Im Kampf um Aleppo gehen die syrischen Streitkräfte offenbar auch gegen friedliche Demonstranten mit brutaler Gewalt vor. Dutzende junger Männer, aber auch einige Kinder sowie ältere Personen seien von Regierungstruppen oder verbündeten Milizen erschossen worden.

Aleppo/London. Amnesty International erhebt erneut schwere Vorwürfe gegen das Regime des syrischen Staatschefs Baschar al-Assad. Syriens Regierung sei verantwortlich für schwere Menschenrechtsverletzungen beim Kampf um die Hafenstadt Aleppo und die umliegenden Gebiete, heißt es in einem Bericht der Organisation, der am Mittwoch in London veröffentlicht wurde. In Syriens größter Stadt liefern sich Regierungstruppen und die Opposition seit Tagen schwere Gefechte. Die syrische Armee setzt auch Kampfflugzeuge und Panzer ein, um den Aufstand niederzuschlagen.

„Der derzeitige brutale Angriff auf die Stadt Aleppo, der Zivilisten noch mehr gefährdet, ist eine vorhersehbare Entwicklung, die dem beunruhigenden Muster von Misshandlungen durch die staatlichen Kräfte im ganzen Land folgt“, erklärte Donatella Rovera von Amnesty International. Für den Bericht sammelte sie während mehrerer Wochen Informationen in Nordsyrien. Amnesty forderte erneut die internationale Gemeinschaft auf, die Verantwortlichen für die Menschenrechtsverletzungen in Syrien vor ein internationales Gericht zu stellen.

Aleppo, Syriens Wirtschaftsmetropole, war bis Mai relativ ruhig - anders als andere Landesteile, in denen die Opposition seit über 16 Monaten im Aufstand gegen das Regime ist. Nach UN-Angaben flohen bislang rund 18.000 Menschen vor den Kämpfen aus der Stadt.

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Im Kampf um Aleppo gehen die syrischen Streitkräfte offenbar auch gegen friedliche Demonstranten mit brutaler Gewalt vor. Dutzende junger Männer, aber auch einige Kinder sowie ältere Personen seien von Regierungstruppen oder verbündeten Milizen erschossen worden, teilte Amnesty mit. „Einige der Opfer waren Zuschauer, die gar nicht an den Demonstrationen teilgenommen hatten“, hieß es in einem neuen Bericht. Die Familien der Toten seien genötigt worden, in Stellungnahmen zu versichern, dass ihre Angehörigen von „bewaffneten terroristischen Gruppen“ getötet wurden.

Die humanitäre Lage in der Stadt spitzte sich unterdessen weiter zu. Aktivisten berichteten von schwindenden Lebensmittelvorräten und einer allenfalls noch sporadisch vorhandenen Energieversorgung. Die seit elf Tagen anhaltenden Gefechte zwischen Regierungstruppen und Rebellen trieben am Dienstag weitere Scharen von Bewohnern in die Flucht. Kampfhubschrauber des Regimes setzten den Beschuss von Rebellenhochburgen unvermindert fort.

In einem Bericht der amtlichen Nachrichtenagentur SANA hieß es, die Regierungstruppen verfolgten „Überreste einer bewaffneten terroristischen Gruppierung“ und hätten diesen schwere Verluste zugefügt. Die Rebellen widersprachen jedoch der Darstellung und berichteten von einzelnen Geländegewinnen in umliegenden Gebieten.

Unterdessen übte der Generalsekretär der Arabischen Liga scharfe Kritik an der Gewalt. „Die Massaker in Aleppo und anderen Orten Syriens kommen Kriegsverbrechen gleich und sind nach internationalem Recht strafbar“, erklärte Nabil Elarabi nach einem Treffen im Kairoer Hauptquartier der Liga.

Derweil wuchs im Westen die Sorge vor einem Zustrom ausländischer Extremisten nach Syrien, wie ein mit geheimdienstlichen Ermittlungen vertrauter Diplomat mitteilte. Kämpfer aus Tschetschenien, dem Jemen, Libyen, dem Irak, Afghanistan und Pakistan hätten sich den Rebellen angeschlossen, um gegen das Assad-Regime in den Heiligen Krieg zu ziehen. Die Extremisten kämen über den Irak und Libanon ins Land. Der Bürgerkrieg in Syrien dürfte sich aus Sicht der meisten Beobachter noch lange hinziehen, sagte der Diplomat weiter. (epd/dapd)