Haben die Schotten den Mann gehen lassen, um einen BP-Deal nicht zu gefährden? Libyen wollte BP einen Auftrag zuschanzen.

London/Tripolis. Der britische Premierminister David Cameron hat die Freilassung des Lockerbie-Attentäters Abdelbasset Ali Mohammed al-Megrahi vor knapp einem Jahr als Fehler bezeichnet. Für ihn habe es als damaliger Führer der Opposition „nicht das geringste Argument“ gegeben, das für die Freilassung des Libyers gesprochen habe, sagte Cameron, der seit Mai Regierungschef ist, dem britischen Rundfunksender BBC. Megrahi sei wegen des 1988 verübten Anschlags auf ein US-Linienflugzeug über dem schottischen Lockerbie als „größter Massenmörder“ in der Geschichte des Landes verurteilt worden. Die Freilassung halte er für „vollkommen falsch“.

Die schottische Regierung hatte den schwer krebskranken Megrahi, der als einziger Attentäter des Anschlags von Lockerbie verurteilt worden war, vor elf Monaten aus humanitären Gründen begnadigt. Bei dem Anschlag waren 270 Menschen getötet worden, die meisten stammten aus den USA . Megrahis Freilassung löste dort einen Sturm der Entrüstung aus. Zudem wurden Gerüchte laut, die schottische Regierung habe mit ihrer Entscheidung einen lukrativen Auftrag aus Libyen an den britischen Ölkonzern BP nicht gefährden wollen. Cameron äußerte sich dazu nicht.

Der britische Premier rechnete damit, dass bei seinem Antrittsbesuch in den USA am Dienstag auch die Freilassung Megrahis ein Thema sein werde. Die Beziehungen beider Länder seien aber „stark“, sagte Cameron der BBC. Bei seinem Treffen mit US-Präsident Barack Obama sollen auch der Einsatz in Afghanistan und die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko eine Rolle spielen. BP hatte die im April gesunkene Bohrinsel „Deepwater Horizon“ betrieben.

US-Senatoren erheben derweil schwere Vorwürfe gegen den Energiekonzern: Das Ziel der Lobbyarbeit von BP soll es gewesen sein, ein milliardenschweres Ölgeschäft mit Libyen zu sichern. Mehrere Senatoren haben eine Anhörung zum Thema im US-Senat durchgesetzt. Es dürfe BP nicht erlaubt werden, „mit einem Deal auf Kosten von Terrorismusopfern Profit zu machen“, schimpfte Senator Charles Schumacher. Andere meinen, „kommerzielle Interessen – ob Öl oder andere – sollten niemals Vorrang vor der Gerechtigkeit für Terrorismusopfer haben“. Schon wird in Washington erwogen, Minister der britischen Ex-Regierung vor den Ausschuss zu laden.

„Es gibt keinerlei Beweise, die die Vorwürfe untermauern, BP sei in die Entscheidung Schottlands über die Freilassung von Megrahi verwickelt gewesen“, heißt es in einem Brief des britischen Außenministers William Hague an seine US-Kollegin Hillary Clinton, der am Sonntag bekannt wurde. Es gebe auch keine Hinweise, dass die schottische Führung den Attentäter freigelassen habe, um ein Ölgeschäft von BP mit Libyen zu sichern.

Bei dem Anschlag auf eine Maschine der US-Fluglinie Pan Am über dem schottischen Ort Lockerbie im Dezember 1988 waren 270 Menschen ums Leben gekommen, die meisten von ihnen US-Bürger. Megrahi war deshalb 2001 zu lebenslanger Haft verurteilt, vor rund einem Jahr aber begnadigt worden. Ärzte hatten ihm attestiert, wegen einer Krebserkrankung habe er nur noch drei Monate zu leben.