Der US-Top-Diplomat David Steinberg über Hillary Clinton, Washingtons künftige Rolle in der Welt und die Affäre um David Petraeus.

Hamburg. "Die Affäre um den zurückgetretenen CIA-Chef David Petraeus ist überhaupt kein politischer Skandal. Im Grunde ist dies nur ein kurioser Vorgang, ein reiner Zufallsfund, der Dinge aufgedeckt hat, die normalerweise verborgen bleiben würden", sagt James B. Steinberg. Der schlanke Mann mit dem täuschend jungenhaften Lächeln kennt die politischen Mechanismen in Washington sehr genau. Er war Direktor des politischen Planungsstabes im US-Außenministerium, stellvertretender Nationaler Sicherheitsberater von Präsident Bill Clinton und von Januar 2009 bis zum Juli vergangenen Jahres stellvertretender Außenminister der USA. Er soll Mitautor von Barack Obamas berühmter Nahost-Rede vom Juni 2008 gewesen sein.

Jetzt war Steinberg, Professor an der Universität von Syracuse im US-Staat New York, auf Einladung der Bucerius Law School in Hamburg, der angesehenen privaten Hochschule für Rechtswissenschaft an der Jungiusstraße. Steinberg hielt dort eine Rede zu den transatlantischen Beziehungen.

Bei einem Besuch des Hamburger Abendblatts äußerte sich der frühere Spitzendiplomat zu den Verwerfungen in Washington: "Es stellt sich jetzt natürlich die Frage, unter welchen Umständen das FBI Untersuchungen starten sollte und mit wem man wann Ergebnisse teilen sollte, zum Beispiel mit dem Weißen Haus", sagt Steinberg. Im Kern stehe aber die Frage, was eigentlich von Einzelpersonen in derartigen Positionen erwartet wird. "Vor allem bei David Petraeus geht es um seine Rolle als enorm machtvolles Vorbild und um die Überraschung, dass seine menschliche Seite damit nicht übereinstimmt." Steinberg meint, dass Präsident Obama zwar einen talentierten Mann verloren habe, dass ihn diese Sache politisch aber nicht beschädigen werde.

Die aktuelle Sicht vieler Europäer auf die USA als "amerikanischer Patient" und als schwindende Macht sei total falsch, sagt der 59-Jährige. Die US-Wirtschaft laufe wieder gut, die Demografie mit einer jungen Bevölkerung spreche stark für die USA, und es gebe viele amerikanische Innovationen. "Sehen Sie sich um und gucken Sie mal, wer am besten für das 21. Jahrhundert aufgestellt ist - und Sie finden keinen Besseren als die USA. Ich habe viel Zeit in Asien verbracht, und ich kann Ihnen versichern: Bei allen Schwierigkeiten, die wir haben - ich würde ganz sicher nicht mit China tauschen wollen!"

Man sagt doch aber, das 20. Jahrhundert war das amerikanische, das 21. werde das asiatische sein ... "Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass die USA für das 21. Jahrhundert weniger wichtig sein werden, als sie es für das 20. waren", sagt Steinberg mit Nachdruck. "Wenn sie mit Leuten in Asien reden, stoßen Sie sogar auf Ängste, dass die USA sich dazu entschließen könnten, weltpolitisch eine geringere Rolle zu spielen. Ich komme gerade aus Korea. Dort ist man überzeugt davon, dass nur eine starke Rolle der USA in Asien die Koreaner dazu befähigt, fruchtbare Beziehungen zu China zu unterhalten, ohne gleich dominiert zu werden."

Was die Rolle der USA in der Welt betrifft, hat Steinberg zwei Kernsätze: Erstens können die Probleme der Welt - wie Terrorismus, Klimawandel, Wirtschaftswachstum, nukleare Proliferation, Energiesicherheit usw. - nur in enger Kooperation gelöst werden, nicht unilateral. Zweites bedarf es dazu der Führung. Diese Führung muss effektiv sein, dürfe aber die Interessen der anderen Partner nicht vernachlässigen. Das sei der Anspruch von Obama.

Nun ist die US-Außenpolitik der letzten Jahre stark von Hillary Clinton geprägt worden. Doch sie hat ihren Rücktritt angekündigt. Warum - bereitet sie sich schon auf eine Präsidentschaftskandidatur vor? "Ich kann Ihnen versichern, dass sie im Moment daran überhaupt nicht denkt. Sie tritt zurück, weil das ein enorm schwieriger und unglaublich fordernder Job ist. Sie ist an einem Punkt angekommen, an dem sie sich mit Recht sagt: Mehr als bisher schon kann ich nicht mehr geben; jetzt sollte mal jemand anderer übernehmen. Sie hat enormen Einfluss als Außenministerin und ist sehr erfolgreich."

Was für ein Mensch ist sie denn? "Sie ist eine tolle Kombination aus ungeheurer weltpolitischer Erfahrung und Menschlichkeit. Sie kann auf ganz normale Menschen zugehen und sofort eine Beziehung zu ihnen herstellen. Und sie hat viel Humor. Das alles spielt für dieses Amt eine sehr wichtige Rolle. Sie können ein Experte in Außenpolitik sein, wenn Sie nicht mit Menschen kommunizieren können, nützt Ihnen das gar nichts." Der Ansicht, dass Hillary Clinton oft hart, wie ein Machtmensch, wirke, tritt Steinberg entschieden entgegen: "Das ist sie ganz und gar nicht! Sie ist witzig, warmherzig und locker. Und sie ist ungeheuer beliebt bei den Leuten des Außenministeriums und des diplomatischen Dienstes. Es ist toll, mit ihr zusammenzuarbeiten."

Dann stellt sich natürlich die Frage, warum er diesen Job aufgegeben hat. "Ich habe ein zehnjähriges und ein achtjähriges Kind", sagt David Steinberg lächelnd. "Und ich hatte einen Deal mit ihnen abgeschlossen, als ich nach Washington ging: zwei Jahre. Und dann wurden es zweieinhalb. Es gibt vieles im Leben, das einen bereichert, aber nichts so wie die eigene Familie. Ich könnte jetzt nicht glücklicher sein - wenn ich nach den Vorlesungen nach Hause komme, helfe ich ihnen mit den Hausaufgaben und fahre sie zum Sport und zum Klavierspielen. Ich möchte nicht, wenn sie mal 20 sind, zurückblicken und sagen: Ich habe ihre ganze Kindheit verpasst."

Steinberg trägt einen Schlips mit Noten darauf - ein Geschenk seiner Kinder. Er trägt diese Krawatte stets, wenn er von ihnen getrennt ist.