Laut Muslimbruderschaft stimmen 64 Prozent für islamistisch gefärbten Verfassungsentwurf. Westerwelle fordert Prüfung der Vorwürfe.

Kairo. Die ägyptische Opposition hat erhebliche Zweifel am fairen Ablauf der zweiten Rundes des Verfassungsreferendums angemeldet und eine unabhängige Untersuchung gefordert. „Das Referendum ist nicht das Endspiel. Es ist nur eine Schlacht in diesem langen Kampf für die Zukunft Ägyptens“, hieß es am Sonntag in einer Erklärung der oppositionellen Nationalen Heilsfront. „Wir werden es nicht zulassen, dass die Identität Ägyptens verändert wird oder wir in das Zeitalter der Tyrannei zurückkehren.“

Nach der zweiten Runde der Abstimmung am Sonnabend zeichnete sich ein Sieg der islamistischen Muslimbruderschaft von Präsident Mohammed Mursi ab. Der Verfassungsentwurf sei nach inoffiziellen Ergebnissen mit rund 64 Prozent der Stimmen angenommen worden, teilte die Muslimbruderschaft am Sonntag mit. Offizielle Ergebnisse wurden am (heutigen) Montag erwartet.

Die Nationale Heilsfront reichte jedoch Beschwerde wegen mutmaßlicher Wahlfälschung bei der Generalstaatsanwaltschaft sowie der Wahlkommission ein und forderte eine Untersuchung der Vorwürfe. „Die Ergebnisse des Referendums stehen schon fest, weil es von Manipulation, Rechtsverstößen und Missmanagement geprägt wurde“, hieß es in einer Stellungnahme der Nationalen Heilsfront.

Einige Wahllokale hätten am Samstag später als vorgesehen geöffnet, zudem hätten Islamisten versucht, wartende Wähler zu beeinflussen, berichteten Aktivisten und Anhänger der Opposition. Ein Sprecher der Nationalen Heilsfront, Chaled Dawud, stellte die Ergebnisse des Referendums am Sonntag infrage. „Wir glauben nicht, dass die Ergebnisse, die wahren Wünsche des ägyptischen Volks widerspiegeln“, sagte er.

Im zweiten Durchgang des Referendums am Samstag hatten laut Angaben der Muslimbruderschaft nach Auszählung von 99 Prozent der Stimmen 71 Prozent der Wähler für die neue Verfassung votiert. Die Beteiligung an der zweiten Runde lag den Angaben zufolge bei rund 30 Prozent. Gegen den Entwurf sprachen sich demnach rund 28 Prozent aus. In der ersten Runde der Volksabstimmung am vorvergangenen Samstag hatten sich inoffiziellen Ergebnissen zufolge rund 57 Prozent der Wähler für den Verfassungsentwurf ausgesprochen.

Sollten sich die Prognosen der Muslimbruderschaft bestätigen und die Verfassung angenommen werden, wäre dies ein Sieg für Mursi. Die Partei für Freiheit und Gerechtigkeit, der politische Arm der Muslimbruderschaft, erklärte am Sonntag, die Verabschiedung der Verfassung könne eine „historische Gelegenheit“ sein, Spaltungen zu überwinden und einen Dialog zu beginnen, um Stabilität herbeizuführen.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) äußerte sich angesichts der Betrugsvorwürfe besorgt über die Lage im Land. „Anerkennung wird eine neue Verfassung nur finden können, wenn das Verfahren zu ihrer Annahme über alle Zweifel erhaben ist“, sagte Westerwelle am Sonntag in Berlin. Vorwürfen über Unregelmäßigkeiten müsse deshalb „zügig, transparent und konsequent nachgegangen werden“.

Der Streit um die Verfassung und Mursis Politik hat die ägyptische Gesellschaft tief gespalten. Während die Islamisten Mursis Schritte begrüßen, sind viele andere desillusioniert. Ein Ende der seit Wochen andauernden politischen Krise im Land ist nicht in Sicht. Liberale, Säkulare, Christen und andere Kritiker des Verfassungsentwurfs monieren, er würde dem islamischen Recht, der Scharia, zu viel Raum geben. Sie fürchten, dass Bürgerrechte und Freiheiten nicht ausreichend geschützt werden. In den vergangenen Wochen war es zu massiven Protesten der Opposition gegen das Referendum und die Politik Mursis gekommen. Bei gewaltsamen Ausschreitungen wurden mindestens zehn Menschen getötet, rund tausend wurden verletzt.

Am Sonntag forderten erneut Hunderte Staatsanwälte den Rücktritt des von Mursi ernannten Generalstaatsanwalts Talaat Abdullah. Auf einer Pressekonferenz kündigten sie an, in den Streik zu treten, bis Abdullah sein Amt aufgebe. Zuvor hatten zahlreiche regierungstreue Anwälte für den Verbleib des Generalstaatsanwalts in seinem Amt demonstriert.

Am Sonntag ernannte Mursi zudem 90 neue Mitglieder in dem von Islamisten kontrollierten Schura-Rat, das Oberhaus des ägyptischen Parlaments. Unter den Neuzugängen waren mindestens 25 Islamisten und acht Christen. Auch acht Frauen zählten zu den ernannten Mitgliedern.

Noch am Tag des Referendums trat Vizepräsident Mahmud Mekki zurück. Er habe sein Amt bereits vor einem Monat niederlegen wollen, sei jedoch angesichts der jüngsten Ereignisse im Land an Bord geblieben, hieß es in einer am Samstag im Staatsfernsehen verlesenen Erklärung des gelernten Juristen. Er habe feststellen müssen, dass sich die Politik nicht mit seinem beruflichen Hintergrund als Richter vereinbaren lasse, erklärte Mekki.

Angesichts Mursis Machtkampf mit der Justiz hatten dem Präsidenten zuletzt sieben seiner 17 Topberater den Rücken gekehrt. Wie Mekki hatten sie erklärt, bei keiner der umstrittenen Entscheidungen Mursis vorab konsultiert worden zu sein.