Syrische Streitkräfte greifen auch das Volk an. Aber die Rebellen missbrauchen Bürger als Schutzschilde und haben logistische Probleme.

Aleppo. "Wir haben uns zurückgezogen", rief ein Rebell aufgeregt am Rande von Salaheddine, dem seit Wochen umkämpften Stadtteil im Südwesten von Aleppo. Die Checkpoints der Freien Syrischen Armee (FSA) blieben dort gestern zum ersten Mal unbesetzt. Bisher hatte sie jeden Angriff der Truppen Baschar al-Assads zurückgeschlagen.

Obwohl sie Tag und Nacht unter Artilleriebeschuss stand und aus der Luft bombardiert wurde. Nun scheint eine Bodenoffensive der Regimetruppen maßgeblichen Geländegewinn gebracht zu haben.

Das syrische Staatsfernsehen meldete, man habe "Salaheddine unter Kontrolle und die meisten der Terroristen getötet". Behauptungen, denen die FSA sofort widersprach. Dann aber zugab: "Einige Teile von Salaheddine werden von der FSA und dem Regime kontrolliert."

Am Ende sprach man, wie schon im vergangenen Mai in Homs und im Juli in Damaskus, von einem "taktischen Rückzug". Grund dafür ist nicht alleine die brutale Wucht, mit der die Regierungssoldaten Assads mit Panzern und Luftangriffen vorgingen. Die Rebellen hatten logistische Probleme: "Der Nachschub an Munition lief, aber zu langsam", wie Rebellenkommandeur Abu Salim bestätigte.

+++ Es wird einsam um Präsident Baschar al-Assad +++

+++ Syrische Rebellen kämpfen um jeden Meter in Aleppo +++

Noch wird in den Außenbezirken Salaheddines weitergekämpft. Aber der Verlust des Stadtteils wäre bitter für die Rebellen und den Geist der Revolution. Abgesehen von seiner strategischen Bedeutung als vorderste Front im Kampf gegen die syrischen Armee hat das Viertel vor allen Dingen symbolische Bedeutung: Als die FSA Teile Aleppos am 20. Juli eroberte, trafen die unterschiedlichen Milizen aus der Region dort aufeinander und gründeten die "Union der Vereinigung".

"Eigentlich konnte man nichts anderes erwarten", sagte Ahmed, ein Oppositionsaktivist, der die Webseite "Unsere Stadt Aleppo" unterhält. "Das Regime ist militärisch überlegen und uns fehlt es an Waffen." Man bräuchte vor allen Dingen Luftabwehrraketen gegen die Kampfhubschrauber und Militärflugzeuge. Bisher lieferten Saudi-Arabien und Katar, die Hauptunterstützer der Rebellen, nur Gewehre und Panzerabwehrwaffen. Eine FSA-Quelle sagte aber der "Welt", dass rund 20 SAM-7 eingetroffen seien. Woher sie stammten, wusste sie nicht. Diese Luftabwehrwaffe, die auch bei Terroristen sehr beliebt ist, wird von der Schulter aus abgeschossen und trifft automatisch entlang der Hitzeausstrahlung ins Zielobjekt.

Die SAM-7 könnten aus Libyen stammen. Nach dem Fall des Diktators Muammar al-Gaddafi verschwanden viele Tausende der insgesamt auf 20 000 Stück geschätzten Waffen. Libyen hat den Syrischen Nationalrat als erstes Land offiziell anerkannt. Libyer kämpfen an der Seite ihrer "syrischen Brüder" gegen das Assad-Regime.

Der Bekannteste von ihnen ist Mehdi al-Hatari. Er ist einer der Anführer der Liwan al-Islam. Diese Brigade kämpft in der Stadt Idlib, keine 70 Kilomter von Aleppo entfernt. Al-Hatari war in Tripolis der Stellvertreter von Abdelhakim Belhadsch, dem Militärchef der libyschen Hauptstadt. Belhadsch führte als Emir die Libysche Kampfgruppe (LIFG) an und kämpfte aufseiten der Taliban sowie al-Qaidas in Afghanistan und im Irak.

Der Rückzug aus Salaheddine dürfte die Euphorie der FSA etwas dämpfen. Die Kämpfer glaubten, im Zentrum Aleppos die Zitadelle, den höchsten Punkt der Stadt, innerhalb der nächsten zwei Tage erobern zu können. "Die sieben Scharfschützen auf dem Turm hungern wir dann einfach aus, wie wir das in Azaz gemacht haben", meinte Kommandant Abu Hatim. In der Grenzstadt zur Türkei hatte ein Scharfschütze zwei Wochen auf dem Minarett der Moschee ausgehalten, bevor er aufgab.

Die von der syrischen Armee besetzte Zitadelle von Aleppo ist eines der letzten großen Hindernisse auf dem Weg zum Sadallah-Platz. Mit der Eroberung dieses Platzes im Herzen der Industriemetropole glaubte man den Fall des Regimes provozieren zu können. Stattdessen wird der Stadtteil Bab al-Hadid von Assad-Soldaten beschossen. Auch in allen anderen Vierteln der größten Stadt Syriens werden Rebellenstellungen angegriffen.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (ai) hat im Zeitraum vom 23. Juli bis zum ersten August mehr als 600 Krater gezählt. Es sollen Einschläge von Artilleriegranaten sein, wie auf Satellitenbildern zu erschließen ist. "Wir sind besorgt über die Stationierung schwerer Waffen in Wohngebieten in und um Aleppo", verlautbarte ai. Das führe zu Menschenrechtsverletzungen und Verstößen gegen internationales Recht. Beide Konfliktparteien könnten vor Gericht dafür verantwortlich gemacht werden, Zivilisten nicht zu beschützen.

Von der syrischen Armee weiß man, dass sie keine Rücksicht auf das Leben von Zivilisten nimmt. Wahllos werden Wohngebiete beschossen und der Tod des eigenen Volkes in Kauf genommen. Umso unverständlicher ist es, dass die Rebellen nicht mehr Verantwortung gegenüber den Einwohnern in Aleppo zeigen. Das Hauptquartier in al-Sahur lag inmitten eines dicht besiedelten Wohngebiets, und ein Krankenhaus grenzte unmittelbar an die Militärbasis. Ein Standort, der elf Zivilisten das Leben kostete. Eine Bombe der syrischen Luftwaffe traf ein Wohnhaus hinter der Kommandozentrale. Das neue Hauptquartier der FSA liegt keine zehn Fahrminuten entfernt. Erneut in einer ehemaligen Schule, mitten in einem Wohngebiet. Zwischen den Wohnblöcken liegen Rasenflächen. Kleine Kinder spielen im Gras. Über ihnen kreist seit einigen Minuten ein Kampfflieger. Diesmal fliegt er weiter, aber er wird sicher wiederkommen. Ob die spielenden Kinder dann überleben, ist ungewiss. Es scheint, als würde die FSA ihren Tod billigend in Kauf nehmen.

Nach Unterdessen haben die Rebellen eine Gegenoffensive angekündigt. „Wir haben uns im benachbarten Stadtteil Sukkari neu gesammelt und bereiten einen Gegenangriff vor“, sagte der örtliche FSA-Kommandeur Abu Omar. Die Einheiten der Rebellen-Armee FSA mussten sich nach heftigen Kämpfen aus dem südwestlichen Stadtviertel Salaheddin zurückziehen.

Mit Material von dpa