Im verbissenen Kampf um die syrische Millionenstadt Aleppo zahlen die Zivilisten den höchsten Preis. Schon 200.000 Menschen haben die Flucht angetreten.

Damaskus/Beirut. Der zähe Kampf um die nordsyrische Metropole Aleppo jagt Hunderttausende Menschen aus der Stadt. Allein am vergangenen Wochenende sind rund 200 000 Menschen aus dem Großraum geflohen, schätzt das UN-Flüchtlingshilfswerk. Die Aufständischen kämpften sich am Dienstag nach eigenen Angaben Richtung Stadtzentrum voran. Das Militär beschoss die Viertel in Rebellenhand mit Artillerie und Hubschraubern. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon appellierte an beide Seiten, das Blutvergießen sofort zu stoppen. Hilfsorganisationen schlagen Alarm: Es fehlt Geld für schnelle Hilfe.

Mindestens 40 Polizisten sollen nach Angaben der Syrischen Menschenrechtsbeobachter in Aleppo getötet worden sein, als Hunderte Rebellen in mehrstündigem Kampf zwei Polizeistationen in den Vierteln Salihin und Bab al-Nairab eroberten. „Wir schieben nun die Front in Richtung Stadtzentrum vor“, sagte Abu Omar al-Halebi, ein örtlicher Kommandeur der oppositionellen Freien Syrischen Armee (FSA), der Deutschen Presse-Agentur am Telefon.

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Nach Halebis Darstellung attackierten die Kämpfer am Dienstag weitere zentrale Einrichtungen des Regimes von Machthaber Baschar al-Assad, darunter das Militärkrankenhaus und das Hauptquartier der herrschenden Baath-Partei. Die Angaben lassen sich von unabhängiger Seite nicht überprüfen, weil Journalisten und andere Beobachter unter den Kriegsbedingungen kaum arbeiten können.

Die Regierungstruppen versuchen seit Samstag, die Aufständischen mit massivem Militäraufgebot aus der strategisch wichtigen Handelsstadt Aleppo zurückzudrängen. Bisher scheint das Regime vor allem auf Bombardements aus der Luft und Artilleriebeschuss zu setzen, um die FSA-Kämpfer in ihren Stellungen mürbe zu machen.

Die unübersichtlichen Fronten ziehen sich mitten durch Wohngebiete. Die in der Stadt Zurückgebliebenen suchten zu Tausenden Schutz in Moscheen und öffentlichen Gebäuden, sagte die Sprecherin des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR), Melissa Fleming, in Genf.

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In der Hauptstadt Damaskus attackierten die Aufständischen nach eigenen Angaben Kontrollpunkte der Sicherheitskräfte beim palästinensischen Flüchtlingslager Jarmuk und in den Stadtteilen Al-Tadamun und Al-Kassas. Dabei setzten sie automatische Waffen und Panzerfäuste ein, wie Aktivisten berichteten. Die Regimetruppen versuchten, die Rebellen mit Artillerie auf Distanz zu halten.

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon forderte erneut ein sofortiges Ende des Blutvergießens und warnte vor einem religiös motivierten Bürgerkrieg. „Weitere Kämpfe sind nicht die Antwort. Eine weitere Militarisierung dieses Konflikts wird nur die Zerstörungen endlos fortführen und das Leid verlängern“, sagte der UN-Generalsekretär am Montag (Ortszeit) vor Journalisten in New York.

„Ein religiös motivierter Bürgerkrieg würde außerdem auch die Nachbarn Syriens ernsthaft gefährden“, warnte er. Mittlerweile leiden nach Angaben der Vereinten Nationen mindestens zwei Millionen Syrer unter der Gewalt im Land.

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EU-Kommissarin Kristalina Georgieva forderte Gefechtspausen, damit sich Zivilisten ohne Furcht um ihr Leben aus den Kampfgebieten retten können. „Syrien gleitet in eine humanitäre Tragödie gewaltigen Ausmaßes ab“, sagte sie in Brüssel.

Für die dringend benötigte humanitäre Hilfe fehlt das Geld. Der Leiter des Berliner Büros des Welternährungsprogramms (WFP), Ralf Südhoff, sagte im Deutschlandradio, seine Organisation brauche allein 100 Millionen Euro, um die akute Not zu lindern. Bisher habe man allerdings erst etwa 30 Millionen Euro zusammen. „Anderen Hilfsorganisationen geht es kaum besser“, sagte Südhoff.

Mit Material von dpa