Atomstreit: Versöhnliche Geste Ahmadinedschads - haben die Mullahs ihm die Feder geführt? Teheran analysiert die “Wurzeln der Probleme“ - und hat Drohungen in der Hinterhand.

Hamburg. Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad gilt im Westen nicht eben als Idealbild des verantwortungsbewußten Staatslenkers. Spätestens seine Forderung, Israel müsse "von der Landkarte getilgt" werden, hat ihn zum politischen Paria gestempelt.

Um so überraschender kommt der Schachzug des früheren Pasdaran-Kommandeurs, ausgerechnet seinem Erzfeind, dem "großen Satan", personifiziert durch George W. Bush, einen Brief zu schreiben. Noch ist nicht bekannt, was genau in dem Schreiben steht. Irans Außenamt formulierte eine diffuse Mitteilung über "neue Wege" zur Lösung des Atomkonflikts. Regierungssprecher Gholamhossein Elham verriet, darin analysiere Ahmadinedschad die "Weltlage mit ihrem fragilen Status quo" und die "Wurzeln der Probleme".

Der Brief wurde gestern der Schweizer Botschaft in Teheran übergeben, mit der Bitte, ihn nach Washington weiterzuleiten. Bern vertritt im Iran auch die Interessen der USA. Denn nach der Geiselnahme in der Teheraner Botschaft und dem amerikanischen Befreiungs-Fiasko 1979 brachen beide Seiten ihre diplomatischen Beziehungen ab.

Allein die Tatsache, daß Ahmadinedschad sich nach 27 Jahren des Schweigens zwischen den Staaten persönlich an Bush wendet, könnte dafür sprechen, daß Teheran keine weitere Eskalation anstrebt. Allerdings könnte der Brief dem sprunghaften Präsidenten von den Mullahs diktiert worden sein, die ihm de facto vorgesetzt sind. Es heißt, sie seien beunruhigt darüber, daß nun auch die bisher wohlwollend agierenden Deutschen, Briten und Franzosen allmählich die Geduld verlören.

Die Frage ist nun, ob der US-Präsident das Schreiben eines Mannes ernst nimmt, der den Holocaust leugnet. Bislang deutet wenig darauf hin, daß der Iran die Forderungen nach einem Stopp seines Anreicherungsprogramms erfüllen will.

Sollte der Brief keine neue Lage herstellen, droht eine Konfrontation. Über welche Möglichkeiten verfügt der Iran dann, um sich zu wehren? Wenn man das Szenario eines militärischen Angriffs gegen iranische Atomanlagen einmal ausschließt - Experten warnen vor einer unkontrollierten Eskalation und dem Fanatismus schiitischer Selbstmordattentäter -, dann bleiben politische, wirtschaftliche und terroristische Mittel.

  • Zunächst kann Teheran die wirtschaftliche Verflechtung um Öl und Waffen in Milliardenhöhe mit den Veto-Mächten Rußland und China instrumentalisieren, um Sanktionen im Sicherheitsrat auszuhebeln. Sollten tatsächlich Uno-Sanktionen gegen Teheran verhängt werden, könnte der Iran die Drohung wahrmachen und seine Mitgliedschaft beim Atomwaffensperrvertrag kündigen. Unangemeldete Kontrollen der iranischen Atomanlagen durch die IAEO wären dann unmöglich.
  • Die wirtschaftlich schärfste Waffe des Iran ist das Öl. Würde Teheran den Rohstoff schrittweise vom Markt nehmen, hätte dies massive Preissteigerungen zur Folge. Auf längere Sicht würde dies aber auch dem Land selbst schaden: Nach Schätzungen bringen die Öleinnahmen gut die Hälfte des Staatshaushalts. Bliebe eine Behinderung oder gar Blockade der Schiffahrt in der Straße von Hormus. Durch diese Hauptschlagader wird ein Drittel des weltweiten Rohöls transportiert. Sie abzuschnüren riskierte eine militärische Eskalation.
  • Drittens könnte Teheran mit den Terrorgruppen den Blutzoll für den Westen und für Israel massiv erhöhen. Dies betrifft sowohl die schiitischen Gruppen im Irak, verbündete Freischärler in Afghanistan als auch die vom Iran finanzierte Hisbollah in Südlibanon an der Grenze zu Israel.