufwertung Palästinas zu stimmen. Eine Linie, die jeder der Kandidaten für das Präsidentenamt weiter verfolgen würde. Und in außenpolitischen Fragen hat der Prager Burgherr durchaus richtungsweisende Kompetenz. Doch das wäre in der Show ganz "harte Politik" gewesen, für die kein Platz vorgesehen war. Schade: Immerhin könnte mit Fischer erstmals in Europa ein Politiker mit jüdischen Wurzeln Präsident werden.

Mit Politik wurde die tosende Menge in der TV-Show jedoch bewusst nicht allzu sehr behelligt. Zeman musste sich für seinen Hang zu verqueren Bonmots und für seine Schwäche für Schnäpse auch schon früh am Morgen rechtfertigen. Es sei besser, einen Präsidenten zu haben, der mal einen Witz macht, als einen, der ständig "wie chronisch magenkrank" herumlaufe, konterte er. Mit seiner möglichen Präsidentschaft drohe zudem kein "Jelzin" auf der Prager Burg: "Ein Alkoholiker ist nicht der, der regelmäßig trinkt, sondern der, der nicht richtig trinken kann."

Fischer, der sich als "unabhängig und überparteilich" präsentiert, hatte zu erklären, weshalb er in seiner Nach-Wende-Bewerbung um das Statistische Amt seine langjährige Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei "vergessen" hatte. "Danach sei in dem Fragebogen nicht gefragt worden", gab er lakonisch unter dem Jubel seiner Fans zum Besten.

Am Ende schlug das "Applausometer" mehr für Fischer aus, was die Zeman-Fans mit wütenden "Betrug"-Rufen quittierten. Bei den Politologen und Journalisten lag dagegen Zeman vorn.

Vielleicht irren sich die Umfragen und Prognosen ja, wie häufig in der Vergangenheit in Tschechien. Geht man nach der Zahl der Fans im Internet, dann hieße der neue Präsident mit großem Abstand Karel Schwarzenberg. Doch bei Facebook tummeln sich deutlich Bessergebildete als der Durchschnitt der Wähler. Und so hat Vaclav Havels ehemaliger Kanzler und jetzige weltweit renommierte Außenminister maximal Außenseiterchancen.

Dem Chefredakteur des Polit-Magazins "Respekt" übrigens kam beim Ansehen der TV-Show die Erleuchtung, weshalb Vaclav Klaus gerade eine großzügige Amnestie erlassen hat. Bei Facebook postete er: "Offenbar sind das alles frisch entlassene Häftlinge, die da im Fernsehstudio rumkrakeelen. Woanders findet man kaum derart viele primitive Menschen."