Abgeordnete befürchten, dass die Bundeswehr in einen neuen bewaffneten Konflikt mit bisher völlig unabsehbaren Folgen gerät.

Berlin. Seit ein paar Tagen wird über ein neues Thema gesprochen im Politikbetrieb der deutschen Hauptstadt. Die Abgeordneten des Bundestags sind geübt darin, sich schnell in unbekannte Sachverhalte einzuarbeiten, aber diesmal geht es um einen besonders exotischen: Die Lage in Mali, einem Land am südlichen Rand der Sahara, fast viermal so groß wie Deutschland. Im März hatten von der Terrororganisation al-Qaida im Maghreb unterstützte Islamisten das Chaos im Zuge eines Militärputsches in der Hauptstadt Bamako genutzt, um die Macht im Norden des Landes zu übernehmen.

Jetzt kontrollieren die Rebellen ein Gebiet von der Fläche Frankreichs und sind dabei, einen Gottesstaat nach den Regeln der Scharia aufzubauen. Radikale Islamisten aus aller Welt sind dem Ruf al-Qaidas, den Kampf vor Ort zu unterstützen, bereits gefolgt. Anfang der Woche diskutierten die Außen- und Sicherheitspolitiker der Fraktionen in ihren Arbeitsgruppen erstmals über das Thema, am Mittwoch unterrichtete Gerhard Schindler, der Präsident des Bundesnachrichtendienstes, die Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses detaillierter über die Lage in Westafrika. Seitdem finden viele Abgeordnete Mali nicht mehr sonderlich exotisch, sondern vor allen Dingen gefährlich. Und so einige Parlamentarier schüttelten den Kopf über die Bundesregierung, die ihnen das Thema beschert hatte.

In enger Abstimmung hatten Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU), Außenminister Guido Westerwelle (FDP) und Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) beschlossen, dass die Bundeswehr in Mali helfen müsse. "Freiheitliche demokratische Staaten können nicht akzeptieren, dass der internationale Terrorismus ein sicheres Rückzugsgebiet erhält", begründete Merkel die Aussicht der deutschen Streitkräfte auf einen neuen Einsatz. Wenn in Mali "ein sicherer Hafen gebaut werden kann für den Terrorismus der Welt", sagte Westerwelle, dann gefährde das auch Europa. Und Niebel warnte: "Mali ist ein Land am Abgrund. Wenn wir es verlieren, dann droht uns ein zweites Afghanistan." Dies zu verhindern sei ein fundamentales Interesse Deutschlands.

Alle Regierungsmitglieder versicherten, es gehe nicht um einen Kampfeinsatz, sondern um eine Ausbildungsmission unter dem Dach der Europäischen Union. Die Aufgabe einer militärischen Intervention im Norden Malis würden die Regierungstruppen aus Bamako und 3000 Soldaten der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas übernehmen. Die Europäer wollten den Afrikanern lediglich mit Geld und Logistik zur Seite stehen. "Im Moment steht noch gar nichts zur Entscheidung", sagte der parlamentarische Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Thomas Kossendey (CDU), der "Welt". Erst wenn die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton bis zum 19. November ein Einsatzkonzept vorgelegt habe, könnten sich die EU-Länder überlegen, wie und womit sie sich an einer Mission in Mali beteiligten. "Unser erstes Ziel ist eine politische Übereinkunft, keine militärische Intervention", betonte Kossendey. Und er versprach: "Sobald wir damit rechnen müssen, dass unsere Soldaten dort Waffen einsetzen müssen, ist ein Bundstagsmandat nötig." Der Verteidigungsminister stehe deswegen in gutem Kontakt mit dem Außenminister. Dessen Haus teilte mit, dass die Mission auch nicht unbedingt in Mali stattfinden müsse, sondern auch in einem Nachbarland angesiedelt werden könne.

Doch nicht alle Abgeordneten glauben diesen Beschwichtigungen. Die FDP-Verteidigungsexpertin Elke Hoff zum Beispiel fordert zunächst ein "nüchternes und ehrliches Lagebild". Vor dem Hintergrund der Erfahrungen in Afghanistan dürfe man "nicht in einen Einsatz hineinstolpern, dessen politische Ziele unklar sind und für den wir keine Exit-Strategie haben", sagte Hoff der "Welt". "Nach zwölf Jahren Erfahrung in einem asymmetrischen Konflikt sollten wir uns klarmachen, wo die Grenzen militärischen Handelns liegen." Bevor sich Deutschland an einer Mission in Mali beteilige, müssten Ziel, Dauer, Zweck und der politische Endstatus feststehen. Außerdem müsse geklärt sein, womit und wofür die schlecht ausgerüsteten und demoralisierten malischen Streitkräfte, deren Zahl auf 2000 geschätzt wird und die einer demokratisch nicht legitimierten Regierung unterstehen, überhaupt ausgebildet werden sollten: für Aufstandsbekämpfung, für territorialen Schutz oder für Stabilisierung. Hoff warnte: "Man sollte auch immer die mögliche Reaktion des Gegners mit einbeziehen."

Nicht nur im politischen Raum, auch beim Bundeswehrverband gibt es eine ausgeprägte Skepsis gegenüber dem Einsatz. "Uns treibt die Sorge um, dass die Bundeswehr wieder einmal unüberlegt und verantwortungslos in einen Einsatz entsendet wird, der Teil einer nur lückenhaften politischen Konzeption ist", sagte der stellvertretende Bundesvorsitzende André Wüstner der "Welt". Der Major gab zu bedenken, dass der Begriff "Ausbildung" auch in Afghanistan am Anfang stand. "Dieser Begriff verschleiert das, was auf die Bundeswehr auch in Mali zukommen kann, nämlich eine direkte Verwicklung in kriegerische Auseinandersetzungen." Außerdem stecke die Armee mitten in der Neuausrichtung. "Die Belastungsgrenze der Bundeswehr ist deswegen schon lange erreicht."

Schließlich mutmaßte Wüstner, dass die Regierung nicht nur die Bekämpfung des Terrors im Auge hat: "Geht es hier vor allem um das Tilgen des Libyen-Makels? Soldaten fragen sich berechtigt, ob die Regierung sie mal wieder aus allgemein bündnispolitischen Gründen in die Wüste schickt - oder weil alleine Frankreich es so will." In Libyen hatte sich Deutschland nicht an der internationalen Militärintervention beteiligt - und war dafür von den Bündnispartnern kritisiert worden. Die Bundesregierung weist den Vorwurf einer kompensatorischen Entscheidung allerdings weit von sich.

Nicht von der Hand weisen lässt sich allerdings Wüstners Hinweis, dass vor allem die ehemalige Kolonialmacht Frankreich in Mali besondere Interessen verfolgt. Seit geraumer Zeit sitzen sechs französische Geiseln dort fest. Viele Staatsbürger leben in der Region und gelten den Sicherheitsbehörden in Paris als von weiteren Entführungen besonders bedroht. Außerdem wird befürchtet, dass insbesondere Islamisten aus Frankreich sich in malischen Terrorlagern ausbilden lassen könnten, um anschließend in der Heimat Anschläge zu begehen. Die USA haben die besondere Motivation Frankreichs jedenfalls erkannt: Laut "Washington Post" hat die US-Regierung ihren Partner in Paris damit beauftragt, die Rolle des Anführers in der Krisenregion zu übernehmen - und die europäischen Verbündeten zum Mitmachen zu bewegen.