Mehrere Meldungen über Wahlverstöße überschatten auch in der zweiten Runde das Referendum über eine neue Verfassung in Ägypten.

Istanbul/Kairo. Chaotische Zustände und Wahlrechtsverstöße haben in Ägypten auch die zweite und letzte Runde der Volksabstimmung über eine neue Verfassung geprägt. Wahllokale öffneten zum Teil später als vorgesehen, wie Wahlbeobachter und ägyptische Medien berichteten. Wähler seien auch diesmal wieder von Islamisten beeinflusst worden.

Selbst zur Wahlbeteiligung gab es widersprüchliche Berichte. Während im Staatsfernsehen lange Warteschlangen zu sehen waren, berichteten Beobachter von einer geringen Beteiligung gerade in den ländlichen Gebieten.

Der Streit um den von Muslimbrüdern und Salafisten erarbeiteten Verfassungsentwurf hat Ägypten tief gespalten. Die Opposition sieht darin den ersten Schritt in Richtung Gottesstaat. Viele Anhänger von Präsident Mohammed Mursi wünschen sich genau das. Der Streit um die erste Verfassung nach dem Sturz des Langzeitpräsidenten Husni Mubarak hat in dem bevölkerungsreichsten arabischen Land immer wieder zu Massenprotesten und tödlichen Krawallen geführt.

Unterdessen hat der ägyptische Vizepräsident Mahmud Mekki am Sonnabend sein Amt niedergelegt. Er habe sein Rücktrittsgesuch bereits vor einem Monat eingereicht, sei jedoch angesichts der jüngsten Ereignisse an Bord geblieben, hieß es in einer im Staatsfernsehen verlesenen Erklärung Mekkis. Mekki hatte im Vorfeld beabsichtigt, seinen Posten zu räumen, sobald der Verfassungsentwurf verabschiedet sei. In der neuen ägyptischen Verfassung ist das Amt des Vizepräsidenten nicht vorgesehen.

Allerdings schien die Rücktrittserklärung Mekkis darauf hinzudeuten, dass dessen übereilter Rückzug mit der Politik des islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi in Zusammenhang stehen könnte.

In 10 der 27 ägyptischen Provinzen war bereits vor einer Woche abgestimmt worden. Nun sind die rund 25 Millionen Wähler in den restlichen Provinzen an der Reihe – noch bis zum späten Abend sollten sie wählen können. Nach inoffiziellen Ergebnissen stimmten in der ersten Runde 56 Prozent für die Verfassung, bei einer Wahlbeteiligung von rund 30 Prozent. Die Opposition beklagte später, die Muslimbrüder hätten Wahlzettel gefälscht und Wähler bedrängt.

Die revolutionäre Jugendbewegung 6. April, die eigene Beobachter in verschiedene Städte entsandt hatte, beklagte, dass fünf ihrer Mitglieder festgenommen worden seien. In Giseh auf der anderen Nilseite von Kairo, seien Aktivisten abgeführt worden, weil sie die vorzeitige Schließung eines Wahllokals angeprangert hätten. Die Gruppe kritisierte, dass in mehreren Regionen Islamisten die Wähler genötigt hätten, mit Ja zu stimmen. In der nördlichen Stadt Damietta sei dafür sogar Geld geboten worden.

Die ägyptische Zeitung „Al-Ahram“ berichtete von ähnlichen Problemen. So entließ in der Provinz Menufija ein Richter seine Wahlhelfer, weil sie versuchten, Wähler zum Ja zu überreden. Rund 30 Prozent der Ägypter sind Analphabeten, die bei der Abstimmung auf Hilfe angewiesen sind. In einigen Wahllokalen sei Stimmabgabe extrem verzögert worden, da nicht genügend Richter anwesend waren.

Offizielle Ergebnisse sollen frühestens am Sonntag bekanntgegeben werden. Wird der Verfassungsentwurf angenommen, muss innerhalb von zwei Monaten ein neues Parlament gewählt werden. In der zweiten Runde werden mehr Ja-Stimmen als beim Auftakt erwartet, da vor allem in konservativen ländlichen Provinzen gewählt wird.