US-Präsident traf vor der Vollversammlung den richtigen Ton, um eine Konfrontation des Westens mit der muslimischen Welt zu verhindern.

New York. Der Konflikt schien programmiert: Seitdem das islamfeindliche Video über den Propheten Mohammed blutige Gewalt von Libyen bis Pakistan provozierte, lag ein Kräftemessen zwischen westlichen und muslimischen Ländern bei den Vereinten Nationen in der Luft.

Als Schauplatz bot sich die Aussprache der Staats- und Regierungschefs in der Uno-Vollversammlung in New York an: eine Plattform für Staatsmänner, die der Welt ihre Botschaft kundtun wollen. Die Aussprache, offiziell Generaldebatte genannt, begann unter starken Sicherheitsvorkehrungen am Dienstag. Bis Donnerstag kamen die wichtigsten Präsidenten und Premierminister zu Wort.

Vor dem Auftakt der Generaldebatte hatte der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan gedroht, man werde ein Vorgehen der Weltorganisation gehen Islamophobie verlangen. Die Uno sollten Islamfeindlichkeit weltweit ächten, verlangte er. Doch viele westliche Regierungen hätten einer solchen Initiative nicht zustimmen können. Denn die Meinungsfreiheit in ihren Ländern erlaubt auch Kritik am Islam.

Erdogan musste seine Reise nach New York absagen. Der US-Präsident aber kam. Barack Obama sprach gleich zu Beginn der Generaldebatte. Und er traf in einer vielbeachteten Rede genau den richtigen Ton, um eine Eskalation der Auseinandersetzung in letzter Minute zu verhindern.

Obama verurteilte das in den USA produzierte Video als „krudes und abscheuliches“ Machwerk. Und er bekundete seinen Respekt für den Islam. „Die Zukunft darf nicht denen gehören, die den Propheten des Islam verunglimpfen“, unterstrich der US-Präsident.

Zugleich machte Obama klar, dass nicht nur eine Religion Respekt verdient: Auch die Verunglimpfung von Jesus Christus müsse verurteilt werden. Und es dürfe keine Gewalt im Namen der Religion geben: „Kein einziges Wort darf das Töten unschuldiger Menschen rechtfertigen.“ Offene Gesellschaften mit Meinungsfreiheit müssten eine Herausforderung wie diesen üblen Film aushalten.

Bei Attacken gegen US-Einrichtungen in Libyen kamen Amerikaner ums Leben, auch in Pakistan starben Menschen bei den Protesten gegen das Schmähvideo. Obama erntete Applaus – ein ungewöhnlicher Vorgang im steifen Umfeld der Vereinten Nationen. Diplomaten betonten: „Obama hat mit seinen klaren Worten ein Meisterwerk der Diplomatie geliefert.“

In der Tat verzichteten die islamischen Uno-Mitglieder auf eine Kraftprobe mit den westlichen Ländern. Der große Zusammenprall blieb aus – das von der Türkei verlangte internationale Vorgehen gegen Islamfeindlichkeit blieb Theorie.

Stattdessen dominierten verbindliche Töne. So überraschte etwa der Präsident Pakistans, Asif Ali Zardari, mit einer nachdenklichen Rede. Pakistan war in jüngster Zeit immer wieder wegen seines Blasphemiegesetzes in die Schlagzeilen geraten, das oft zur Verfolgung von Christen, aber auch von gemäßigten Muslimen genutzt wird.

Zardari zitierte aus einer Rede seiner Frau Benazir Bhutto, die von Extremisten ermordet wurde: „Ich träume von einem Jahrtausend der Toleranz und des Pluralismus, in dem die Menschen sich gegenseitig respektieren, in dem Nationen sich gegenseitig respektieren und in dem Religionen sich gegenseitig respektieren.“

Auch Ägyptens Präsident Mohammed Mursi streckte die Hand zur Versöhnung aus. Mursi, ein gemäßigter Islamist, der seit kurzem das höchste Staatsamt des größten arabischen Landes bekleidet, warb für ein friedliches Nebeneinander unterschiedlicher Kulturen. Dabei müssten die Menschen ihre verschiedenen Hintergründe tolerieren.

„Vielleicht ist ein Witz eines Landes nicht so lustig in einem anderen Land. Das ist das Wesen der Kultur“, sagte Mursi. Er wählte für seine Worte nicht das weite Rund der Uno-Vollversammlung, sondern sprach bei einem Treffen, das der frühere US-Präsident Bill Clinton jedes Jahr parallel zur Vollversammlung ausrichtet.

Ob allerdings der Frieden der Religionen in den Vereinten Nationen von Dauer ist, ist nicht sicher. Diplomaten westlicher Länder gaben zu bedenken: Wenn das nächste Schmähvideo oder andere Verunglimpfungen gegen den Islam publik werden, könnte die Wut der Muslime wieder hochkochen – und die Uno erreichen. „Wir müssen sehen, ob sich die muslimischen Staaten dann wieder beruhigen lassen“, urteilte ein Diplomat.